Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Wir sind was wir denken

Hallo, Welt!
Nachdem ich annähernd 30 Jahre als Bahnfahrende unterwegs war, fahre ich nun seit einem Dreivierteljahr mit dem Auto über Landstraßen zur Arbeit. Je nach dem, wie ich gerade drauf bin, reagiere ich auf andere Verkehrsteilnehmer. Wer von hinten kommt und mich überholt, ist meist ein Spinner. „Ich fahr doch schon (fast) 100, was willst du denn noch?“ Alle Treckerfahrer sollten sowieso eine eigene Spur haben. Morgens, wenn ich selbst pünktlich bei der Arbeit sein will, stören mich Trecker mehr als nachmittags, wenn ich nach Hause dümpel.
Vorige Woche nun war ich bestrebt, besonders früh bei der Arbeit zu sein, denn meine Kollegin hatte Urlaub und ich wollte noch etwas vorbereiten. Vor mir fuhr ein Wagen, dessen Fahrer/Fahrerin sich exakt an die vorgeschriebenen Geschwindigkeitsregeln hielt. Strich 50 in der Ortschaft, 70 auf dem Teilstück bis zur Umgehung, wieder runter auf 50… Ich hing dahinter und hörte mich vehement fluchen. Gehts noch ein bisschen langsamer? Soll ich rauskommen und schieben? Alter, darfst du überhaupt noch/schon fahren?
Das war eine spannende Erfahrung. Ich würde mich selbst als sehr verkehrsregeltreu bezeichnen. In meinen 35 Jahren Führerscheinbesitz bin ich ein einziges Mal geblitzt worden – beim Abbiegen in eine 30-er-Straße in Hamburg, wo ich wegen des nachfolgenden Verkehrs zusehen musste die Kreuzung zu räumen. 15 Euro. Ich glaube, meine erste rote Ampel habe ich 2010 überfahren… Und nun hielt sich jemand an die Regeln und ich brodelte hinter dem Steuer wie ein HB-Männchen/Frauchen.
Als erstes ging mir auf, dass vermutlich tausendfach andere Fahrer hinter mir so gebrodelt haben. Geht’s nicht ein bisschen schneller? Es ist doch alles frei… Das entlockte mir schon mal ein kleines Grinsen. Guck an, jetzt geht es dir mal so wie es den anderen vielleicht hinter dir ergeht…
Im nächsten Schritt konnte ich direkt körperlich wahrnehmen, wie sich abhängig von meinen Gedanken meine Laune/meine Körperspannung veränderte. Dachte ich, der Vorausfahrende wäre ein Idiot und würde etwas falsch machen, erhöhte sich mein Blutdruck, die Kiefermuskeln und der Nacken waren angespannt, die Hände pressten sich ans Lenkrad. Als ich mir bewusst machte, dass das lediglich meine Gedanken waren, die mich so aggressiv werden ließen, spürte ich die Ent-Spannung in allen Knochen. Ich konnte auf einmal wählen. Wut oder Gelassenheit. Das war ein faszinierendes Erlebnis.

Ich habe schon häufiger festgestellt, dass meine Gedanken meine Stimmung beeinflussen. Am drastischsten – ACHTUNG, KÖNNTE UNERWÜNSCHTE ASSOZIATIONEN AUSLÖSEN – erlebe ich das in Bezug auf Erbrochenes. Meinem eigenen Kind konnte ich nicht helfen, wenn ihm schlecht war. Und im Auto war ihm ständig schlecht. Prompt setzte bei mir der Brechreiz ein. Das setzte sich in den vergangenen Jahren fort, wenn die Katzen sich irgendwo übergeben hatten. Auch beim 100. Mal (ich habe schon seit 27 Jahren Katzen) wurde es nicht besser. Und irgendwann habe ich gemerkt, wenn ich das beseitige, denkt es etwas in mir, und das Denken löst meinen Brechreiz aus.
Ich hatte einmal ein Gespräch mit meiner Mutter, die ja ein Tracheostoma hatte, also eine Kanüle im Hals. Sie schleimte ständig und tat das auch geräuschvoll neben mir im Auto auf der Heimfahrt vom Krankenhaus. Ich merkte schon, wie mir übel wurde und ich bat sie, einen etwas dezenteren Weg zu finden. Einen Augenblick war Stille, dann sagte sie: „Tut mir Leid, ich habe es ein bisschen übertrieben. Ich wollte einfach, dass es sichtbar/hörbar wird, was das für eine schreckliche Krankheit ist und wie beschissen es mir geht…“

Ich glaube, das war der Wendepunkt. Ich konnte mich vollkommen mit ihr verbinden. Ich konnte bei ihr sein in ihrem rotzenden Elend. Und das ist mir bis zu ihrem Ende immer häufiger gelungen. Ich konnte auf einmal meinen Brechreiz im Kopf abschalten, indem ich bewusst an etwas anderes dachte. Oder mit dem Brechreiz „redete“. Ganz ruhig. Stell dir vor, es wäre etwas anderes… es ist nur das, was du denkst, was diesen Würgereiz auslöst… denk einfach an was anderes oder an nichts…

Für mich ist das ein großes Geschenk: Zu erkennen, dass meine Gedanken meine Existenz beeinflussen, und dass ich daher meine Gedanken verändern kann, um Frieden zu haben. Wie bei dem Autobeispiel muss ich vielleicht erst fühlen und wolfen, um dafür den Schalter zu finden. Ich muss zu Bewusst-Sein kommen. Solange ich hinter dem Lenkrad dumpf vor mich hin wüte, verankere ich mich in der Welt von Richtig oder Falsch. Beim Erkennen meiner Gefühle und Bedürfnisse zeigt sich auf einmal die Tür aus diesem Knast…

So long!

Ysabelle

Lob, Anerkennung und die Haltung

Hallo, Welt!
Puh, hier muss ich erst mal den Staub vom Dashboard blasen. Monate habe ich nichts geschrieben. Themen hätte es genug gegeben. Aber Zeit und Kraft sind endlich. Jetzt ist der Hausstand meiner Mutter aufgelöst, die Wohnung geräumt. Ab Montag wird sie neue Mieter haben. Und bei mir stehen noch immer Umzugskartons, Lampen, Bücherkisten… Keine Ahnung, wo ich sie lassen soll.

Ein GFK-Freund schrieb mir gestern, und ich habe heute geantwortet. Das Thema finde ich so spannend, dass ich es gern hier teilen möchte. In seiner Nachricht heißt es:

ich denke gerade über „Dankbarkeit und Lob“ nach.
Wenn ich eine Frau sehe, die ein sehr schönes Kleid an hat und ich geneigt bin, dies wertschätzend anzusprechen, dann tue ich das doch nicht aus Dankbarkeit heraus, oder doch? … Liebe Grüße aus XY, M.

Ich musste schmunzeln, denn er hatte mir neulich etwas Nettes sagen wollen und war dabei im Urteilsmodus gelandet. Wir haben darüber gesprochen, offenbar war davon was hängen geblieben. Und ich habe ihm geantwortet:

Moin, Kollege,

Lob ist nicht auf Augenhöhe, und Lob spricht nicht von Dir. Lob beurteilt, was der andere getan hat. Lob trägt nicht unbedingt zur Verbindung bei.

Um bei Deinem Kleiderbeispiel zu bleiben:

Du siehst jemand, der sich in einer Weise kleidet die Dir gefällt, die Dich anspricht, die Deinem Geschmack entspricht. Es erfüllt also Deine Bedürfnisse nach Schönheit, Ästhetik, Eleganz. Das jetzt zu kommunizieren erfüllt vielleicht Deine Bedürfnisse nach Feiern, Beitragen zum Wohlergehen des anderen, Anerkennung oder Wertschätzung. Vermutlich wird dann auch Deine Wortwahl anders ausfallen als bei Lob. Statt so was zu sagen wie „du hast so einen guten Geschmack bei deiner Kleiderwahl“ sagst du jetzt vielleicht, wow, ich finde, das Kleid steht dir toll, die Farben passen zu deinem Typ und der Schnitt betont deine Taille. Ich bin ganz hin und weg…

Noch Ideen dazu?

Mir geht es nicht nur um Lob oder Anerkennung, mir geht es um die Haltung. Ich merke, wie mir Augenhöhe immer wichtiger wird. Zwei Menschen aus meiner Übungsgruppe quälen sich aktuell mit der Frage, „muss ich denn immer GFK machen?“ Nein. „Müssen“ schon mal gar nicht. Das Beispiel, mit dem wir am Donnerstagabend gearbeitet haben, zeigte sehr eindrücklich, worum es wirklich geht. Es geht um Verbindung. In erster Linie zu mir. Wie geht es mir, zum Beispiel wenn ich mich über die Aussage einer anderen Person ärgere und auf einmal sehr kühl reagiere? Merke ich dann noch, wie es mir geht, oder bin ich im klassischen Urteilsmodus Gut ./. schlecht oder richtig ./. falsch? Für die Teilnehmerin, deren Beispiel wir auseinander genommen haben, war es ein Aha-Erlebnis zu erkennen, dass sie auf bestimmte Weise reagiert hat, um sich zu schützen und ihren Raum zu verteidigen. Das war ihr vorher gar nicht bewusst gewesen. Als sie ging, war sie mit sich verbunden. In der Situation, die wir beleuchtet haben, war das nicht der Fall. Ich vermute, dass alle diese moralischen Urteile uns letzten Endes von uns selbst entfernen. Wie seht Ihr das?

So long!

Ysabelle

Fleischlos glücklich?

Hallo, Welt!
Ein GFK-Freund hat mir zu Ostern einen Film geschenkt: Forks over knifes. Anscheinend ist das ein Kultfilm der veganen Bewegung, und da ich noch nie Interesse hatte, Veganerin zu werden (nicht mal zur Vega auszuwandern, trotz meiner Schwäche für Perry Rhodan), ist diese Dokumentation total an mir vorbeigegangen. Nun also Forks over knifes. Ein erschütternder Film. Zwei sehr renommierte US-Ärzte weisen nach, dass unsere gewohnte Ernährung der letzten 100 Jahre dazu beiträgt, dass Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes, Metabolisches Syndrom, Bluthochdruck und andere Schweinereien durch die Umstellung unserer Ernährung auf fleischreich, voller Milchprodukte und tierischen Fetten erfolgt ist. Besonders beeindruckt hat mich ein Chart: Norwegen hatte bei Beginn des Zweiten Weltkriegs die gleiche Rate von Herzerkrankungen wie andere europäische Länder. Dann marschierten die Deutschen ein und beschlagnahmten erst mal alle landwirtschaftlichen Nutztiere für ihre eigenen Zwecke, die Truppen und die „Heimatfront“. Die Einheimischen mussten zwangsläufig auf pflanzliche Kost umschwenken. Sofort sank die Zahl der Koronarerkrankungen in ganz Norwegen signifikant. Nach Kriegsende dauerte es nicht allzu lange, bis die Norweger wieder genau so viele Herzerkrankungen hatten wie der Rest der Europäer…
Es gibt übrigens eine komplette Studie über die Korrelation von Krebserkrankungen und Ernährung in China. Und in Japan war bis vor wenigen Jahrzehnten Prostatakrebs nahezu unbekannt, unter 20 Fälle auf die Hälfte der Einwohner der USA. Die USA hatte dagegen 14000 Fälle von Prostatakrebs. Die Studie führt auch diese Zahlen auf die Ernährung zurück.

ich war ja kürzlich beim Hausarzt zum Durchchecken. Zu hohe Blutfettwerte. Erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko. „Essen Sie weniger Fleisch und weniger Schokolade. Vermeiden Sie Fertigprodukte, vor allem vorpaniertes Fleisch (würde ich nie kaufen!) und Pizzen. Da ist billiges Fett drin…“
Und dann fällt mir dieser Film in die Hände. Und seit heute das dazu gehörige Kochbuch…
Was hat das mit Gewaltfreier Kommunikation zu tun?
Ich versuche mit mir gewaltfrei über die Reduzierung von Fleisch zu diskutieren. „Aber mit Fleisch zu kochen ist so viel einfacher. Und es schmeckt. Willst du auf all deine Lieblingsgerichte verzichten? Keine Lauchcremesuppe mehr, weil da Hack und Schmelzkäse drin sind? Keine Lauchnudeln mehr? Keine Thunfischnudeln?“
Oh… wenn diese Argumente auf den Tisch kommen, sackt mir das Herz in die Hose. Bis jetzt habe ich noch nicht so viele vegetarische Gerichte gegessen, die mir WIRKLICH geschmeckt haben und die ich mit ebenso viel Freude gegessen habe wie das eine oder andere meiner Fleischgerichte, zum Beispiel selbstgemachte Königsberger Klopse mmmmjammm….
Ich rede also freundlich mit mir und versuche mich dahin zu bewegen, erst mal den Fleischkonsum zu reduzieren. Das wird eine ganz andere Vorratshaltung brauchen. Nicht mal eben ne Dose Ravioli aufmachen… Gegen zwei Fleischgerichte pro Woche will ich nichts sagen. Mal sehen, wie ich da hin komme… Auch auf Wurst oder Aufschnitt möchte ich öfter verzichten. Und dann? Ich hatte gerade zwei Bio-Aufstriche, die haben mich nicht überzeugt. Mal sehen, wie viel Energie ich dafür aufbringen kann, mehr für meine Gesundheit zu tun. Einen Schritt unternehme ich JETZT. Ich gehe ins Bett.
So long!

Ysabelle

Ich höre nicht, was du grad sagst…

Hallo, Welt!
Meine Anwesenheit hier im Blog erfüllt nicht meine eigenen Anforderungen an mich. Gleichzeitig akzeptiere ich, dass ich es so gut mache wie ich kann. Nach wie vor bin ich dabei, den Hausstand meiner Mutter aufzulösen. Vor 14 Tagen bin ich mal eben ein Wochenende kurzfristig als Co-Trainerin eingesprungen, als Gerhard Rothhaupt einen Einführungskurs im Osterberg-Institut gehalten hat und sich das wegen einer schweren fiebrigen Erkältung allein nicht zutraute. Eine Ehre und eine Herausforderung. Ich war fünf Jahre seine Schülerin und jetzt seine Kollegin… Spannend.
Und am vorigen Wochenende hatte ich eine Mediation in Hessen und den Verkaufsstand auf dem Frühjahrstreffen in Steyerberg. Es geht doch nichts über eine multiple Persönlichkeit. Karfreitag dann ein erneutes Familientreffen in der Wohnung meiner Mutter. Und heute ein Kaffeetrinken im Familienkreis. Schnauf.
Als wir den Abtransport von Möbeln diskutierten, sagte ich, ich sei müde, erschöpft, mutlos und frustriert. Daraufhin entgegnete mir eine Person: „Ich bin nicht an deinen Gefühlen interessiert, ich will Lösungen.“
Ich brauchte kurz einen Kessel Selbstempathie, dann sagte ich, „Ich kann nicht zu Lösungen übergehen, solange ich nicht gehört worden bin. Was hast Du gehört, was ich gesagt habe?“ Die Antwort war: „Keine Ahnung.“
Daraufhin versuchte es jemand anderes aus dieser Runde und bot mir an: „Du bist genervt von uns“.

Danke, nice try.
Ich bin inzwischen im neunten Jahr mit Gewaltfreier Kommunikation unterwegs. Und meine eigene Familie ist nicht in der Lage, vier Gefühle wiederzugeben. Ich bin…

Hat vielleicht mal jemand von Euch von einem GFK-Kloster gehört, wo alte Frauen Zuflucht finden können? Einfach nur da wohnen, ein bisschen Küchendienst, beten und Unterricht (das mache ich ja so auch) und ansonsten in einer wohlwollenden, empathischen Gemeinschaft zu Hause sein. Ist das denn wirklich zu viel verlangt?

So long!

Ysabelle

Zahlenmystik

Hallo, Welt!
Gern pflege ich ja das Image, dass ich nicht rechnen kann. Welches Bedürfnis erfülle ich mir eigentlich damit? Vielleicht nach Schutz, damit andere mich nicht fragen, und ich womöglich die Antwort nicht kenne. Vielleicht habe ich auch ein Bedürfnis nach Unterstützung. Bitte hilf mir beim Rechnen… Oder geht es um Ruhe? Damit will ich nichts zu tun haben…? Oder um Verständnis: Schließlich habe ich gesagt, dass ich es nicht kann, dann versteht doch sicher jeder, dass in meiner Rechnung Fehler sind, oder? Leichtigkeit: Ey, rechnen strengt mich so an, könnt Ihr das nicht machen?
Jedenfalls habe ich es mir in dieser Nische ganz gemütlich eingerichtet, einen kuscheligen Sessel und eine Stehlampe reingestellt und kann mich prima dorthin zurückziehen.
Heute nun war wieder mal einer der Termine beim Steuerberater. Mich betreut ein reizender junger Mann, der meine Bedürfnisse nach Respekt, Unterstützung, Verstehen und Vertrauen voll erfüllt. Wenn es nicht gerade ein Besuch beim Steuerberater wäre, würde ich sagen, der Kontakt beglückt mich, natürlich in rein professioneller Hinsicht.
Heute nun gab es drei Situationen, in denen ich wunderbar gerechnet habe. Mein Berater hat sich verrechnet, ich ich hatte das richtige Ergebnis. Da flogen auf einmal Zahlen durch die Luft, von denen ich wusste, dass sie falsch waren. Und bei allen drei Gelegenheiten, bei denen ich nun heute gerechnet hatte, war das Ergebnis richtig.
Ich saß also beim Steuerberater und freute mich, dass ich richtig gerechnet hatte. Und ich fing laut an, mir selbst Wertschätzung zu geben: So schlecht, wie ich immer sage, kann ich anscheinend im Rechnen gar nicht sein. Anscheinend kann ich viel besser rechnen, als ich mir das selber zutraue. Ich möchte noch mal erwähnen, wie zufrieden und froh ich darüber bin, wie gut ich insgesamt mit diesem Buchhaltungskram klarkomme, obwohl ich doch immer wieder denke, ich könne gar nicht rechnen…

Na, das war schon verteilt auf 90 Minuten. aber trotzdem dürfte es auffällig gewesen sein. Ich glaube, dass es für mich gewirkt hat, vor allem das laute Aussprechen und Anerkennen, dass der alte Glaubenssatz nicht zutrifft. Ich fühle mich mutiger und kompetenter (jetzt bitte keine Diskussion darüber, wie man sich fühlt, wenn man sich kompetenter fühlt. Kraftvoll. Punkt.) Und was passiert? Ich entdecke heute Abend eine Rechnung, die komplett falsch ist. Hm, vielleicht nicht komplett (was ist die Beobachtung?). Aber bei einzelnen Positionen hat der Kunde einen falschen Preis bekommen. Hui! Statt jetzt wieder in die alte Schleife einzubiegen „ich kann halt nicht rechnen“ möchte ich feiern, dass ich diesen Fehler entdeckt habe. Der Kunde hat ihn nämlich nicht gefunden und eine überhöhte Rechnung bezahlt. Da bin ich doch heute echt spitze!

So long!
Ysabelle

Zettel allüberall

Hallo, Welt!
Ich bin ein Papiermessi. Messies sind Menschen, die alles aufheben möchten, weil man „das“ doch noch mal gebrauchen kann. Das führt dazu, dass meine Küche aktuell aussieht als sei ein Papiercontainer explodiert. Unterrichtsvorbereitungen, meine eigene Werbung, Rechnungen, die Abrechnung meiner Heizung, die vor einem Jahr eingebaut wurde, Trauerpost, Rechnungen an meine Mutter, Rechnungen wegen meiner Mutter, Gebrauchsanleitungen, Kundenzeitschriften, Flyer… und kleine Zettel. Im Portemonnaie, in Büchern, zwischen anderen Papieren, überall sind kleine handgeschriebene Zettelchen von meiner Mutter. Ermahnungen, Liebesgrüße, Einkaufsanweisungen, Erinnerungen, Gesprächsnotizen… Jedes Mal, wenn mir wieder einer in die Finger fällt, kommen die Tränen. Es wird keine neuen Zettelchen mehr geben.

Irgendwie möchte ich dieses Papierchaos bis Donnerstagabend lichten, sortieren, beseitigen. Aber wie?
Denn Freitag kommt meine Familie, wir werden die Asche meiner Mutter beisetzen. Und ich merke, wie viel Scham es gibt, dass meine Familie sieht, wie hier die Papierberge wuchern. Ich kann mit mir diskutieren, dass ich drei Jobs habe und den Haushalt meiner Mutter abwickele, und mich daher nicht mit einer verrenteten Vollzeithausfrau zu vergleichen brauche. Der Gedanke, nicht zu genügen, ist gerade mal sehr aktiv.

Und deshalb gehe ich heute nicht auf den Golfplatz, wie ich noch um 10 Uhr gedacht hatte. Die vergangenen zwei Stunden habe ich Zahlungsverkehr erledigt, jetzt lege ich mich ein bisschen hin, dann stelle ich neue Produkte im Shop ein und dann lade ich mein Auto aus, das bis unters Dach voll ist mit Sachen fürs Sozialkaufhaus. Damit ist dann der Samstag auch schon wieder „sinnvoll“ gefüllt. Es ist einfach zu viel.

Wenigstens mit mir kann ich freundlich sein. Ich muss mich nicht wolfen für das, was unerledigt bleibt. Ich kann anerkennen, dass ich zu jeder Zeit mein Bestes gebe.

So long!

Ysabelle

… ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen

Der Tod ist nichts,
ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen.
Ich bin ich, ihr seid ihr.
Das, was ich für euch war, bin ich immer noch.
Gebt mir den Namen, den ihr mir immer gegeben habt.
Sprecht mit mir, wie ihr es immer getan habt.
Gebraucht keine andere Redeweise,
seid nicht feierlich oder traurig.
Lacht weiterhin über das,
worüber wir gemeinsam gelacht haben.
Betet, lacht, denkt an mich,
betet für mich,
damit mein Name ausgesprochen wird,
so wie es immer war,
ohne irgendeine besondere Betonung,
ohne die Spur eines Schattens.
Das Leben bedeutet das, was es immer war.
Der Faden ist nicht durchschnitten.
Weshalb soll ich nicht mehr in euren Gedanken sein,
nur weil ich nicht mehr in eurem Blickfeld bin?
Ich bin nicht weit weg,
nur auf der anderen Seite des Weges.

Henry Scott Holland (1847-1918)

Hallo, Welt!
Um 13.01 Uhr kam der Anruf aus dem Hospiz. Das Leiden hat ein Ende. Ich fühle Leere, Erleichterung und Trauer. Erfüllte Bedürfnisse: Dankbarkeit. Für meine Mutter, für all das, was wir in den letzten Jahren teilen durften. Dankbarkeit, dass es vorbei ist. Auch mein Bedürfnis nach Frieden ist erfüllt. Nach Wärme und Liebe. Nach Unterstützung, denn meine Tante und meine Cousine waren heute Morgen noch bei meiner Mutter. Doch ihren letzten Atemzug hat sie erst getan, als beide gegangen waren. Die letzten Tage haben mich sehr gefordert. Am Sonntag war ich zuletzt da. Montag zeichnete sich schon ab, dass es zu Ende geht. Aber ich bin noch immer krank, höre fast nichts auf dem rechten Ohr. Gehe trotzdem zur Arbeit. Und dann auf die Autobahn, 120 km? Und nachts zurück? Ein Spagat zwischen Fürsorge und Selbstfürsorge. So habe ich sie nicht mehr gesehen und werde sie auch nicht mehr sehen.
Heute kein Business as usual. Ich lass mich mal spüren, was jetzt dran ist.

So long,
Ysabelle

Friede sei mit Dir, Marshall…

Hallo, Welt!
Gestern Abend erreichte mich die Nachricht, dass Marshall Rosenberg Marshall_looking_upam vergangenen Samstag im Kreis seiner Familie gestorben ist. Anscheinend hatte er schon lange Prostatakrebs. Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass er auch an Alzheimer erkrankt gewesen sein soll (uff, Plusquamperfekt Konjunktiv…). Ich sehe diese Nachricht, ich leite sie weiter, ich klinke mich ein in die Fuze-Konferenz des CNVC, wo wir alle die Möglichkeit haben, unsere Gedanken zu teilen (Infos dazu unten) und kann es nicht fassen. Das kann doch nicht sein. Marshall kann doch nicht tot sein. Ich erinnere mich daran, wie Anja Kenzler vor Jahren sagte, „Marshall wird uralt. Seine Mutter ist erst kürzlich gestorben, die ist auch uralt geworden“. Irgendwie war ich überzeugt, er würde den Friedensnobelpreis kriegen, endlich. Aber dazu muss er leben! Und nun ist er tot. Einfach so. Marshall Rosenberg ist tot.

Ich habe ihn nur neun Tage live erlebt, auf dem letzten IIT, das er in Europa geleitet hat. Das war 2009. Was für eine Eingebung, meine Kohle dafür rauszuhauen! Das IIT selbst fand ich eher enttäuschend. Da wurden die gleichen Inhalte unterrichtet, wie ich sie bei Anja Kenzler und Gerhard Rothhaupt schon kennen gelernt hatte. Und Marshall? „Gott“ Marshall? es gibt eine Anekdote dazu, die ich komplett vergessen hatte. Maria, eine der Teilnehmerinnen beim IIT, sprach Marshall an, ob er auch mal etwas Neues zu erzählen hätte? Alles das, was er sagen würde, könne man auch auf seinen CD’s und Videos hören. Und ich hörte mich selber laut sagen: „One does not critize GOD.“ Maria sprach mich vor zwei Jahren auf diese Äußerung an. Sie hatte meine Worte behalten, ich hatte sie vergessen… Mein altes Thema mit Autoritäten! Dabei war ich voller Bewunderung für Maria und ihre Kühnheit!
Ich glaube, Marshall war in 2009 schon nur noch ein Schatten seines früheren Selbst. Er wurde abgeschirmt von seinem Sohn und den anderen Trainern. In einer Situation hatte er entschieden, ein Healing anzubieten. Da rief seine Frau Valentina während des Workshops an und schien ihm das untersagen zu wollen. 60 Menschen verfolgten dieses bizarre Telefonat oder besser, Marshalls Antworten. Einige verließen den Raum, und ich erinnere mich, wie peinlich mir das war… Autonomie, Respekt…

Nein, Marshalls häufig beschriebenes Charisma blitzte damals nur noch selten auf. Und trotzdem fühlt es sich heute gerade „heartbroken“ an. Ich habe ihn nicht wirklich kennen gelernt, auch wenn ich ihn neun Tage erlebt und gesehen habe, er am Nachbartisch gegessen hat und neben mir auf der Terrasse gestanden. Es gibt sogar ein Foto von uns beiden… Aber seine Stimme hat mich in hundert Nächten begleitet. Über Jahre bin ich über Marshalls CD’s eingeschlafen. Sein Humor, seine klare Art, Dinge zu beschreiben, all das liebe ich an ihm. Ein fremder alter Mann, der mir neue Türen geöffnet hat… Mit Marshalls Hilfe ist es mir gelungen, bei mir selbst anzukommen. Seine Bücher waren eine Offenbarung für mich. Und die Fortführung seines Werkes durfte ich in der Arbeit vieler Trainer erleben: Anja Kenzler, Gerhard Rothhaupt, Kirsten Kristensen, Kit Miller, Dominic Barter, Robert Gonzales, Gina Lawrie, Simone Anlicker, Ian Peatey, Shantigarbha Warren, Simran K. Wester, Esther Gerdts, Andi Schmidbauer, Marianne Sikor, Vivet Alevi, um nur einige zu nennen. Und heute gehöre ich auch zu jenen, die die Fackel weiter tragen. Marshalls Wirken war nicht vergebens. Dazu möchte ich beitragen.

So long!

Ysabelle

Marshall Rosenberg passed from this life on Saturday, February 7th. 2015

Following the news of Marshall’s passing CNVC are inviting anyone touched by Marshall’s life and message to gather online to share our recollections of his life and teaching and the significance they have for us.

In order to care for our varied time zones and schedules, and to give space for all that we want to share, this online space of sharing will run continuously for 16 hours. You may dial in at any time, and stay for as long as is meaningful for you.

We will seek to ensure there is at least one CNVC staff or Board member present on the call at all times, to receive you and hold the space for sharing. We welcome companionship in this holding.

The gathering will begin at 3:00 UTC – in twenty minutes from the sending of this message. That is 10pm in New York (Feb 10, 2015), 3am in London, 4:00h in Paris, 8:30am in Delhi, 11am in Perth (Feb 11, 2015).

We will bring the sharing time to a close at 19:00 UTC – 16 hours and twenty minutes after the sending of this message. That is 2pm in New York, 7pm in London, 20:00h in Paris, 12:30am in Delhi, 3am in Perth.

To join the call from the US or via SkypeOut dial +1 201-479-4595 and enter meeting number 27870906
To call in from other countries, find local numbers here:

www.fuze.com/numbers?utm_source=Meeting-Invite

-then use the number for your country and enter the meeting number 27870906

If you have a fast internet connection and would like to join by computer with audio and video, download Fuze. https://www.fuze.com/download?utm_source=Meeting-Invite

Once FUZE is installed click this link http://fuze.me/27870906 to join the call.

With gratitude for our community,

– Dominic, for the staff and Board of CNVC

Dankbarkeit: 5. Februar 2015

Hallo, Welt!
Eine Woche Bettruhe und heute der erste Tag auf den Beinen. Ich bin um neun aufgestanden, jetzt ist es 23.40 Uhr und ich arbeite noch immer. Keine Ahnung, wo der kleine Preuße steckt, ich wurschtel einfach vor mich hin. Aber gleich nach diesem Blogbeitrag wechsel ich ins Schlafzimmer.
Jeden Tag telefoniere ich nun mit dem Hospiz. Heute hat eine Mitarbeiterin das Telefon aus dem Stationszimmer zu meiner Mutter getragen, die mit dem schon bekannten Kuhglocken-Geläut meine Fragen beantwortet hat. Mensch, wenn mir einer vor einem halben Jahr gesagt hätte, ich würde mal dankbar sein, wenn mir einer mit der Kuhglocke in den Hörer läutet, den hätte ich für verrückt erklärt.

Ich bin berührt und dankbar, dass man sich im Hospiz täglich Zeit für mich nimmt, um mit großer Freundlichkeit meine Fragen zu beantworten. Jeden Abend schicke ich ein Fax, das der Mama morgens gebracht wird. Dann hat sie gleich einen Gruß von mir, und Papier fand sie schon immer cooler als alles andere.
Dankbar bin ich heute auch für die Unterstützung durch meine Bürokraft. Klaglos hat sie die ganzen Lastschrifteinzüge weggearbeitet und dann mit mir im kalten Lager Pakete gepackt. In einer Woche ist Trainertreffen in München und wenn es der Zustand meiner Mutter zulässt, werde ich gen Süden düsen. Mein Sohn, der Speditionskaufmann, macht mir einen guten Preis, um eine Kiste Ware dort runter zu schaffen. Mehr ist dieses Jahr nicht drin, dafür ist einfach zu viel los in meinem Leben. Aber ein bisschen Flagge zeigen will ich dann doch.
Ich glaube übrigens, dass ich bestimmte Sachen lieber arbeite als andere. Ich schreibe zum Beispiel lieber einen Blogbeitrag als dass ich bügele. Und bügeln ist meine liebste Hausarbeit. Seit niemand mehr da ist, der mit mir isst, habe ich keine Lust mehr zum Kochen. Und was habe ich früher für Köstlichkeiten gezaubert… Also, bevor ich etwas Wichtiges im Haushalt erledige, mache ich lieber noch etwas „weniger wichtiges“ am Computer. Post wegsortieren ist ganz unbeliebt. Am schlimmsten ist Boden wischen. Und Fenster geputzt habe ich bestimmt 15 Jahre nicht. In der Küche kann man im Moment vor Papierbergen kaum treten. Also noch schnell einen Blogbeitrag, bevor ich noch diese Haufen sortieren muss… Oder einen Artikel. Oder eine Bestellung fertig machen. Für Morgen habe ich mir vorgenommen, etwas für mich und meine Schönheit zu tun. „Leichtsinnig“, sagt einer aus dem Preußen-Chor. „Du musst die Kohle zusammen halten. Hast Du mal gesehen, wie viele Rechnungen in den kommenden drei Wochen abgebucht werden?“

Egal. Ich verkneife mir schon, diesen tollen Bose-Lautsprecher zu kaufen, den Uwe mit auf dem Seminar hatte, obwohl der aktuell runtergesetzt ist. Da muss wenigstens eine Fußpflege und eine Rückenmassage drin sein!

So long!

Ysabelle

Von kleinen Preußen und Zinnsoldaten

Hallo, Welt!
Ich bin krank. Tatsächlich und mit gelbem Schein und schon den fünften Tag im Bett. Gestern rief mich eine Teilnehmerin aus der Übungsgruppe an und redete mir zu, heute noch einmal zum Arzt zu gehen und die Krankschreibung zu verlängern. „Du machst zu viel und du achtest zu wenig auf dich“. Ich sagte zu ihr, „ich habe da in mir einen kleinen Preußen, der sieht, was alles zu tun ist, und der findet, ich war lang genug im Bett“. Und sie entgegnete: „Dann sperrst du deinen kleinen Preußen jetzt mal eine Woche im Keller ein.“
In der vergangenen Woche habe ich mich zum wiederholten Mal mit der GFK-Matrix beschäftigt, die hier ja auch schon häufig Thema war. Da wisperte eine Stimme, dass ich zu viel tue, nicht genug Pausen habe und eigentlich völlig erschöpft sei. Bedürfnis-Bewusstein und Vitalität kultivieren – bin ich da nach wie vor unbewusst inkompetent? Nehme ich tatsächlich nicht wahr, wie es mir geht? Warum „fühle“ ich mich ständig so ähnlich wie schuldig bei dem Gedanken, nichts zu tun? Druck… ich muss… mehr… tun… es reicht nicht…. streng dich an…
Mein kleiner Preuße salutiert aktuell draußen vor dem Schuppen und marschiert im Hof auf und ab. Mein schlimmer Schnupfen und der bellende Husten machen eine Kommunikation mit mir aktuell nicht gerade einfach und trotzdem glühten heute Morgen die Telefondrähte (ach ne, ist ja drahtlos). Um kurz vor acht rief der Pflegedienst an, um mich zu informieren, dass meine Mutter ins Krankenhaus gebracht wird. Um halb eins rief das Krankenhaus an, man würde meine Mutter jetzt entlassen und ins Hospiz bringen. Und um 13.20 Uhr rief das Hospiz an, um die ersten Dinge mit mir zu besprechen, damit meine Mom dort gut ankommen kann. Die warme Fürsorge und Empathie, die mir da entgegen kam, hat mich komplett aus der Bahn geworfen. „Ach, ihre Mutter kann gar nicht mehr sprechen? Gut, dass Sie das sagen, dann können wir uns darauf einstellen…“ Wie anders der Kontakt als mit dem Krankenhaus oder mit dem Büro des Pflegedienstes, wo es nur um Organisatorisches ging und wirklich nirgendwo die Menschlichkeit durchblitzte. Ich bin sehr dankbar für diesen Anruf. Um meiner Gesprächspartnerin einen Eindruck zu geben, wen sie erwarten können, zitierte ich meine Mutter: „Ich bin ein kleiner Zinnsoldat“… Und jetzt laufen die Tränen ohne Unterlass und ich denke, mein kleiner Preuße ist sicher eine Art Kollege des kleinen standhaften Zinnsoldaten meiner Mutter, die trotz Krebs im Endstadium immer noch ihre Blumen umsorgt und ständig Wäsche waschen muss. Ich glaube, ich buche ein Coaching, wie ich meinen Preußen mehr auf „lebensdienlich“ umschulen kann.

So long,
Ysabelle

… und für alle, die den Zinnsoldaten nicht kennen:

Der standhafte Zinnsoldat

Es waren einmal fünfundzwanzig Zinnsoldaten, die waren alle Brüder, denn sie waren aus einem alten zinnernen Löffel gemacht worden. Das Gewehr hielten sie im Arm und das Gesicht geradeaus; rot und blau, überaus herrlich war die Uniform; das allererste, was sie in dieser Welt hörten, als der Deckel von der Schachtel genommen wurde, in der sie lagen, war das Wort »Zinnsoldaten!« Das rief ein kleiner Knabe und klatschte in die Hände; er hatte sie erhalten, denn es war sein Geburtstag, und er stellte sie nun auf dem Tische auf. Der eine Soldat glich dem andern leibhaft, nur ein einziger war etwas anders; er hatte nur ein Bein, denn er war zuletzt gegossen worden, und da war nicht mehr Zinn genug da; doch stand er ebenso fest auf seinem einen Bein wie die andern auf ihren zweien, und gerade er war es, der sich bemerkbar machte.

Auf dem Tisch, auf dem sie aufgestellt wurden, stand vieles andere Spielzeug; aber das, was am meisten in die Augen fiel, war ein niedliches Schloss von Papier; durch die kleinen Fenster konnte man gerade in die Säle hineinsehen. Draußen vor ihm standen kleine Bäume rings um einem kleinen Spiegel, der wie ein kleiner See aussehen sollte. Schwäne von Wachs schwammen darauf und spiegelten sich. Das war alles niedlich, aber das niedlichste war doch ein kleines Mädchen, das mitten in der offenen Schlosstür stand; sie war auch aus Papier ausgeschnitten, aber sie hatte ein schönes Kleid und ein kleines, schmales, blaues Band über den Schultern, gerade wie ein Schärpe; mitten in diesem saß ein glänzender Stern, gerade so groß wir ihr Gesicht.

Das kleine Mädchen streckte seine beiden Arme aus, denn es war eine Tänzerin, und dann hob es das eine Bein so hoch empor, dass der Zinnsoldat es durchaus nicht finden konnte und glaubte, dass es gerade wie er nur ein Bein habe.

»Das wäre eine Frau für mich.«, dachte er. »Aber sie ist etwas vornehm, sie wohnt in einem Schlosse, ich habe nur eine Schachtel, und da sind wir fünfundzwanzig darin, das ist kein Ort für sie, doch ich muss suchen, Bekanntschaft mit ihr anzuknüpfen!« Und dann legte er sich, so lang er war, hinter eine Schnupftabaksdose, die auf dem Tische stand. Da konnte er recht die kleine, feine Dame betrachten, die fortfuhr auf einem Bein zu stehen, ohne umzufallen.

Als es Abend wurde, kamen alle die andern Zinnsoldaten in ihre Schachtel, und die Leute im Hause gingen zu Bette. Nun fing das Spielzeug an zu spielen, sowohl »Es kommt Besuch!« als auch »Krieg führen« und »Ball geben«; die Zinnsoldaten rasselten in der Schachtel, denn sie wollten mit dabei sein, aber sie konnten den Deckel nicht aufheben. Der Nussknacker schoss Purzelbäume, und der Griffel belustigte sich auf der Tafel; es war ein Lärm, dass der Kanarienvogel davon erwachte und anfing mitzusprechen, und zwar in Versen. Die beiden einzigen, die sich nicht von der Stelle bewegten, waren der Zinnsoldat und die Tänzerin; sie hielt sich gerade auf der Zehenspitze und beide Arme ausgestreckt; er war ebenso standhaft auf seinem einen Bein; seine Augen wandte er keinen Augenblick von ihr weg.

Nun schlug die Uhr zwölf, und klatsch, da sprang der Deckel von der Schnupftabaksdose auf, aber da war kein Tabak darin, nein, sondern ein kleiner, schwarzer Kobold.

Das war ein Kunststück!

»Zinnsoldat« sagte der Kobold, »halte deine Augen im Zaum!« Aber der Zinnsoldat tat, als ob er es nicht hörte.

»Ja, warte nur bis morgen!« sagte der Kobold.

Als es nun Morgen wurde und die Kinder aufstanden, wurde der Zinnsoldat in das Fenster gestellt, und war es nun der Kobold oder der Zugwind, auf einmal flog das Fenster zu, und der Soldat stürzte drei Stockwerke tief hinunter.

Das war eine erschreckliche Fahrt. Er streckte das Bein gerade in die Höhe und blieb auf der Helmspitze mit dem Bajonett abwärts zwischen den Pflastersteinen stecken.

Das Dienstmädchen und der kleine Knabe kamen sogleich hinunter, um zu suchen; aber obgleich sie nahe daran waren, auf ihn zu treten, so konnten sie ihn doch nicht erblicken. Hätte der Zinnsoldat gerufen: »Hier bin ich!«, so hätten sie ihn wohl gefunden, aber er fand es nicht passend, laut zu schreien, weil er in Uniform war.

Nun fing es an zu regnen; die Tropfen fielen immer dichter, es ward ein ordentlicher Platzregen; als der zu Ende war, kamen zwei Straßenjungen vorbei.

»Sieh du!« sagte der eine, »da liegt ein Zinnsoldat! Der soll hinaus und segeln!«

Sie machten ein Boot aus einer Zeitung, setzten den Soldaten mitten hinein, und nun segelte er den Rinnstein hinunter; beide Knaben liefen nebenher und klatschten in die Hände. Was schlugen da für Wellen in dem Rinnstein, und welcher Strom war da! Ja, der Regen hatte aber auch geströmt. Das Papierboot schaukelte auf und nieder, mitunter drehte es sich so geschwind, dass der Zinnsoldat bebte; aber er blieb standhaft, verzog keine Miene, sah geradeaus und hielt das Gewehr im Arm.

Mit einem Male trieb das Boot unter eine lange Rinnsteinbrücke; da wurde es gerade so dunkel, als wäre er in seiner Schachtel.

»Wohin mag ich nun kommen?« dachte er. »Ja, Ja, das ist des Kobolds Schuld! Ach, säße doch das kleine Mädchen hier im Boote, da könnte es meinetwegen noch einmal so dunkel sein!«

Da kam plötzlich eine große Wasserratte, die unter der Rinnsteinbrücke wohnte.

»Hast du einen Pass?« fragte die Ratte. »Her mit dem Passe!«

Aber der Zinnsoldat schwieg still und hielt das Gewehr noch fester.

Das Boot fuhr davon und die Ratte hinterher. Hu, wie fletschte sie die Zähne und rief den Holzspänen und dem Stroh zu: »Halt auf! Halt auf! Er hat keinen Zoll bezahlt; er hat den Pass nicht gezeigt!«

Aber die Strömung wurde stärker und stärker! Der Zinnsoldat konnte schon da, wo das Brett aufhörte, den hellen Tag erblicken, aber er hörte auch einen brausenden Ton, der wohl einen tapfern Mann erschrecken konnte.

Denkt nur, der Rinnstein stürzte, wo die Brücke endete, gerade hinaus in einen großen Kanal; das würde für den armen Zinnsoldaten ebenso gefährlich gewesen sein wie für uns, einen großen Wasserfall hinunterzufahren!

Nun war er schon so nahe dabei, dass er nicht mehr anhalten konnte. Das Boot fuhr hinaus, der Zinnsoldat hielt sich so steif, wie er konnte; niemand sollte ihm nachsagen, dass er mit den Augen blinke. Das Boot schnurrte drei-, viermal herum und war bis zum Rande mit Wasser gefüllt, es musste sinken. Der Zinnsoldat stand bis zum Halse im Wasser, und tiefer und tiefer sank das Boot, mehr und mehr löste das Papier sich auf; nun ging das Wasser über des Soldaten Kopf. Da dachte er an die kleine, niedliche Tänzerin, die er nie mehr zu Gesicht bekommen sollte, und es klang vor des Zinnsoldaten Ohren das Lied: »Fahre, fahre Kriegsmann!
Den Tod musst du erleiden!«
Nun ging das Papier entzwei, und der Zinnsoldat stürzte hindurch, wurde aber augenblicklich von einem großen Fisch verschlungen.

Wie war es dunkel da drinnen! Da war es noch schlimmer als unter der Rinnsteinbrücke, und dann war es so sehr eng; aber der Zinnsoldat war standhaft und lag, so lang er war, mit dem Gewehr im Arm.

Der Fisch fuhr umher, er machte die allerschrecklichsten Bewegungen; endlich wurde er ganz still, es fuhr wie ein Blitzstrahl durch ihn hin. Das Licht schien ganz klar, und jemand rief laut: »Der Zinnsoldat!« Der Fisch war gefangen worden, auf den Markt gebracht, verkauft und in die Küche hinaufgekommen, wo die Köchin ihn mit einem großen Messer aufschnitt. Sie nahm mit zwei Fingern den Soldaten mitten um den Leib und trug ihn in die Stube hinein, wo alle den merkwürdigen Mann sehen wollten, der im Magen eines Fisches herumgereist war; aber der Zinnsoldat war gar nicht stolz. Sie stellten ihn auf den Tisch und da – wie sonderbar kann es doch in der Welt zugehen! Der Zinnsoldat war in derselben Stube, in der er früher gewesen war, er sah dieselben Kinder, und das gleiche Spielzeug stand auf dem Tische, das herrliche Schloss mit der niedlichen, kleinen Tänzerin. Die hielt sich noch auf dem einen Bein und hatte das andere hoch in der Luft, sie war auch standhaft. Das rührte den Zinnsoldaten, er war nahe daran, Zinn zu weinen, aber es schickte sich nicht. Er sah sie an, aber sie sagten gar nichts.

Da nahm der eine der kleinen Knaben den Soldaten und warf ihn gerade in den Ofen, obwohl er gar keinen Grund dafür hatte; es war sicher der Kobold in der Dose, der schuld daran war.

Der Zinnsoldat stand ganz beleuchtet da und fühlte eine Hitze, die erschrecklich war; aber ob sie von dem wirklichen Feuer oder von der Liebe herrührte, das wusste er nicht. Die Farben waren ganz von ihm abgegangen – ob das auf der Reise geschehen oder ob der Kummer daran schuld war, konnte niemand sagen. Er sah das kleine Mädchen an, sie blickte ihn an, und er fühlte, dass er schmelze, aber noch stand er standhaft mit dem Gewehre im Arm. Da ging eine Tür auf, der Wind ergriff die Tänzerin, und sie flog, einer Sylphide gleich, gerade in den Ofen zum Zinnsoldaten, loderte in Flammen auf und war verschwunden. Da schmolz der Zinnsoldat zu einem Klumpen, und als das Mädchen am folgenden Tage die Asche herausnahm, fand sie ihn als ein kleines Zinnherz; von der Tänzerin hingegen war nur der Stern noch da, und der war kohlschwarz gebrannt.

Hans Christian Andersen

Sucht und GFK

Hallo, Welt!

Über den TrainerInnen-Rundbrief des CNVC wurde ich auf einen Artikel aufmerksam, der mich geradezu elektrisiert hat. Darin beschreibt der Autor Johann Hari die wahren Ursachen von Sucht. Eines der Beispiele, die Hari auseinander nimmt, sind die Forschungen von Prof. Alexander. Seit einigen Jahrzehnten gibt es ein klassisches Experiment mit Ratten. Sie werden allein in einen Käfig gesetzt und haben wahlweise Wasser oder heroin versetztes Wasser zum Trinken. Die einsamen Ratten besaufen sich am Heroin versetzten Wasser. Das galt als Indiz dafür, dass Heroin süchtig macht. Alexander hat nun an Ratten nachgewiesen, dass selbst welche, die wochenlang nur Heroinwasser zu sich genommen hatten, normales Wasser bevorzugten, wenn sie wieder in rättischer Gesellschaft waren. Sobald also ihre Einsamkeit aufhörte und sie mit anderen Ratten zusammen ein rattengemäßes Leben führen konnten, interessierte sie die Droge nicht mehr.
Hari führt noch diverse andere Beispiele an: US-Soldaten, die massenweise im Vietnam-Krieg Drogen konsumiert haben, aber nicht 100 Prozent von ihnen haben damit in der Heimat weiter gemacht, sondern nur rund 17 Prozent. Patienten, die wegen starker Schmerzen aus medizinischen Gründen Opiate bekamen, die dann später abgesetzt wurden, endeten nicht als Junkies in der Gosse, sondern lebten ganz normal ohne Drogen weiter…
Was also macht uns anfällig für Drogen? Und ich meine hier nicht (nur) Heroin oder Kokain, sondern genau so Alkohol, Spielen, Sexsucht, Süßigkeiten oder allgemein Fresssucht. Im Artikel heißt es dazu:

The street-addict is like the rats in the first cage, isolated, alone, with only one source of solace to turn to. The medical patient is like the rats in the second cage. She is going home to a life where she is surrounded by the people she loves. The drug is the same, but the environment is different.

This gives us an insight that goes much deeper than the need to understand addicts. Professor Peter Cohen argues that human beings have a deep need to bond and form connections. It’s how we get our satisfaction. If we can’t connect with each other, we will connect with anything we can find — the whirr of a roulette wheel or the prick of a syringe. He says we should stop talking about ‚addiction‘ altogether, and instead call it ‚bonding.‘ A heroin addict has bonded with heroin because she couldn’t bond as fully with anything else.

Wir bonden also mit der Droge, weil wir nicht (so) vollkommen mit anderen Menschen bonden können.
Ich bin nicht sicher, ob jedem von Euch der Begriff Bonding so zugänglich ist. Die Bonding Psychotherapie wurde von Dan Casriel begründet und soll dazu dienen, alte hinderliche Glaubenssätze und/oder Gefühle zu transformieren. Hort der Bonding-Psychotherapie in Deutschland sind die 12-Schritte-Kliniken Bad Herrenalb, Bad Grönenbach, Hochgrat-Klinik Stiefenhofen (Wolfsried) und Adula-Klinik Oberstdorf. In den Bonding-Gruppen findet also Bindung, Verbindung statt. Mein Gegenüber im Bonding-Prozess hält mich aus, bleibt mit seiner Präsenz bei mir, während ich eventuell mit lautem Schreien o.ä. verschüttete Themen bearbeite. So gesehen ein sehr GFK-kompatibles Konzept. (Unter Umständen nicht für Trauma-Patienten geeignet).

Also: Johann Hari stellt die These auf, dass wir mit der Droge bonden, eine Verbindung eingehen, weil uns die echte Bindung zu unseren Artgenossen fehlt. Schade, dass es unter Menschen nicht so leicht ist, in Gemeinschaft zu leben, wie es für Ratten zu sein scheint. Viele von uns bringen ein Päckchen (aus der Herkunftsfamilie oder traumatischen Erlebnissen) mit, die es uns so schwer machen, in Verbindung zu kommen. Und unsere urteilende Welt, die Unfähigkeit vieler Menschen, einfach nur zuzuhören oder wiederzugeben, was sie gehört haben, erschwert das noch zusätzlich. Wenn wir selber (dank 22000 Stunden elterlicher Erziehung) gnadenlose Richter als Introjekte haben, dann erwarten wir natürlich (unbewusst) auch von außen Kritik und Tadel. Wer fühlt sich da noch ermutigt, jemand anderes anzurufen und zu sagen, du, ich hänge durch. Hast du eine halbe Stunde Zeit für mich? A.) Ohne GFK merken wir vielleicht gar nicht, wie es uns geht, weil wir uns unserer Gefühle überhaupt nicht bewusst sind. Und B.) liegt die Tafel Schokolade näher als der Telefonhörer. Und ich laufe nicht Gefahr, mir eine Abfuhr abzuholen.

Vor ein paar Jahren hörte ich in einem therapeutischen Umfeld eine Geschichte, die mich bis heute tief berührt. Eine Frau berichtete aus ihrer Kindheit. Sie war vielleicht zwei oder drei Jahre alt und ihre Mutter stand am Bügelbrett. Das Kind krabbelte hin zur Mutter und begann ihr Bein zu streicheln. Die Mutter machte eine abschüttelnde Bewegung mit dem Bein und sagte dann mit scharfer Stimme, „lass das, ich bin doch keine Katze!“.
Ich glaube, das Kind hatte ein Bedürfnis nach Nähe, oder nach Verbindung, oder Gesehen werden, oder Beteiligung. Ich will nicht abstreiten, dass die Mutter ebenfalls wunderbare Bedürfnisse hatte, die sie dazu bewegten, sich so zu verhalten, wie sie es tat. Aber wenn wir als sehr junge Menschen oder eben auch in der Partnerschaft solche Erlebnisse haben, ist es doch kein Wunder, wenn wir uns anderen Menschen nicht „zumuten“. Es ist doch kein Wunder, wenn wir den Kühlschrank plündern, statt in die Arme unseres Nächsten zu sinken.
Die Geschichte fiel mir gestern Abend wieder ein, als ich sanft den Arm meiner Mutter streichelte. Fast erwartete ich, dass sie meine Hand weg schubste. „Olle Klette“ sagte sie in der Kindheit zu mir und das war durchaus nicht freundlich gemeint.
Und jetzt der Salto in die GFK.
Wenn ich in dem Bewusstsein lebe, dass mindestens einer von sechs Milliarden Erdlingen mit Freude meine Bitte erfüllt, dann kann ich vielleicht die Schokolade liegen lassen und mich statt dessen auf die Suche nach diesem einen machen. Einen Hinweis finde ich vielleicht in meinem Telefonbuch, der Facebook-Freundesliste oder unter den Weihnachtskarten, die irgendwo noch in der Küche liegen. Freitag vor einer Woche war es Michael aus UK, der mir seine Präsenz schenkte. heute habe ich das gleiche bei meiner Schweizer Trainer-Kollegin Sylvie genossen. Es braucht also zum einen die Gewissheit, dass ich willkommen bin. Und zum zweiten braucht es die Erkenntnis, was ich gerade brauche. Und drittens braucht es „Beine“, um auf den- oder diejenige zuzugehen, der oder die mir dieses Bedürfnis vielleicht erfüllen könnte. Und dafür ist es hilfreich, eine klare Bitte zu formulieren. Kannst du mir zehn Minuten ungebremst zuhören? Kannst du mich ein paar Minuten halten? Kann ich mal für eine halbe Stunde in deinem Arm liegen? Wäre es dir möglich, mir kurz die Schultern zu massieren? Ich trage gerade das Gewicht der Welt…

So kann’s gehen, wenn wir mithilfe der GFK uns selbst besser kennen, Bitten formulieren und ein Nein hören können, ohne dass Selbstzweifel an unserer Liebenswürdigkeit getriggert werden. Es ist lohnenswert, sich auf die Gewaltfreie Kommunikation einzulassen…

So long!
Ysabelle

Dankbarkeit: 24. Januar 2015

Hallo, Welt!
Gerade hatte ich überlegt, welche Überschrift mir für mein Sammelsurium an Themen hier passend erscheint: Kraut & Rüben? Spiritualität? Und dann war klar: Es ist Dankbarkeit.
Montag war ein bemerkenswerter Tag. Wir haben das neue Heft an die Druckerei geschickt. Und auf den Tag genau drei Jahre ist es her, dass mein früherer Arbeitgeber mir mitteilte, er wolle künftig ohne mich auskommen.
In diesen drei Jahren ist viel passiert. Ich habe meine Mediationsausbildung absolviert, die Zertifizierung hinter mich gebracht, zwei IIT*s organisiert, einen Webshop für GFK-Lernmittel ins Leben gerufen und diverse Projekte in Sachen Erwachsenenbildung geleitet. Das alles ist bereichernd, erfreulich und schön. Aber erst beim Versand des zweiten Heftes ist mir noch etwas anderes aufgegangen.
Zeitschrift machen, das kann ich. Das habe ich 30 Jahre gemacht. Autoren kontakten, Überschriften mit leichter Hand hinwerfen, Fotos aus dem Hut zaubern, Texte ergänzen oder einkürzen, kreative Lösungen für technische Probleme finden… Das aktuelle Heft war sauviel Arbeit (ich hatte mit meinem dreiköpfigen Grafiker-Team super Unterstützung), aber es war wie das berühmte Schwimmen oder Fahrrad-Fahren. Man verlernt es nicht. Fisch im Wasser. Und ich habe dabei gemerkt, dass mir dieser Zugriff auf meine Kompetenz einen neuen Frieden gegeben hat. Drei Jahre waren diese Skills nicht abgefragt, jetzt kann ich sie alle wieder abrufen. Alles scheint auf einmal folgerichtig. Die vielen Fotos von irgendwelchen GFK-Events, die zahlreichen Kontakte von meinen mittlerweile vier IIT’s, meine Verbindungen nach England und in die USA zu Trainern und Assessoren… alles passt auf einmal zusammen. Und ich bin einfach nur dankbar. So ist mein Leben also gedacht…
Wenn wir jetzt noch dahin kommen, dass ich von diesen Aktivitäten auch noch leben kann, ist wirklich alles gut in dieser Welt.
Aber darum mache ich mir heute keine Sorgen. One day at a time.
So long!
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Die Haltung der GFK ./. GFK anwenden

Hallo, Welt!
In diesen Tagen habe ich mich mal wieder ein wenig intensiver mit den Schlüsselunterscheidungen beschäftigt. Es ist ja fast zwei Jahre her, dass ich mich für die Zertifizierung damit näher befasst hatte, und jetzt hatte ich mal wieder das Buch von Liv Larsson in den Händen. An anderer Stelle sagt Liv, sie und ihre Kollegin, mit der sie zusammen das Buch geschrieben hat, wären sehr bemüht gewesen, kein neues Richtig oder Falsch aufzumachen.

… clarifying some of the “Key Differentiations” in NVC. We shared the experience that during workshops and trainings, and in discussions with participants, one concept that was really important to shed some light upon, was that of “right” and “wrong”. We also shared the experience that – during our introduction to NVC – someone had “pointed finger at us” and told us “now you are up in your head” or something similar, indicating that we were wrong and not connected to our feelings.  
 

Ich mag gerade „die Haltung der GFK“ und „GFK anwenden“. Vor ein paar Jahren, in meiner ersten Jahresgruppe, habe ich meine damalige Trainerin gefragt, wie man in dieser oder jener Situation GFK anwenden würde. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich zum damaligen Zeitpunkt verstanden habe, dass GFK nicht so etwas ist wie Schuhcreme oder Kopfschmerztabletten, was man anwendet, wenn entweder die Schuhe schwarz werden sollen (tu etwas für mich) oder das Pochen im Hirn verschwinden soll (geh endlich)… War dies oder das eine Situation, wo „mir das was taugt“?.
Die Haltung der GFK in mir zu tragen bedeutet für mich:
• ich höre auf, mich fertig zu machen, wenn mir Dinge nicht wie erhofft gelungen sind
• ich versuche, dich nicht mehr fertig zu machen, wenn ich enttäuscht oder im Schmerz bin
• in herausfordernden Situationen frage ich mich: Geht es mir um Verbindung?
• ich kann mir verzeihen, wenn ich in meiner Not oder meinem Frust rumbrülle
• ich akzeptiere, dass ich Lamm und Löwe in mir habe
• ich bemühe mich um eine stabile Verbindung zu mir und meinen Bedürfnissen.

Letzteres war in den vergangenen Tagen eine Herausforderung. Die Papierberge türmen sich hier in halb-Meter-hohen Stapeln und all meine Antreiber fordern mich zu Nachtschichten auf, und trotzdem habe ich mich gestern um 16 Uhr hingelegt und bis 19 Uhr geschlafen. Es ging nichts mehr. Und eben konnte ich einer wirklich ekelig süßen Tafel Schokolade nicht wiederstehen (jetzt ist mir schlecht). Aber ich bemühe mich um eine liebende und mitfühlende Haltung mir und meinen Mitmenschen gegenüber.

GFK anwenden – das ist etwas, was ich heute fürchte. Für mich schmeckt das nach Manipulation. Ich hab da doch noch so ein Werkzeug, das hole ich mal raus und dann schraube ich an unserer Verbindung. Es kann vorkommen, dass es mir dann eben nicht um die Verbindung geht, um den Giraffentanz, was brauche ich, und was brauchst du? Vielmehr setze ich GFK ein, um dich dazu zu bewegen, mir das zu geben, was ich will. Ich bin ganz schön tricky, was?
Es gibt so eine entzückende Stelle auf Marshalls Tonbändern, wo er von einem Streit mit seiner Frau Valentina erzählt, die wutschnaubend zu ihm sagte: „Don’t you NVC me!“
Also: Wenn ich GFK als Mittel einsetze, zum Beispiel um jemanden zu besänftigen oder ihn dahin zu bewegen, das zu tun, was ich will, dann ich das weit entfernt von dem, was wir unter „Haltung“ verstehen. Gerald Jampolski sagt es so treffend: „Stattdessen könnte ich Frieden sehen“.

Noch ein letzter Gedanke.
Es ist nichts falsch damit, gerade mal nicht mit „der Haltung“ unterwegs zu sein. Ein früherer Freund von mir sagte mal ungläubig-erstaunt: „Willst du, dass dich eine Reiseleiterin auf Naxos lieb hat?“ Bloß keinen Stress machen, bloß niemanden verärgern. Bullshit! Ehrlicher Selbstausdruck ist eine wunderbare Sache, wenn es mir gelingt, wirklich „bei mir“ zu bleiben. Da kommt dann ein kleiner GFK-Prüfstein: Von der Du-Botschaft zur Ich-Aussage in 110 CNVC-zertifizierten Seminartagen…

So long!

Ysabelle

Ein Freund, ein guter Freund…

Hallo, Welt!
Ich bin seit acht Uhr hoch und habe von all dem, was ich heute schaffen wollte, noch nichts angepackt. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, eben „mal schnell“ den neuen Labeldrucker zu installieren, um künftig ruck, zuck die Etiketten für die Briefumschläge beschriften zu können, aber diese Aktion hat mich an meine Grenzen gebracht.

Drucker auspacken
Drucker zusammenbasteln, verkabeln
Bedienungsanleitung für Installation lesen
Software installieren
Drucker anschließen, starten.
Er wird erkannt.

Alles chico, sollte man meinen, aber es ist mir auch nach zwei Stunden Probieren und Experimentieren nicht gelungen, in einem vorgegebenen Format ein Etikett auszudrucken.

Während ich noch überlegte, ob ich das Ding einpacke und zurückschicke, sehe ich eine Nachricht im Skype von meinem lieben Freund Michael aus England. Er hat eine Rückfrage zum IIT im Oktober. Es denkt in mir, gut, du lenkst dich da mal ein bis drei Minuten ab und sprichst eben mit ihm, dann geht es an die Arbeit, die sich hier türmt.
Der geplante Mini-Austausch zog sich dann eine Stunde und verbrauchte eine Packung Tempotaschentücher. Zum einen hat mein Freund Michael eine wunderbare Art „to reflect back“, also zu wiederholen, was bei ihm angekommen ist. Mein Wolf meldet sich und teilt mir mit: „Da kannste dir mal ne Scheibe von abschneiden, wie einfühlsam der immer ist!“ Vollends aus der Kurve getragen haben mich dann seine fürsorglichen Fragen, und er hat vorher auch noch gefragt, ob er was fragen kann: Wer unterstützt dich gerade? Kann es sein, dass du dich einsam fühlst? Machst du das, was du gerade machst, als eine Art persönliche Wiedergutmachung? Findet dort eine Form von Heilung statt? Was sagt dein inneres Kind dazu? Hattet Ihr kürzlich Kontakt?
Ich bin dank dieses Gesprächs viel mehr mit meinen Bedürfnissen in Verbindung gekommen, statt nur zu funktionieren. Nachdem wir aufgelegt hatten (na ja, ausgeskypt), habe ich zwei Sendungen versandfertig gemacht (mit verkorksten Labeln) und bin erst mal im Sonnenschein zur Post und auf den Markt gegangen. Dann habe ich mir was zu essen gemacht und mich an Schwarzbrot mit Krabbensalat delektiert. Dann habe ich einem Kunden sein Geld zurück überwiesen. Wie oberpeinlich, ich habe zweimal den gleichen Betrag bei ihm abgebucht, am 22.12. und am 16.1. Er wies mich vorhin sanft darauf hin und ich habe mich für dieses freundliche Feedback bedankt und die Kohle überwiesen. Er antwortete daraufhin:

kein Problem. Der Wolf wollte natürlich sofort der Lastschrift widersprechen, aber die Giraffe hat gewonnen!

Ist es nicht wunderbar, mit der Haltung der GFK unterwegs zu sein?
Jetzt werde ich mich hinlegen und so lange schlafen, bis ich erfrischt aufwache. Ich ich möchte darauf vertrauen, dass ich alle Arbeit schaffe, die noch zu erledigen ist.
Mal gucken, wann mein Sohn vorbei kommt, um mich in die Bedienung dieses Druckers einzuweisen. Das war nämlich dann meine klare Bitte um Unterstützung.

So long!

Ysabelle

Ich bin niemals aus dem Grund verstimmt…

Hallo, Welt!
Was für lehrreiche Tage! Aktuell arbeite ich am zweiten Heft unserer GFK-Zeitschrift und lerne noch einmal ganz viel darüber, warum ich mich für die Zertifizierung entschieden habe. Und ich stelle in den vergangenen Tagen wiederholt fest, dass ich Groll habe. Groll – den Begriff kenne ich im Zusammenhang mit dem Genesungsprogramm der 12-Schritte-Gruppe und auf der heutigen sturmumtosten Autofahrt zu meiner Mutter gab es reichlich Gelegenheit, diesem Groll nachzuspüren.
Wenn wir im GFK-Terminus drei Statii (Statusse? Zustände!) kennen: Unterwerfung, Rebellion und Augenhöhe, dann gehört Groll wahrscheinlich zu Unterwerfung. Ich merke, dass es dahinter den Gedanken gibt (tief, tief verbuddelt), der andere schulde mir etwas. Aktuell sind das mindestens zwei Menschen in meinem Leben, von denen ein Teil von mir so etwas denkt. Der oder die schuldet mir was. Und damit kommen wir zu dem Zitat von Gerald Jampolski, der sagt: Ich bin niemals aus dem Grund verstimmt, den ich annehme.
Einer dieser Menschen, ohne GFK-Erfahrung, schrieb mir vorgestern, „ich habe das Gefühl, du willst mir ein schlechtes Gewissen machen“. Uff. Rebellion, Kollegen, Rebellion! Kein Mensch kann einem anderen Gefühle machen, hoast mi?! Ich fand es dann doch lohnenswert, da näher hinzuspüren, und dabei habe ich eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Ich fand mich wild schluchzend im Bett wieder, verbunden mit all der Last und dem Schmerz, mit dem ich aktuell unterwegs bin: Die Begleitung meiner Mutter (ja, es kann ihr tatsächlich immer NOCH schlechter gehen…), der Druck mit dem neuen Heft, finanzielle Unsicherheiten, eine tiefe Einsamkeit, das ganze Paket.

Im Seminar sagte vorige Woche eine Teilnehmerin zur anderen: Gibt es da eine Bitte an uns? Ich war begeistert. Mir wurde gestern klar, dass ich auf ziemlich verschwiemelte Weise (kennt einer das Wort? ich liebe es!) versucht hatte, um Unterstützung zu bitten. Und als mein Wischiwaschi nicht verstanden wurde, ging ich in den Groll. Als ich meine Antwort an „Schlechtes Gewissen“ schrieb, war ich wieder mit der Lebensenergie verbunden. Und ich konnte mich outen mit meiner Angst und meiner Hilflosigkeit. Und ich konnte diese Strategie (ich Tarzan, du Jane und mir helfen…) loslassen. Gleichzeitig spürte ich wieder leises Vertrauen, dass schon irgendwo her die Hilfe kommen wird.
Tatsächlich erschien sie in Gestalt meines Hausmeisters, der im ganzen Leben noch kein GFK-Buch gelesen hat. Er saß mit mir beim Kaffee am Küchentisch, hörte mir einfach zu, machte ein paar wohlwollende Geräusche und schlug mir dann vor, er würde mich zu meiner Mutter fahren, damit ich im Auto ausruhen könne…
Ich habe dieses entzückende Angebot aus verschiedenen Gründen nicht angenommen, aber es hat mir noch einmal verdeutlicht, dass es eine Fülle von Strategien gibt, mit denen ich meine Probleme lösen kann. Und wenn ich für die Fülle offen bin, spülen die Lösungen von ganz allein an meine Küste. Oder mir fällt jemand ein, den ich anrufen könnte. Cool, oder? Jetzt braucht es nur noch die Zeit und die Energie, jemanden anzurufen. Na, heute Abend nicht mehr… Ist auch gar nicht mehr so schlimm!

So long!

Ysabelle

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