Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Kraut & Rüben

Bauernregeln Oktober
16.: „An Sankt Gall ernte man die Rüben all!“
21. + 28.: „An Ursula muss das Kraut herein, sonst schneien Simon und Juda hinein.“

Hallo, Welt!
Heute war ein abwechslungsreicher und vielfältiger Tag. Ich habe mit drei Freunden unseren gemeinsamen Urlaub geplant, mir ein Mittagsschläfchen gegönnt, mit einer Freundin Abendbrot gegessen und last but not least heute morgen Erste Hilfe bei einem Freund geleistet, der gerade ein wenig ins Trudeln kam.
Ich bin ja ein Fan der Webseite ifun.de, und dort gibt es die Rubrik „x Zweizeiler“. Heute hier also mal zehn Zweizeiler:

Ich überlege, ob ich während des Urlaubs auch mal Urlaub vom Blogschreiben mache. Eine innere Stimme verurteilt das als Fahnenflucht.

Im Gespräch mit dem Freund heute morgen habe ich gemerkt, dass ich Fortschritte mache in Bezug auf „Leben im Jetzt“. Ich sorge mich nicht mehr so intensiv um mögliche Katastrophen.

Im Moment bin ich gerade ganz verzückt von Eckhart Tolle als Hörbuch. „Leben im Jetzt“ ist großartig zum Einschlafen.

Vielleicht kann ich Markus bezaubern, hier im Blog die Urlaubsvertretung zu übernehmen. Zu sagen hätte er sicherlich genug.

Mein Vertrauen in meine Fähigkeit, mit Konflikten besser umgehen zu können als in der Vergangenheit, nimmt stetig zu. Heute war ich auf gefühlten 80 Prozent.

Ich merke, wie verworren meine Vorstellung vom „Jetzt“ noch immer ist. Ich höre Byron Katie zu und merke, ich bin noch immer verstrickt in Bewertungen *seufz*

Ich gebe zur Zeit mehr Geld aus als ich eigentlich möchte. Wenn ich versuche, mich deshalb zu grämen oder zu verurteilen, kann ich ganz gut gegensteuern.

Ich finde, dass dieser GfK-Krams total anstrengend ist und dass es viel leichter war, immer bei anderen die Schuld zu suchen, statt zu gucken, was ich brauche.

Ich habe ein Bedürfnis nach körperlicher Nähe. Ich möchte mich gern anlehnen und schnaufen. Hoffentlich gibt es dazu im Urlaub eine Chance.

Ich bin zufrieden mit mir.
DAS möchte ich mir gerade mal auf der Zunge zergehen lassen! Ich bin zufrieden mit mir.

So long!

Ysabelle

Wut

Hallo, Welt!

Jetzt war ich doch so viele Jahre so schön im Frieden mit mir… Ich habe meinen Ärger in mich hineingefressen, hier ein bisschen manipuliert und dort ein bisschen sabotiert, gelegentlich geschmollt und im Großen und Ganzen habe ich versucht das zu tun, was von mir erwartet wurde.
Jetzt auf einmal spüre ich, dass ich schnell entflammbar geworden bin. Irgendwie ist die Thermoverpackung um meine Gefühle abhanden gekommen. Ich spüre WUT!
Gestern sagte ein Service-Mitarbeiter von O2 etwas über die Menüführung auf der Seite. Ich war sofort auf Zinne und blaffte ihn an, ob er mich für blöd halte.
Wenn ich mit dieser Wut in Kontakt komme, bin ich zur gleichen Zeit völlig verblüfft von der Kraft, die dahinter steckt, und von der Reaktion mancher Menschen auf meine Wut. Jemand aus meiner Familie signalisiert mir zum Beispiel, ich sei kindisch, wenn ich wütend sei. Das macht mich mal erst recht wütend. Ein Kollege war unlängst der Ansicht, ich dürfe gar nicht wütend sein. Man müsse sich immer zusammenreißen. Ich würde gern einen konstruktiven Umgang mit meiner Wut finden. Ich möchte die Kraft spüren und nutzen, die damit verbunden ist, und gleichzeitig Respekt für mein Gegenüber zeigen. Aber das habe ich nicht gelernt. Es ist ja neu, mir meiner Wut überhaupt in dieser Weise bewusst zu sein, meine Gefühle so intensiv wahrzunehmen…
Ich schätze mal, der erste Schritt ist für mich, dass ich mich nicht dafür verurteile, wenn ich in meiner Wut nicht so konsiliant oder verbindlich (im Sinne von in Verbindung bleibend) reagiere wie ich es ohne Wut für richtig halte. Und dann versuche ich herauszufinden, welche wunderbaren Bedürfnisse in mir gerade im Mangel sind. Vielleicht gelingt es mir im dritten Schritt, danm wieder angemessen auf den anderen zuzugehen.

So long!

Ysabelle

HIL-FE!

Hallo, Welt!
ich hatte gerade ein einstündiges Telefonat mit dem Partner der Patientin, die seit Wochen unsere Familie „in Atem hält“ (tut sie natürlich nicht wirklich, wir halten uns in Sachen Betreuung und Ähnliches in Atem). Vorgestern Abend hat die Patientin im Krankenhaus einen Schwächeanfall erlitten und liegt jetzt auf der Intensivstation. Der Partner macht sich Vorwürfe, weil er das medizinische Personal nicht am Freitagabend von seinen Bedenken unterrichtet hat. Und dann ging es immer hin und her: Die Ärzte haben dies und das bei der Anamnese versäumt, ich hätte anrufen müssen… die sind scheiße, ich bin scheiße…

 

Er zitierte aus einem Arztbrief, in dem ein Kardiologe geschrieben hatte, „die Patientin ist uns bestens bekannt“, und sagte, das heißt, die Patientin ist eine Simulantin. Ich kam mir vor, als ob ich mit einer Machete vor einem undurchdringlichen Dschungel aus Urteilen, Diagnosen und Ängsten stehe. „Was genau hat der Arzt gesagt? Was genau stand in dem Brief? Was ist die Beobachtung, wenn du sagst, sie sei fast gestorben? Ist sie reanimiert worden?“

 

Hilfe! Ich will eine Welt, in der wir alle Beobachtung und Bewertung voneinander trennen können! Ich fühle mich so angespornt im Moment, das noch mehr, noch „besser“ zu lernen, und in die Lage zu kommen, Menschen besser Einfühlung zu geben, statt sie zu belehren. Am liebsten würde ich sofort den nächsten Kurs anfangen. SO kann es nicht weiter gehen.

 

So long!
Ysabelle

Gehetzt

Hallo, Welt!
Gestern Abend war es dann so weit. Ich kam um 19,45 Uhr von der Arbeit nach Hause, packte gerade noch ein paar Einkäufe aus, da klingelte das Telefon. Ein Bekannter, der mich sehr unterstützt, wollte sich ein bisschen austauschen. Noch während er sprach, zog ich mich aus und ging ins Bett. Einen Anruf aus meiner Familie um 21.55 Uhr habe ich nicht mal mehr gehört.
Zwei kurze Wachphasen heute nacht habe ich mit Harald Reinhardt beschallt, gegen sieben heute Morgen dann bin ich aus meinem Koma langsam aufgetaucht.
Ich habe versucht, mich freundlich auf diesen neuen Tag einzulassen. Das Wetter soll schön sein, ideal um auf den Golfplatz zu fahren. Aber wie die fallenden Blöcke bei Tetris prasselten die „Unerledigten“ auf mich ein: Der Geschirrspüler läuft noch nicht, es sind mindestens zwei Maschinen Wäsche zu waschen, ich habe heute eine Verabredung in St. Michaelisdonn, die noch nicht final abgestimmt ist, da liegt schon wieder ein Korb Bügelwäsche, die Katzenklos müssen gemacht werden, im Büro liegen ein paar unerledigte Dinge auf dem Schreibtisch, die eine ganz hohe Priorität haben…
Ich kann diese Liste noch beliebig fortsetzen. Darum geht es aber gar nicht.
Ich merkte, wie diese Gedanken sich verselbstständigten. Es wurde immer mehr Unerledigtes, immer mehr „du musst noch“ und „vergiss nicht“ und „das liegt auch schon wieder rum…“. Ich fühlte mich wie ein Autofahrer, dessen Wagen nicht auf die Lenkung reagiert und der sehenden Augs auf eine Mauer zurast. Im Körper spürte ich Anspannung, mein linker Ellenbogen und mein Ischias meldeten sich unangenehm. Solche Gedanken wie „hallo…. der Stress kommt nur von deinen Gedanken… du liegst hier ganz friedlich im Bett und es ist gerade überhaupt keine Gefahr im Verzug“ drangen nicht durch. So bin ich also um halb acht aufgestanden und habe mir einen Kaffee gekocht.
Warum ich das hier aufschreibe?
Dies ist eine kosmische Bestellung für ein Pensieve. so ein Becken wie es bei Harry Potters Schulleiter Dumbledore im Büro stand. Und dann könnte ich mithilfe des Zauberstabs all diese Antreibungen und Hetzereien abfließen lassen. Es ist ja nicht das, was es ist, was mich antreibt. Es sind meine Gedanken dazu. Der Bügelkorb steht friedlich im Schrank und sagt kein Wort. Die Waschmaschine beschwert sich ebenfalls nicht über mangelnde Ladung. Noch ist Geschirr im Schrank, ich stehe also nicht weinend vor schmutzigen Kaffeetassen. Ok, die Katzen neigen irgendwann zu Protesthandlungen, wenn ihre Klos nicht geputzt sind, aber auch an dieser „Front“ besteht keine Lebensgefahr. Ich bin heute nicht im Büro, und ich habe diese Woche ohnehin 50 Stunden auf der Uhr – also was will ich mich verrückt machen über das, was da unerledigt liegt, heute, am Sonntag…
Es sind meine Gedanken, die mich unter Druck setzen. Und ich hätte gern den Ausschalter dafür. Ich würde gern einfach nur genießen, dass heute Sonntag ist und sich die Sonne zeigt. Ich möchte mich in meinem Tempo durch den Tag bewegen. Wachheit und Achtsamkeit statt Hetze und Angetrieben sein durch all die „musst“ in meinem Kopf. Mal sehen wie gut es mir gelingt, hier Fahrt rauszunehmen und vielleicht doch wieder die Lenkung meines Lebensfahrzeugs in die Richtung zu bewegen, die ICH gern einschlagen möchte, und nicht irgendwelche Persönlichkeitsanteile, die noch im Rattenrennen um „du musst“, um Richtig oder Falsch unterwegs sind.

So long!
Ysabelle

Im Eingangskorb meines Lebens

Hallo, Welt!
Vor zehn Tagen rief mich eine Bekannte im Büro an. Sie käme mit ihrem Skype-Account nicht klar. Ich verabredete mich für abends um halb zehn mit ihr, weil ich wusste, dass ich vorher nicht von der Arbeit zu Hause sein würde.
Als ich sie anrief, war sie entspannt, leicht und beschwingt. Sie war mit ihrem Mann essen und Wein trinken gewesen und wollte jetzt nicht mehr am Computer schrauben.
Am Samstag sprach ich mit einem GfK-Freund, der ein Thema hatte, für das keine Zeit mehr übrig blieb. Ich bot an, wir könnten Sonntagabend um halb zehn darüber telefonieren, wenn ich vom Sport zurück sei. Irgendwann tagsüber merkte ich, dass es mir zu viel wurde, abends noch ein großes Gespräch UND Sport incl. der Hetze, pünktlich zu Hause zu sein. Ich habe also den Sport gestrichen.
Um 22 Uhr habe ich dann dem GfK-Freund eine SMS geschickt, jetzt würde ich ins Bett gehen und es sei mir zu spät zum Telefonieren.
Eine Weile später kam die Antwort, er sei noch mit der Steuererklärung beschäftigt.
Vorigen Mittwoch habe ich vor der Arbeit für eine Freundin noch eine DVD gebrannt, weil es für sie nicht möglich war, Dinge aus meiner Dropbox zu ziehen. Zusammen mit einem kleinen Geschenk ist die CD noch am Mittwoch rausgegangen. Gestern morgen habe ich nachgefragt, ob mein Umschlag angekommen sei. Die Antwort:
Ach, von Dir war das 🙂
Ich habe am Freitag eine Benachrichtigung über eine gewöhnliche
Briefsendung bekommen und bin danach sofort ins Wochenende gefahren.
Weil die Hauptpost am anderen Ende der Welt liegt, hatte ich mir
vorgenommen, es am Donnerstag vor dem abzuholen.
Oh, jetzt bin ich aber neugierig.
(Sonst mache ich den Ausflug immer für den Katalog von Medicom, den ich
überhaupt nicht haben will)
Ich glaube, ich muss Dir mal meine Firmen-Adresse geben 😀

und dann kam gestern ein Anruf von jemandem, dem ich mich sehr nahe fühle.

Die Person schilderte konkrete Schwierigkeiten, die wirklich die wirtschaftliche Existenz bedrohen. Und aus vollem Herzen hörte ich mich sagen, wenn es um die Zeit bis Weihnachten geht, bin ich bereit, dich zu unterstützen. Dabei habe ich total verdrängt, dass ich bereits finanziell engagiert bin und von dieser Person zur Zeit 234 Euro ausstehen, die eigentlich schon längst bei mir auf dem Konto eingegangen sein sollten.

Wie geht es mir, wenn ich auf diese so unterschiedlichen Ereignisse schaue?

Ich bin frustriert, traurig, erschöpft und einsam. In diesem Moment überwiegt gerade Trauer und Schmerz. Ich habe unerfüllte Bedürfnisse nach Verbindung, Zugehörigkeit, Gesehen und gehört werden, Sicherheit und – was mich selbst angeht – nach Authentizität.

Es fällt mir auf, dass ich zum einen ungefragt, unaufgefordert meine Unterstützung anbiete, sei es, dass ich eine DVD brenne, mich zum Telefonieren zur Verfügung stelle oder mit Geld einspringe. Zum zweiten kommt es ziemlich häufig vor, dass ich meine eigenen Interessen aus dem Auge verliere, wenn ich den Eindruck habe, jemand anderes braucht Unterstützung. Ich lasse also den Sport sausen, um mit dem GfK-Freund entspannt telefonieren zu können. Ich biete Geld an, obwohl noch eine Summe offen ist. Und ich schaffe es nicht, mich beim anderen zu melden und zu sagen, du, ich möchte lieber zum Sport gehen. Können wir zu einem anderen Termin telefonieren? Es gibt also auch den Glaubenssatz, dass ich zu einer einmal getroffenen Entscheidung oder zu einem Angebot stehen muss. Alle Achtung, da habe ich ganz schön was zu bearbeiten.
Den Glaubenssatz werde ich mir in den kommenden Tagen mal zusammen mit Byron Katie vornehmen. Wie ich mich selbst dahin kriege, nicht immer wieder ungefragt Unterstützung anzubieten ist mir gerade noch ein Rätsel. Hat jemand von Euch Ideen dazu?

So long!

Ysabelle

Der Großmeister erklärt „sensitive“

Hallo, Welt!
Ich wünsche uns allen so gutes Englisch, dass wir dieses Uralt-Video von Marshall genießen können. Es geht um enge Beziehungen (von geliebten Menschen) und jemanden, der zu seinem Partner sagt: Du bist zu empfindlich…

Enjoy!

So long!

Ysabelle

Balken im Auge

Hallo, Welt!

Gestern hatte ich einen wunderbaren Tag mit einigen GfK-Freunden. Wir haben uns zugehört und Einfühlung gegeben. Unter anderem hörte ich eine Geschichte über eine junge Frau, die von ihrem Mann eine Entscheidung erwartet und aber gleichzeitig  selbst keine Entscheidung treffen kann.

Diese Schilderung hat mich wieder einmal sehr an mein eigenes Verhalten erinnert. Ich kenne es von mir, mit dem Finger aus den anderen zu zeigen und den sprichwörtlichen Balken im eigenen Auge nicht zu sehen.

Es war keine Freude für mich zu erleben, wie ich noch immer voller „XY sollte…“ stecke. Die Kollegin sollte sich nicht so anstellen, der Bekannte sollte sich mal zusammenreißen, jener Freund sich mal mehr um seine Frau kümmern…

Ich selber habe in meinem Leben genug Baustellen, um die ich mich mal kümmern „sollte“. Wenn bei mir dieser Bluthund die Zähne bleckt, gelingt es mir immer besser, ihn mit folgenden Methoden zu beruhigen.
1. Ich höre ihm aufmerksam zu und versuche, meine Gefühle und Bedürfnisse dahinter zu erkennen. „Ich sollte den Wirtschaftsraum aufräumen“ entspricht meinen Bedürfnissen nach Ordnung, Struktur, Schönheit, Leichtigkeit und Wertschätzung. Die Tatsache, dass ich es nicht mache, erfüllt meine Bedürfnisse nach Erholung (ich bin sehr erschöpft zur Zeit und manage ganz viele Sachen gleichzeitig), Leichtigkeit und Ordnung. Jawohl, auch hier Ordnung. Ich habe nämlich keinen Schimmer, wohin ich einen Teil der Sachen räumen soll. Ich möchte dabei Ordnung schaffen, und noch habe ich diese Ordnung nicht gefunden.

2. Ich führe mir vor Augen, dass ich zu jeder Zeit das Beste tue, was mir möglich ist.
Erstaunlich, wie oft mir diese banale Erkenntnis wieder aus dem Fokus rutscht…

3. Ich gehe auf die Webseite von Byron Katie und ziehe mir ein Arbeitsblatt herunter (unten links unter Downloads). Und dann fange ich an, solche inneren Befehle umzudrehen. Ich sollte den Wirtschaftsraum nicht aufräumen (auch da ist was Wahres dran), du solltest den Wirtschaftsraum aufräumen (hm, das schmeckt mir besonders gut, leider gibt es niemanden, dem ich das antragen könnte), Ich sollte den Wirtschaftsraum zuräumen – hach, das gefällt mir besonders gut, hat aber keinen Nutzen. Ich sollte den Wirtschaftsraum in Ruhe lassen – ja, warum eigentlich nicht?
… und indem ich spielerisch verschiedene Möglichkeiten ausprobiere, verliert die ursprüngliche Forderung an mich selbst ihre stechende Intensität, sondern wird zu einer Möglichkeit von vielen.

Und während ich noch so mit den Balken im eigenen Auge und den Splittern im Auge der anderen beschäftigt war, fiel mir das folgende Filmchen in die Hände, das ich gern mit Euch teile.

So long!

Ysabelle

Organisationsmitgefühl

Diesen Text erhielt ich nach dem IIT in der Schweiz 2009. Danke an Jens, der ihn mir weiter geleitet hat.

Y.

Von Bill Idol
Vor kurzem wurde ich zum zweiten Mal entlassen…
Das erste Mal passierte es bei einem Belegschaftsabbau im Rahmen einer Fusion. Innerhalb von sechs Monaten stellte die Firma mich wie-der an. Ein Jahr später ging es dem Geschäftsbereich schlecht, und wiederum erfuhr meine Laufbahn eine unfreiwillige Richtungsänderung, dieses Mal aufgrund einer Kostensenkungsmaßnahme.

Ich bin einer von vielen…
Ich mag als etwas begriffsstutzig erscheinen, wenn man bedenkt, dass ich nach der ersten Entlassung zurückgegangen bin. Vielleicht bin ich das auch. Jetzt aber möchte ich mich zu etwas anderem äußeren. Ich bin nur einer von vielen in den Vereinigten Staaten, die schon entlassen worden sind. Das Gesundschrumpfen – wie man es beschönigend bezeichnet – ist heutzutage durchaus üblich. Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten ist in Unordnung, und das Gesundschrumpfen ist nur eines von vielen Symptomen dafür; ein Symptom, das Angst, Ärger und ein tiefes Misstrauen in der Organisationswelt erzeugt. Ein schmerzhafter Vorgang. Viele Gelehrte, Psychologen und Wirtschaftsbeobachter haben es zur Kenntnis genommen und sich darüber verärgert.

Natürlich bin ich verärgert und verletzt…
Den Arbeitsplatz zu verlieren, macht nicht gerade Spaß. Ein Arbeitsplatzverlust ist in jeder Stressliste immer hoch eingestuft. Die Anpassung fällt schwer, selbst wenn man es gelernt hat, mit den wirtschaftlichen, privaten und psychologischen Sorgen zurechtzukommen. Dabei ist eine der primären und stärksten Emotionen der Ärger – Ärger gegen die Organisation. Ich habe die Nachricht meiner Entlassung zunächst mit sehr großem Ärger aufgenommen, und dieser ganze Ärger richtete sich gegen die Firma und natürlich auch gegen die Überbringer der Botschaft und die Geschäftsführung. Andererseits zehrt Ärger viel Kraft auf. Es ist ein unangenehmes Gefühl und außerdem ziemlich sinnlos. Ärger beeinträchtigt auch das Bewusstsein bei weitem sein negativster Aspekt. Ärger verhindert ein ausgewogenes Urteil und sinnvolles Vorgehen.
Gründe, aus denen Ärger gegen ein Unternehmen entsteht, sind: Das Unternehmen spielt seine Macht gegen Dich aus. Es ist einfach gefühllos. Es weiß, dass es Menschen beeinträchtigen und Angst verursachen wird, schiebt die Menschen aber dennoch zur Seite. Es ist eigensüchtig, grausam und feindselig. Skrupellosigkeit ist sein Markenzeichen. Einzelne Mitarbeiter sind verwundbar, weil sie sich hingegeben haben. Die meisten von uns gehen eine Verpflichtung ein, die für uns eine Bezie-hung darstellt. Mit dem Entlassenwerden ist somit ein Gefühl der Wut, Erniedrigung und Hilflosigkeit verbunden. Es ist wie ein Schatten, lässt sich nicht vermeiden.

Die eigentliche Frage ist aber der Zustand der Organisationen…
Wenn wir aber lediglich unseren eigenen Schmerz und die psychologische Belastung spüren, entgeht uns eine größere Frage, die letztendlich auch wichtiger ist. Diese Frage betrifft den Zustand der Organisationen – nicht nur der Organisationen in den Vereinigten Staaten, sondern der Organisationen weltweit. Ich war der Leiter der Management- und Organisationsentwicklung, kurz MOD, und es gehörte zu meinen Aufgaben, das Unternehmen zu beobachten und zu versuchen, zu einem sinnvollen Unternehmensverhalten beizutragen. Ich bin davon überzeugt, dass Organisationen mehr Sympathie brauchen als ich – auch mehr mitfühlende Unterstützung. Es geht hier um die psychologische Entwicklung der Organisationen, nicht um die meinige, auch nicht um die der vielen, die mit mir das gleiche Schicksal teilen.
Ein Belegschaftsabbau ist eine besonders qualvolle Form von Bestrafung. Hier kommt einem die Herde in den Sinn, die das verletzte Mitglied im Stich läßt. Jerry Harvey, Professor an der George Washington University, schrieb einen Artikel mit dem Titel “Getting Eichmann Out of the Organization“ (Eichmann aus der Organisation verbannen) und deutet auf Ähnlichkeiten zwischen dem Holocaust und einen Belegschaftsabbau hin. Der Holocaust war die Lösung des “Jüdischen Problems“, eine geradezu verrückte Vorstellung. Der Belegschaftsabbau ist eine Lösung für ein vorgestelltes “Kopfzahlproblem“. Die eigentliche Anmaßung, dass Menschen durch die Organisation inkonsequent verschlungen werden können, trifft aber auf beide Fälle zu und unterscheidet sich nur in der Form. Der Holocaust war extrem brutal und mörderisch und wie schon erwähnt auf jeden Fall irrsinnig. Ein Belegschaftsabbau ist verglichen damit eine zahme Maßnahme: Gesetzlich, allgemein anerkannt, normal, aber trotzdem auf andere und subtilere Art brutal. In beiden Fällen zie-hen aber die von dem Problem Betroffenen verärgert den Schluss, die Organisation wisse es besser. Oder sollte es besser wissen. Oder a-ber die Organisation sei völlig übergeschnappt und gefährlich.

Organisationen wissen es einfach nicht besser…
Ich bin nicht davon überzeugt, dass es Organisationen besser wissen. Die meisten Organisationen, die ich kenne – insbesondere die großen – sind einfach auf einfältige Art dumm. Es gibt Ausnahmen, aber nicht viele. Organisationen haben, worauf bereits Carl Jung hinwies, eine Rindermentalität. Einige beschmutzen sich immer noch selbst. Wer, außer den Primitiven, Geisteskranken oder Gehirngeschädigten, würde sich schon selbst zerstören? Die Grundlage für einen Belegschaftsabbau ist, dass die Organisation ihre Mitarbeiter nicht als eigenen Bestandteil sieht. In der Regel nehmen sich Organisationen selbst überhaupt nicht wahr, und wenn sie es doch tun, so empfinden sie Mitarbeiter als von sich selbst getrennt. Es gehört nicht zu den Zwecken von Organisationen, sich für das Leben der Mitarbeiter zu engagieren und dieses zu bereichern. Die üblichen Lebensabläufe auf diesem Planeten entgehen ihrem Bewusstsein. Organisationen handeln auch häufig so, als ob sie nicht Teil der Umwelt wären. Sie plündern, vergiften und verschmutzen genau die Luft und Erde, von der sie leben. Daraus kann nur gefolgert werden, dass ihr Bewusstsein nicht so weit entwickelt ist, dass sie auch nur die einfachen Wahrheiten begreifen, die jedem einzelnen klar sind. “Natürlich, Du Idiot. Wir konntest Du auch nur glauben, Deine Beschäftigten gehörten dazu?“ Genauso, wie wenn man ein Schwein ausschimpft.

Organisationen sind Babies in der Entwicklung…

Organisationen sind lebende Systeme. Sie sind Fortsätze des menschlichen Bewusstseins und tragen all dessen Merkzeichen. Andererseits sind sie nicht sehr weit entwickelt. Man betrachte, wie jung Organisationen sind. Der Mensch selbst ist nur wenige Millionen Jahre alt, und Organisationen entstanden erst, als die Sumerer ca. 6000 Jahre vor Christus den Ackerbau organisierten.
Dieses so zu sehen, fällt vielen Menschen schwer, weil sie glauben, Organisationen seien entwickelter als sie selbst. Organisationen machen einen entwickelteren Eindruck. Aktiengesellschaften und Institutionen können groß, mächtig, reich und manchmal sogar ausgesprochen angesehen sein. Viele sind älter als ihre Mitarbeiter, manchmal sogar viel älter. Man glaubt leicht, weil sie alt seien, seien sie auch weise, gerecht und gütig. Organisationen schaffen auch einige ziemlich wunder-bare Sachen. Ohne sie fehlten uns Musik, Literatur, Konsumgüter, Verteilungssysteme, kurz gesagt, wir hätten keine Zivilisation.

Babies verstehen nichts von Reziprozität…

Wir haben unsere gesamte Zivilisation auf Organisationen aufgebaut und diesen Macht über uns gegeben. Menschen, die für Organisationen arbeiten, verleihen diesen damit eine gewaltige Macht über das eigene Leben im Austausch für einen Grad an Sicherheit – gemessen in Geld – und die Möglichkeit, in produktiver Arbeit mit anderen zu partizipieren. Implizit erwartet der einzelne als Gegenleistung einer Organisation Reziprozität. Nachdem er Loyalität einbrachte, erwartet er diese als Gegenleistung von einem System, das er für intelligent genug hält, die Imp-likationen und Feinheiten des Arrangements zu verstehen. Dieser Erwartung wird in den meisten Fällen nicht entsprochen, bei den Unter-nehmen der Vereinigten Staaten immer weniger.

Babies brauchen Mitgefühl und Fürsorge…
Da Organisationen so jung sind und so generell, verglichen mit den Menschen, zurückgeblieben, ist Mitgefühl ein zweckmäßigeres Entwick-lungsmittel als Angriff und Ärger. Wir Menschen sind selbst noch nicht besonders weit entwickelt, zumindest wissen wir aber, dass ein Hund, den man schlägt, ein böser Hund wird, und dass die Misshandlung von Kindern Kindesmisshandler zur Folge hat. Mitgefühl ist ein wirksameres Mittel, Wandel und Wachstum herbeizuführen, als Ärger und Angriff, da Ärger nur Abwehr bewirkt, nicht Korrektur. Wir haben die Hexenverbrennung aufgegeben. Wir. werfen Arme nicht in den Kerker. Wir haben etwas gelernt. Historisch gesehen haben optimistische und mitfühlende Urteile über Menschen nicht stets vorgeherrscht. Es ist noch nicht lange her, dass der Behinderte als hilflos und unfähig zu einem sinnvollen Beitrag angesehen wurde. Fortschrittliche Menschen erklärten aber: “Nicht so. Dadurch muß ein Mensch nicht unbedingt nutzlos für sich selbst oder andere sein“. Gruppen und einzelne begannen, sich zu interessieren, zu unterrichten, Hilfsmittel bereitzustellen, Forschungen durchzuführen usw. In modernen Gesellschaften gilt diese altruistische Einstellung für jede Form menschlicher Behinderung. Die optimistische Meinung über die Natur des Menschen setzt sich mit der Zeit im-mer durch. Was können Religionen, Gerechtigkeit und menschliche Gleichheit sein, wenn nicht die Erkenntnis, dass das Leben durch Mitgefühl und echte Fürsorge gestärkt und verbessert wird? Was sonst sind Erziehung, Medizin und all die anderen humanen Leistungen, die wir einander bieten?

Das Überleben des Tüchtigsten ist nicht die ganze Antwort…

Rein von der Evolution her gesehen ergibt es keinen Sinn, die blind, lahm oder gehirngeschädigt Geborenen zu retten. Sie sind genetisch schwach. Sie zu retten, beinhaltet u.a. die Möglichkeit der Reproduktion. Und das geschieht auch. Ein schwaches Glied zu retten, widerspricht der Vorstellung, dass nur der Tüchtigste überleben sollte. Es ergibt aus dieser Sicht auch keinen Sinn, Kranke zu heilen oder Alte und Schwache zu pflegen. Weniger weit entwickelte Tiere tun dies nicht, der Mensch macht es aber. Und je weiter er sich entwickelt, desto ausgeprägter, nicht weniger verhält er sich so. Als wir die Lehre vom Überleben des Tüchtigsten aufnahmen, hätten wir eigentlich von der Logik her den Altruismus wie eine heiße Kartoffel fallen lassen müssen. Es müssen also noch andere Kräfte im Universum wirksam sein. Das Überleben des Tüchtigsten kann nicht die ganze Antwort sein. Es muß so sein, dass das menschliche System seine Intelligenz, Adaptation und Überle-benswürdigkeit durch angewandtes und bewusstes, altruistisches Mitgefühl steigert.

Mitgefühl heißt, die Organisation zu lehren…

Was Organisationen anbelangt, ist aber deren Unwissenheit von diesem höheren Prinzip ein Indiz für die kurze Evolutionszeit und unterentwickeltes Bewusstsein. Man bemerkt nicht, dass Organisationen mit-fühlend seien. Sie wissen nicht, wie sie es sein sollen. Es bringt daher nichts, eine Organisation anzugreifen in der Annahme, sie sei gescheit genug, um mitfühlend zu sein, sei. aber statt dessen lieber absichtlich und hochgradig grausam. Der Punkt ist das “Lehren“. Für diese Perspektive verwende ich den Ausdruck Organisationsmitgefühl (“Organizational Compassion“). Nicht Mitgefühl seitens der Organisation für irgend jemanden oder irgend etwas, vielmehr Mitgefühl für die Organisation seitens derjenigen, die weiterentwickelt sind und in der Lage, die offenkundige Unvollkommenheit der Organisation zu erkennen und diese Einsicht für einen höheren Zweck zu nutzen.

Engagement und Verantwortungsbewusstsein…

Organisationen haben einen niedrigeren Entwicklungsstand als ihr Personal. Der Eindruck, dass Organisationen hochintelligent sind, ist das Ergebnis einer Verwechslung der verschiedenen Ebenen von Lebenssystemen. Die Individuen schauen sich in ihren Organisationen um und sehen scharfsinnige, engagierte Menschen. Einige dieser Personen haben einen brillanten Geist und sind zu Recht betrübt angesichts des Zustands, in dem sich das “System“ befindet. Die Leute sehen ihre Vorgesetzten, die zu einem großen Teil genauso einsichtig und enga-giert sind, wie sie selbst, Vorgesetzte, die sie als Führungskräfte akzep-tieren; diese Leute begehen den Fehler zu glauben, dass das, was sie auf der Ebene des einzelnen sehen, automatisch und untrügerisch auch für die nächste Ebene von Systemen, d.h., die Organisation gilt. Dies ist jedoch nicht korrekt.
Was der einzelne in den Angestellten und in anderen am Unternehmen beteiligten Personen verkörpert sieht, ist die mögliche Entwicklung des Unternehmens, nicht aber sein aktueller kinetischer Zustand, der stets weniger entwickelt und manchmal sogar sehr viel weniger entwickelt ist; dies hängt ab von der Umgebung, der Verfügbarkeit von Ressourcen, der Struktur, dem Alter, dem Zeitalter und der Erfahrung. Auch der Mensch nutzt nur einen Bruchteil seines verfügbaren geistigen Potentials. Keiner von uns schöpft die gesamte Kapazität seines Gehirns aus. Wir wissen noch nicht, wie wir das tun sollten. Im Vergleich zum Menschen verstehen es Organisationen noch weniger, ihr Potential zu nutzen.

Und sie sind nicht besonders intelligent – und doch…

Es ist falsch zu glauben, dass eine Organisation so intelligent ist wie ihre intelligentesten Personen; dies ist genauso falsch wie die Annahme, man müsse nur genug intelligente Leute an einem Ort zusammen-bringen, und die Gruppe in ihrer Gesamtheit wird sofort und auf wundersame Weise intelligent. Das Verhalten des Pöbels beweist das Gegenteil. Auch wenn Organisationen und der Pöbel nicht dasselbe sind, muss mehr geschehen, als nur Menschen zusammenzubringen. Man benötigt eine Struktur und Subsysteme, um das Potential organisieren, verwalten, verbreiten und einsetzen zu können. Dies ist es, was im wesentlichen eine Organisation ausmacht. Aber eine Organisation muss geplant, entwickelt  und anschließend in der konkreten, realen Welt ent-sprechend in die Tat umgesetzt werden. Danach muss sie eine Weile überleben und aus ihren Erfahrungen lernen.

Aber sie entwickeln eigene Lebensformen…
Eine Organisation lebt. Sie muss durch den Entwicklungsprozess weise und wohlwollend werden. Organisationen reifen wie edler Wein. Traubensaft, und stammte er auch von den edelsten Trauben, kann nicht durch Befehle dazu gebracht werden, hervorragender Wein zu werden. Wenn eine Organisation eine Maschine oder ein lebloser Gebrauchsgegenstand wäre, könnte man sie binnen kurzer Zeit durch Austauschen oder Hinzufügen von Teilen reparieren. Eine Organisation ist jedoch keine Maschine. Eine Organisation ist eine Lebensform.
Die Lebensform einer Organisation stimmt jedoch nicht mit der Lebens-form der Individuen überein, die die Organisation bilden. Sie trägt die psychologischen Merkmale aller Individuen, vor allem die ausgeprägtesten Merkmale. Aber diese einzelnen Merkmale oder Kennzeichen werden im Laufe der Zeit abgeschwächt, vor allem in großen Organisationen. Wer weiß es – und wen interessiert es -‚ dass Andrew Carnegie ein hervorragender Frachtführer der Pennsylvania Railroad war? Was eine Person vor Jahren tat, ist in großen Systemen im allgemeinen nicht erkennbar. Wenn die Organisation lange genug lebt, entwickelt sie sich ganz allmählich zu einer eigenständigen Person.

Organisationen beginnen, für sich selbst zu denken…
Eine Organisation ist ein neues Lebewesen – ein Lebewesen, das sich auch je nach seiner Bestimmung und seinen Anlagen entfalten, entwickeln und sich anpassen muss. Es gibt einen Punkt – obwohl noch niemand genau weiß, woran man ihn erkennen kann -‚ an dem eine Organisation beginnt, für sich selbst zu denken. Wie jedes andere Lebewesen auch, beginnt sie auf einer relativ einfachen, rudimentären Stufe und entwickelt dann im Laufe der Zeit und aufgrund ihrer Erfahrungen eine Vielgestaltigkeit an Struktur und Gedanken. Vergessen Sie dabei aber nicht, dass die Organisation als äußerst hochentwickelter Ausdruck eines äußerst hochentwickelten Organismus beginnt: dem Menschen. Auch wenn in unserem Zeitalter die durchschnittliche Organisation keineswegs so intelligent ist, wie ihr intelligentester Mensch, so ist eine Organisation doch ein komplexeres. System als ein einzelnes In-dividuum, und sie trägt in sich das Potential, intelligenter zu werden, als irgendeine Person in ihr.

Die Intelligenz bringt die Zeit zum Einstürzen…
Vergleichen Sie einmal den Evolutionszeitraum, der für die Planung und Entstehung eines Adlers und einer Boeing 747 benötigt wurde. Die natürliche Evolution des Adlers findet bereits seit Millionen von Jahren statt. Die Boeing 747, die schneller, höher und weiter fliegt als der Adler, wurde in einem Zeitraum von nur 70 Jahren entwickelt, wenn man bis ganz zurück zu den Gebrüdern Wright geht Mit Hilfe der organisierten Intelligenz ist es dem Menschen gelungen, den gesamten Planeten innerhalb einer Zeitspanne zu beherrschen, die in galaktischen Maßstäben gemessen lediglich ein Moment ist. Vielleicht können sich einige von Ihnen an eine ausgezeichnete Lügengeschichte von Paul Bunyan erinnnern. Sie gibt genau wieder, worum es sich handelt. Bunyan erzählte, dass es draußen im Westen einen Baum gebe, der so hoch sei, dass ein Mensch sieben Tage brauche, um die Spitze zu sehen. “Sie-ben Menschen können die Spitze jedoch in einem Tag sehen“, erzählte Bunyan weiter. Wenn die Geschichte unseres Sonnen- systems als ein Zeitraum von 24 Stunden dargestellt würde, wäre der Mensch erst um 23:59:30 zum ersten Mal in Erscheinung getreten. Schauen Sie sich einmal an, was wir in den letzten dreißig Sekunden aus der Erde gemacht haben.

Trotzdem sind die meisten unserer Organisationen primitiv…
Da Organisationen Produkte des Verstands sind, würde man auf jeden Fall erwarten, dass sie sich schneller entwickeln als Systeme wie das des Adlers, das sich genetisch weiterentwickelt. Dies ist wahr. Organisationen entwickeln sich tatsächlich schneller. Relativ gesehen entwickeln sie sich schneller als der Mensch. Organisationen sind jedoch größere und komplexere Systeme als Individuen; gemessen an menschlichen Standards benötigen sie daher viel reelle, chronologische Zeit. Vor dem Hintergrund von 4,5 Milliarden Jahren evolutionärer F & E ist der Mensch physisch nach zwanzig Jahren erwachsen, psychisch weitere zwanzig Jahre später, wenn der Entwicklungsprozess normal verläuft. Eine Organisation ist unter Umständen nach einhundert Jahren noch nicht reif, und der Beginn ihrer Evolution liegt erst 8.000 Jahre zurück. Der Kongress der Vereinigten Staaten ist zweihundert Jahre alt und ganz offensichtlich noch nicht reif. In ihm sind noch immer zahlreiche primitive stammesmäßige Verhaltensweisen zu erkennen. Für den einzelnen ergibt sich daraus das Problem, dass er unter Umständen sein ganzes Arbeitsleben in einer Organisation verbringt, deren Mentalität sich auf der Ebene des Individuums mit der eines Pavians vergleichen lässt. Er erlebt die Organisation möglicherweise nie in einer Entwicklungsstufe, die über diese primitive Stufe hinausgeht. Dies ist besonders für solche Leute frustrierend, die erkennen, welchen Weg die Organisation nehmen könnte, wenn sie ihr Potential einsetzen würde. Es ist auch für diejenigen frustrierend, denen von einer Organisation übel mitge-spielt wird, wie beispielsweise diejenigen, die sich in einer Organisation täuschen und glauben, sie sei weiter entwickelt, als sie es tatsächlich ist.

Primitive Organisationen sind zusammenhanglos…
Was sind die Anzeichen für eine primitive Organisation? Das erste Anzeichen, nach dem man suchen sollte, ist Zusammenhanglosigkeit. Die Zusammenhanglosigkeit tritt dann auf, wenn zwei oder mehr Teile der Organisation geistig oder funktionell nicht in dem Maße zusammengewachsen sind, dass sie, einander ergänzend, für die zukünftigen Ziele des gesamten Systems arbeiten könnten.
In dem Unternehmen, in dem ich tätig war, ist die Personalabteilung nur am Rande mit dem Rest des Unternehmens verbunden. Das Führungspersonal in der Personalabteilung wird an vielen Entscheidungen nicht beteiligt, an denen es beteiligt werden könnte und sollte; von den anderen Abteilungen wird diese Abteilung allgemein als störend empfunden und für unfähig gehalten. Nur ein geringer Teil der in der Personalabteilung vorhandenen Intelligenz wird regelmäßig mobilisiert, um die anderen Abteilungen dabei zu unterstützen, effektiver zu werden. Den meisten Abteilungen ist nicht einmal bewusst, über welche Kapazitäten das Personalwesen verfügt. Ohne dies zu wissen, stempeln sie das Personalwesen als “dumm“ ab.
Verschiedene Bereiche der Organisation verfolgen ähnliche Aufgaben, ohne sich dessen bewusst zu sein und ohne die Informationen untereinander auszutauschen; so wird oft das Rad ein zweites Mal erfunden. Selbstverständlich – einige der Informationen dringen auch zu den an-deren Bereichen durch, aber es gibt keine formale Struktur oder Ver-fahrensweise, die gewährleisten würde, dass die Erfahrung, die ein Teil des  Systems macht, erfasst, organisiert, verarbeitet, an den lnformationsspeicher der Organisation weitergegeben und später wieder aufgerufen wird. Obwohl es sich um eine Computerfirma handelt, verfügt das Unternehmen noch nicht über eigene interne Systeme, mit denen effizient Lernprozesse innerhalb der Organisation implementiert werden können. Hochentwickelte Organisationen führen formale Befragungen in Bezug auf die gewonnenen Erfahrungen durch, werten die Primärintelligenz aus, speichern sie und rufen sie wieder ab, um sie anzuwenden. Bei Weltraumflügen werden beispielsweise umfassende Befragungen durchgeführt, die Ergebnisse analysiert und die Informationen anschließend verbreitet – und selbst dies erfüllt manchmal seinen Zweck nicht.

Primitive Organisationen bilden den Menschen nicht weiter…
Ein anderes Anzeichen für den Grad der Intelligenz einer Organisation ist der Grad, zu dem Information, Schulung und Weiterbildung von Angestellten als wertvoll angesehen werden und regelmäßig zur Verfügung gestellt oder sogar gefordert werden. HighTech-Organisationen, Organisationen der öffentlichen Sicherheit, Gesundheits- und Wohltätigkeitsorganisationen und andere Organisationen, in denen Fehler kaum toleriert werden können, müssen einen beträchtlichen Teil der Bemühungen in der Organisation für Schulung und Weiterbildung verwenden. IBM ist die größte separate Bildungsinstitution der Welt. Dies zeigt sich bereits in der Grundeinstellung. Für Organisationen und auch für Individuen gilt, was Derek Bok, der Präsident der Universität Harvard, sagte: “Wenn Sie der Meinung sind, dass Bildung teuer ist, dann versuchen Sie es doch einmal mit der Ignoranz.“ Wenn in einem System nicht deutlich feststeht, welche Rolle und Funktion die eigene Weiterbildung spielt oder wenn diese Weiterbildung vollständig ignoriert wird, handelt es sich noch immer um ein primitives System.

Primitive Organisationen verfügen über schlechte Kommunikationsmöglichkeiten…
Ebenfalls ein Anzeichen für das Bewusstsein ist der Entwicklungsgrad der Kommunikation. Viele Organisationen, die mit der besten Kommunikations-Hardware ausgestattet sind, haben noch kein offenes Kommunikationssystem entwickelt, in dem ein Informationsfluss nach oben und nach unten erfolgt. Die mit Abstand wertvollste Ressource einer Orga-nisation ist die Denkkraft, d.h., die Intelligenz der Menschen, die ge-sammelt, organisiert, gelenkt und zum Einsatz gebracht wird. Alles andere, einschließlich des Geldes, ist nur eine Nebensache. In einem Klima oder einer Struktur mit geringen Kommunikationsmöglichkeiten ist es jedoch nicht möglich, die menschliche Intelligenz wieder aufzurufen und beständig und wirkungsvoll einzusetzen.

Primitive Organisationen legen keinen Wert auf Rituale…
In der Firma, in der ich gearbeitet habe, wurde der Leiter eines Unternehmensbereichs pensioniert und durch einen anderen ersetzt, ohne dass die betroffenen Mitarbeiter von diesem Wechsel unterrichtet wurden. Wenn er die Firma nicht von Zeit zu Zeit besucht hätte, hätte leicht der Eindruck entstehen können, er würde irgendwo als Geisel gefangengehalten. Kommunikationsfehler dieser Größenordnung treten in einem hochentwickelten System sehr selten auf. Nicht nur, dass ein so bedeutender Führungswechsel in einem hochentwickelten System in angemessener Form mitgeteilt wird, er erfolgt auch nach einem genau festgelegten Ritual. Durch eine bestimmte Zeremonie wird die Übergabe der Leitungsbefugnis symbolisiert und deutlich gemacht. Dieses Ereignis wird gebührend gefeiert und gewürdigt. Jeder einzelne weiß, wer an der Spitze steht und wann die Leitung an einen anderen übergeben wird.
Das Vorhandensein und der Vollzug bestimmter Riten und Mythen ist das Hauptkennzeichen eines hochentwickelten Systems. In seinem Buch “Myths To Live“ macht Joseph Campbell deutlich, dass das Her-vorbringen und Weitergeben von Mythen das bisher wichtigste und bekannteste Zeichen für das Vorhandensein hoher Intelligenz ist. Mythen sind die Grundlage für eine ständige Weiterentwicklung der Lebensformen. Einige Organisationen sind sich dieser Tatsache durchaus bewusst.
Die katholische Kirche beispielsweise. Oder militärische Organisationen. Die meisten Organisationen sind sich dessen aber nicht bewusst. Sie verwechseln Mythos mit Wahnvorstellungen und werfen beides über Bord. So sind beispielsweise Fusionen noch überhaupt nicht in einer angemessenen Form ritualisiert. Eine Veränderung des Firmennamens vielleicht, aber das ist auch schon alles. Das einzige Ergebnis ist oft die Durchdringung und der Abfluss ungelenkter mentaler Energie innerhalb der neuen Organisation – etwas, das eigentlich gut dazu hätte benutzt werden können, den Verschmelzungsprozess zu beschleuni-gen und zu stärken.

Primitive Systeme begehen bewusst Kommunikationsfehler…
Kein intelligentes System begeht bewusst Kommunikationsfehler, es sei denn, diese Kommunikationsfehler oder Falschinformationen sind Teil ihrer Strategie, wie es bei der CIA und anderen Geheimdiensten, deren Aufgabengebiet die nationale Sicherheit ist, der Fall ist. Gerade diese Organisationen verfügen oft über ein ausgeklügeltes und präzises in-ternes Kommunikationssystem. Der lran-Contra-¬Skandal hat gezeigt, dass bewusst begangene Kommunikationsfehler in einer solchen Or-ganisation äußerst gefährlich und bei eine Institutionalisierung für die freie Gesellschaft tödlich sein können. Wenn also eine Organisation Fehler in der Kommunikation begeht, die nicht ausdrücklich oder be-wusst auf strategische Überlegungen zurückzuführen sind, ist dies ein Zeichen dafür, dass sie noch nicht so weit entwickelt ist, dass sie für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden kann.

Primitive Organisationen zeichnen sich durch übersteigerten Männlichkeitswahn oder falsch verstandenen Feminismus aus…
Eines der wichtigsten Kennzeichen für den psychologischen Zustand einer hochentwickelten Organisation ist die Ausgewogenheit zwischen männlichen und weiblichen Prinzipien. Jung betont, dass der männliche Anteil der Psyche Energie liefert für die Perfektion, und der weibliche Anteil Energie für die Vollendung Ein offensichtliches Paradoxon: Wer nach Perfektion strebt, kann nie etwas vollenden. Wer etwas vollendet will, ist selten perfekt.
Organisationen haben dasselbe fundamentale Paradoxon von Perfek-tion und Vollendung zu bewältigen, aber die Mehrzahl ist von einer dominant männlichen Psyche geprägt. Die meisten Organisationen die-ser Erde wurden von Männern aufgebaut – ob zu ihrem Vorteil mag da-hingestellt sein. Das Ergebnis ist ein Ungleichgewicht zugunsten der männlichen Komponente. Es gibt für eine Organisation keine Möglich-keit sich deutlich über eine primitive Stufe hinaus weiterzuentwickeln, solange dieses Ungleichgewicht nicht beseitigt ist.
Eine Organisation kann sich heutzutage nur weiterentwickeln, wenn auch die weiblichen Prinzipien stärker berücksichtigt werden. Das be-deutet die Integration der Frauen auf allen – insbesondere auch den höchsten – organisatorischen Ebenen. Es geht nicht darum, nett zu den Frauen zu sein oder EG- Richtlinien zu befolgen. Es geht darum, sich anzupassen und zu überleben. Weder die Männer noch die Frauen haben die Weisheit gepachtet. Nur gemeinsam kann die Realität ge-meistert werden.

Wir können uns primitive Organisationen nicht leisten…

Dies sind nur einige wenige Kennzeichen organisatorischer Intelligenz. Es gibt noch andere, deren Berücksichtigung aber den Rahmen eines solchen Vortrags sprengen würden. Die Erforschung der Gesetzmä-ßigkeiten, nach denen sich eine Organisation entwickelt, ist zwar noch eine relativ junge Disziplin, aber es beginnen sich doch Wege abzu-zeichnen, wie sich eine Organisation weiterentwickeln, wie sie lernen und sich selbst verändern kann.
Nicht intelligente, unterentwickelte Organisationen werden zunehmend zu einer internationalen Belastung. Die Welt ist zu klein und die Probleme sind zu groß und zu wichtig, als dass man sich solche Organisationen leisten könnte. Sie können manchmal sehr gefährlich und schädlich sein – das Dritte Reich ist ein Beispiel dafür, auf jeden Fall aber sind sie entwicklungshemmend und destruktiv. In ihrer Entwicklung gehemmte Organisationen können nicht effektiv und effizient funktionieren, sie benötigen enorme Ressourcen an Material und Energie und können ganz einfach die sich ihnen stellenden Herausforderungen nicht bewältigen. Jedem, der sich auch nur halbwegs mit der Materie beschäftigt hat, ist klar, dass Kriege in einer Welt, die so eng miteinander verknüpft ist, keinen Platz mehr haben dürfen. Egoistische Wirtschaftsformen auf Kosten der anderen sind nicht länger tragbar. Krankheiten und Hungersnöte müssen stärker bekämpft werden. Ebenso der saure Regen. Die Liste könnte beinah beliebig fortgesetzt werden.

Organisationen brauchen engagierte Weiterentwicklung…
Organisationen brauchen engagierte, fachkundig Weiterentwicklung, um die übergreifenden Probleme, die nur von Organisationen bewältigt werden können, angehen zu können. Sie sind im Grunde genommen eine Art Weiterentwicklung von uns selbst und der verlängerte Arm unserer Intelligenz, Kreativität und unseres Willens.
Auf eine Organisation gerichteter Ärger und Verdruss – in der Vergangenheit die Regel – führen nur zu Vergeltungsmaßnahmen, der wohl dümmsten Art der Reaktion. Und solange der Organisation keine anderen Wege aufgezeigt werden, wird sie auch nicht anders reagieren. Sie kennt nur den Angriff. Protestbewegungen haben gelernt, auf diese Art Organisationen zu manipulieren. Sie wissen, dass das System mit Angriff auf Angriffe reagieren muß, weil es nie etwas anderes gelernt hat. Dies führt zu Ausschreitungen durch die Sicherheitskräfte und Festnahmen bei den Demonstranten. Am nächsten Tag kann man dann den Zeitungen entnehmen, wie absolut idiotisch sich die Organisation verhalten hat. Wie sonst ist zu erklären, dass Protesten weltweit auf die gleiche Art begegnet wird. Es kann nicht nur an den daran beteiligten Individuen liegen. Sie sind zu unterschiedlich, ihre kulturellen Unter-schiede zu groß, um eine so verblüffende Ähnlichkeit bei der Reaktion von Organisationen erklären zu können.

Wir als Individuen müssen Engagement zeigen…
Gerade wir Individuen müssen als der intelligentere Teil von den beiden existierenden Systemen soviel uneigennütziges Engagement aufbringen und den Organisationen dabei helfen, zu lernen, wie ein zivilisierter Dialog über die bestehenden Unterschiede organisiert und durchgeführt werden kann. Das bedeutet nicht, dass man die Organisationen nicht für ihr Verhalten verantwortlich machen sollte, ganz im Gegenteil. Sie sollten aber nur insofern zur Rechenschaft gezogen werden, als sie die Informationen soweit verarbeiten können, dass sie von ihrem Verhalten lernen und es verändern können. Bisher sind die zur Verfügung stellenden Mechanismen meist juristischer oder ausdrücklich feindlicher Art (wie auch die meisten Zusammenschlüsse) und nicht pädagogischer Art.
Ein erster Anfang ist gemacht. Das Rechtssystem erteilte Texaco eine Lektion in Sachen Vertragserfüllung, die alles andere als feinfühlig und rücksichtsvoll war. Die Regierung der USA erteilte Sunstrand eine $ 198 Mio. teure Lektion in punkto Verschwendung, Betrug und Missbrauch. Diese deutliche Sprache war offensichtlich notwendig. Und gerade darin liegt die Tragödie. Texaco und Sunstrand verstehen offensichtlich keine andere Sprache. Wie sonst ist zu erklären, dass sie ihre lebenswichtige Energie auf solche unwichtigen Streitereien verschwenden. Ein höher entwickeltes System hätte diese Auseinandersetzung wesentlich effektiver und effizienter beigelegt – oder noch besser – gar nicht erst damit begonnen. Wie es scheint, haben beide Organisationen ihre eigenen Ressourcen verschwendet und die ihnen zur Verfügung stehende Energie, die sie eigentlich für Anpassung und Weiterentwicklung einsetzen sollten, sinnlos vergeudet. Beide Organisationen sind jedoch – ebenso wie die große Mehrheit der Organisationen – Teil unseres eigenen Gemeinwesens und deshalb sehr wichtig für uns. Durch sie haben wir einen größeren Einfluss auf den Ablauf der Dinge und können Umwelt und Wirtschaft steuern. Dadurch können wir ein sinnerfülltes und verantwortungsbewusstes Leben führen.

Nur wir können etwas verändern…
Es ist offensichtlich, dass die meisten Organisationen nicht bereit sind, Verantwortung in dem Maße zu übernehmen, wie es zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich erforderlich wäre. Sie brauchen viel Hilfe – engagierte und verantwortungsbewusste Hilfe. Nur wir können diese Hilfe leisten, weil nur wir wissen worauf es wirklich ankommt und was geleistet werden könnte. Wenn wir jedoch weiterhin glauben, sie seien gerissener als sie wirklich sind, werden wir sie wegen ihrer Dummheit angreifen und weiterhin ihre Paranoia rechtfertigen. Wenn wir uns nicht als Teil von Organisationen betrachten, sondern als ihr Opfer, sagen wir uns von dem los, was wir selbst aufgebaut haben und zerstören uns damit selbst. Es besteht die Gefahr, dass wir gerade dies tun. Wir wissen nicht viel von ihnen, sie sind praktisch Fremde mitten unter uns. Ich behaupte, es liegt in unserem ureigensten Interesse, uns miteinander bekannt zu machen und bald zu Freunden zu werden.

Fähnchen…

Hallo, Welt!

Heute Abend wollte ich ein Wortschätzchen zum Thema „Verarscht“ schreiben. Dieses wunderbare Wort grassiert gerade bei mir im Büro und ich dachte, das bietet sich wirklich an.

Vorher wollte ich nur schnell… für eine Organisation, der ich angehöre, einen Flyer einscannen und per Mail verschicken.

Ich bin in der vergangenen Stunde mit meinen tiefen Bedürfnissen nach Unterstützung, Effizienz, Verstehen, Autonomie, Vertrauen (in die Technik und meine Fähigkeiten), Gesehen und Gehört werden (keiner meiner technik-affinen Freunde war bei Skype online, und fast hätte ich die GfK-Hotline angemorst…) in Kontakt gekommen. Zwischendurch rief eine liebe Freundin an, um mir ein paar wundervolle Dinge zu berichten. Doch meine Freude hielt sich in Grenzen: Ich wollte den Scanner zum Laufen bringen. Ich kriegte bekloppte Fehlermeldungen, die sich im wesentlichen darauf bezogen, dass der Drucker-Scanner den Computer nicht fand. Weder im Netzwerk noch über USB-Kabel. Die heißeste Fehlermeldung war, der Computer sei beschäftigt, ich möge bitte einen anderen Computer auswählen… Meine Freundin schlug dann vor, ich möge die Seite fotografieren und dann überPhotoshop in ein PDF umwandeln. Und ich sagte frustriert: Da habe ich hier ein schönes neues Espon DruckerScannerEierkocher-Multifunktionsgerät und soll die Seite fotografieren? Das ist wie die Sache mit den Fähnchen…

Und bei meinem allerletzten Versuch das Dokument zu scannen schnurrte das Gerät auf einmal leise los. Und! Ich habe das gescannte Dokument, leider nur ein jpg und keine PDF, auf dem Rechner wiedergefunden. Hurra! Ich lass mich doch nicht von so einem Gerät verarschen!

So long!

Ysabelle

Vorankündigung

Hallo, Welt!
Ich habe ein Wortschätzchen zum Thema „ertappen“ in der Pipeline. Aber ich bin zu müde, um es heute fertig zu machen. Es kommt Morgen.

Sp long!

Ysabelle

Im Krankenhaus

Hallo, Welt!

Heute habe ich wieder einen Krankenbesuch gemacht. Es hat mich gefreut, einfach nur empathisch da sein zu können und Angst und Tränen auszuhalten. Es war wirklich aus tiefstem Herzen ok für mich. Es erstaunt mich zwischendurch selbst, dass es so ist, aber die Fortschritte in Bezug auf die Giraffenohren sind wirklich ein Grund zu feiern.

Schwer hören konnte ich, was da in den vergangenen zwei Tagen mit dem Chefarzt abgelaufen war. Die Kranke hatte den Eindruck, dass er jetzt insgesamt schon drei Mal eine Verabredung nicht eingehalten hat. Termine wurden ohne Information verschoben. Dazu kommt, dass die Aufklärung über das weitere Vorgehen für sehr viel Angst und Unsicherheit gesorgt hat. Und der Arzt scheint das nicht wahrnehmen zu können. So wurde der Patientin zum Beispiel mitgeteilt, dass ihr erneut eine Magensonde für die Ernährung gelegt wird. Es wurde ihr aber auch gesagt, dass sie weiterhin essen könne. Auch ich habe nicht verstanden, warum man jemandem eine Magensonde legt, wenn derjenige doch essen kann. Zum Glück klärte das heute Abend eine Schwester auf. Bei der anstehenden Behandlung steht zu befürchten, dass die Patientin sich sehr schlapp und schwach fühlt, vermutlich auch keinen Appetit hat, nicht essen mag. Da ist es gut, wenn die Ernährung trotzdem gesichert ist, zumal die Patientin Diabetikerin ist. Und das stellt man halt mit dieser Sonde sicher.
Die Patientin erzählte zwei Beispiele aus dem Arztgespräch, die mich schwer frustriert haben, Und ich erinnerte mich an einen Besuch bei meinem Zahnarzt, den ich im übrigen sehr schätze. Mir musste oben ein Backenzahn gezogen werden und ich hatte super viel Angst. Ich lag also in diesem Stuhl, als der Zahnarzt rein kam. Er sah meine Tränen und sagte, was ist denn los? Ich antwortete, ich habe solche Angst! Seine Reaktion riss mich aus dem Sessel. Er knurrte zurück: Ich habe das schon öfter gemacht!
Er hatte Zweifel an seinen Fähigkeiten gehört – ich hatte aber nichts Derartiges gedacht oder gemeint. Ich wünschte mir Empathie. Stattdessen tröstete ich den Zahnarzt… Verkehrte Welt!
Ich finde, empathischer Umgang mit Patienten müsste ein Schwerpunkt im Medizinstudium sein. 80 Seminartage GfK, um überhaupt zugelassen zu werden, das wärs doch!

So long!
Ysabelle

Entscheidungen

Hallo, Welt!
Ich beobachte gerade ein interessantes Phänomen. Zuerst ist es mir vor ein paar Wochen bei mir selbst aufgefallen. In einer bestimmten Situation ging es darum, eine Entscheidung zu treffen und ich ertappte mich bei der Überlegung, der andere möge doch bitte endlich zu einem Entschluss kommen. Es gab eine wunderbare Wolfsshow dazu, die ich sehr genossen habe. Dann kam die Erkenntnis, ich selbst könne ja auch eine Entscheidung treffen, dann wäre das Thema erledigt. Ich sah dann bei näherer Untersuchung, welche guten Gründe ich hatte, die Entscheidung nicht übers Knie zu brechen und konnte jetzt in Ruhe abwarten.
Dieser Tage war ich mit einer Bekannten essen. Bei ihrem Mann gibt es berufliche Herausforderungen und sie drängt ihn, eine Entscheidung zu treffen. Während ich versuchte, ihr Empathie zu geben, wurde mir ganz deutlich, dass ich dieses „Spiel“ gerade aus meinem Leben kannte. Den Zeigefinger auf den anderen richten: DU musst das entscheiden!
Ein guter Freund von mir erlebt gerade in Liebesdingen eine Zwickmühle. Seine langjährige Partnerin will ihn aus veschiedenen Gründen bis Weihnachten nicht sehen. Er erwartet von ihr die Entscheidung zur finalen Trennung, findet aber innerlich nicht dir Klarheit, sich selbst zu trennen.
Wahrscheinlich lässt es sich nicht verallgemeinern, aber in diesen drei Fällen (und einigen kleineren Episoden der vergangenen Tage) war es so, dass jeweils vom anderen eine Entscheidung erwartet wurde, obwohl man selbst unklar war, was man wollte.
Wenn ich meinen eigenen Fall und die guten Gründe anschaue, weiß ich für dieses eine Mal, warum es so war:

Ich wollte keine Entscheidung „gegen“ mein Gegenüber treffen. Ich wollte Konsens, aber bitte mit meiner Lösung. Da ich nicht klar erkennen konnte, ob mein Gegenüber bereit war, sich meiner Lösung anzuschließen, strampelte ich auf der Stelle und forderte Klarheit von meinem Gegenüber. Ich blieb in der Deckung, ich traf eben keine Entscheidung. Ich übernahm nicht die Verantwortung für das, was ICH wollte.
Feigling, Weichei, Warmduscher – meine pelzigen Freunde haben da ein paar schöne Bezeichnungen für mich. Zum Glück gibt es ja auch noch den Blick auf die Bedürfnisse. Vielleicht brauche ich für eine gute Entscheidung in MEINEM Sinne Harmonie, Verbindung, Gesehen und gehört werden, Respekt und Verständnis.
Und vielleicht muss ich akzeptieren, dass nicht unbedingt mein Gegenüber mir diese Bedürfnisse erfüllen wird oder kann. Dann bin ich eingeladen, an anderer Stelle danach zu streben und für meine Entscheidung die Verantwortung zu übernehmen. Auch wenn mir das Angst macht.

So long!
Ysabelle

Glaubenssätze als Schutz

Hallo, Welt!
Markus schrieb dieser Tage einen Kommentar, der mich noch immer beschäftigt und freut. Dabei ging es um Glaubenssätze, die tief in uns verankert sind und zum Bestandteil unseres Selbstbildes wurden. Ich erlebe es als großes Abenteuer, meine Persönlichkeit nach und nach von diesen Glaubenssätzen zu entkleiden. Ich erinnere mich noch gut an meine Tränen und meine Scham, als ich das erste Mal zu dem Thema gearbeitet habe. So sehr hatte ich „du kannst nicht mit Geld umgehen“ verinnerlicht, dass ich in diesem Gestrüpp kaum in der Lage war, eine Beobachtung zu benennen. Inzwischen habe ich festgestellt, dass ich eine Vielzahl von Glaubenssätzen habe, die es lohnen näher angesehen zu werden. Bisher habe ich noch keine richtig erfreulichen gefunden, aber ich will nicht ausschließen, dass die noch kommen.
Vor rund 15 Jahren war ich allein im Skiurlaub. Ich fuhr den Idiotenhügel zum Sessellift hinunter und traf dort auf eine Gruppe fröhlicher Menschen, die offensichtlich einfach nur Spaß hatte. Einer der Männer gefiel mir ausnehmend gut, Da hörte ich in meinem Kopf eine klare Stimme, die sagte: der ist nichts für dich! Das war das erste Mal, dass ich bewusst mit einem meiner Glaubenssätze in Kontakt gekommen bin. Es wäre schön gewesen, wenn ich damals schon Byron Katie und ihre vier Fragen gekannt hätte. Ist das wirklich wahr?…

Bei meiner Arbeit an Glaubenssätzen habe ich zwei verschiedene Ansätze. Beim Experimentieren mit Katies vier Fragen geht es darum, den Glaubenssatz als solchen in Frage zu stellen und zu gucken, welche Energie in mir lebendig ist. Den zweiten Ansatz nenne ich „die Einladung“. Ich vermute heute, dass diese Glaubenssätze einen Persönlichkeitsanteil von mir repräsentieren, der vor allem eins will: Mein Bestes. Und dieser Teil möchte gesehen werden mit seinen Anstrengungen, mich vor Schmerz, Strafe und Enttäuschung zu bewahren. Wenn er Gehör findet, können wir einen Weg entdecken, in dem alle meine Bedürfnisse zählen. Voraussetzung ist, dass ich bereit bin, mir zuzuhören…

So long!
Ysabelle

Unter Frauen

Hallo, Welt!
Die Giraffenohren wollen und wollen nicht wachsen.
Normalerweise gehe ich mittags mit vier Männern essen. Wir reden darüber, wie der HSV gespielt hat, ob es noch Versicherungsschutz gibt, wenn man im Winter ohne Winterreifen einen Unfall baut, wie man die Satellitenanlage neu ausrichtet und dass es bei REWE ITunes-Gutscheine zu kaufen gibt. Dazwischen nörgeln wir ein bisschen über das Kantinenessen.
Heute habe ich zwei Mahlzeiten im Kreis von Frauen eingenommen. Ich bin noch immer völlig geplättet über die Gesprächsinhalte. Die Frauen beurteilen sich selbst als zu fett, bezeichnen sich als dumm, untalentiert, ungeeignet, zu blöd. In mir war heller Aufruhr und ich wollte meinen Gesprächspartnerinnen Empathie geben. Aber sie wollten keine. Ja, sie verstanden nicht mal, wovon ich sprach. „Wieso, ist doch nicht schlimm, wenn ich dafür zu blöd bin?!“
Inzwischen habe ich Schübe von tiefer Irritation. Ist es wirklich nicht schlimm, sich so zu titulieren? In meiner Überzeugung fügen wir uns damit Schmerz zu und sind oft so gefühlstaub, dass wir es nicht mal merken. Doch ganz offensichtlich brauchen nicht meine Gesprächspartnerinnen Empathie. Sie scheinen nicht zu leiden. Aber mir geht es schlecht dabei und ich bin auf der Suche nach einem neuen Umgang damit.

Hat einer von Euch einen Tipp für mich?

So long!

Ysabelle

Selbstliebe

Hallo Welt!
Ich bin glücklich in Barcelona gelandet, wohin mich ein Wochenend-Termin verschlagen hat. Seit Stunden tobt hier ein Unwetter, es heult, pfeift und blitzt um dieses Haus hier auf dem Berg. Eben habe ich mit den Kollegen zusammen gegessen, und einer der anderen Gäste ließ sich dazu hinreißen, einen Witz zu erzählen. „Warum haben Männer keine Cellulite? Weil’s Scheiße aussieht!“ Vorausgegangen war ein Geplänkel unter Frauen über Figurprobleme, Dellen am Po und schlaffe Oberarme. Meine Gesprächspartnerin seufzte: „Männer kommen gar nicht erst auf die Idee, sich mal quer vor den Spiegel zu stellen. Die ziehen mal kurz den Bauch ein, lächeln sich zu und sagen: passt schon!“
Dieser Tage machte mich Gabriel auf Robert Betz aufmerksam, einen Psychologen und Psychotherapeuten, der auch sehr spannende Vorträge hält. In einem dieser Vorträge lädt er dazu ein, sich doch einmal nackt vor den Spiegel zu stellen und sich einmal selbst beim Denken zuzuhören. Liebe ich das, was ich da sehe? Oder mäkel ich an mir rum? Erfreue ich mich an mir und meinem Körper, oder liegt mein Fokus auf Cellulite, Speckröllchen und Hängebusen?
Betz glaubt: wenn wir uns selbst nicht so lieben, wie wir sind, und gleichzeitig hoffen, dass ein Partner das für uns übernimmt, ist das eine schwere Hypothek für jede Beziehung. Denn gegen unsere eigenen Glaubenssätze kann eigentlich kein Partner gegenanlieben.
Deshalb lautet mein aktuelles Projekt: Selbstliebe. Bei dem, was ich im Spiegel sehe, könnte es eine glückliche Beziehung werden…

So long!

Ysabelle

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