Hallo, Welt!
Heute habe ich eine Patientin aus meiner Familie zu einer Untersuchung ins Universitätskrankenhaus begleitet. Der Termin war um 12. Gegen 12.30 wurde sie unruhig, weil mehrere Menschen, die nach ihr ins Wartezimmer gekommen waren, schon dran kamen. „Vielleicht haben die mich vergessen?“
Kurzer Check: Dir geht es um Klarheit? Du möchtest gern die Sicherheit haben, dass der Arzt weiß, dass du in diesem Zimmer sitzt?
Dann trabte ich zur Aufnahme. Nein, es hatte alles seine Richtigkeit. „Das ist der Raum für Privatpatienten und die Kollegen wissen Bescheid. Sonst fragen Sie doch noch mal Zimmer 15!“
Beruhigt kehrte ich in den Warteraum zurück. Eine halbe Stunde später fing die Patientin an zu schimpfen. Immerhin saß ihr Taxifahrer, der sie auch wieder nach Hause bringen sollte, schon 90 Minuten herum.
Unerfüllte Bedürfnisse abgeklopft: Klarheit, Respekt, Verbindung!
Nun trabte ich zu Zimmer 15.
Beobachtung: Der Termin war um 12. Jetzt ist es eins. Wie und wann geht es weiter? Was ist los? Bitte um Klarheit.
Der Professor hat um halb 12 einen Anruf bekommen und ist jetzt in einer Prüfung. Es sind vier Prüflinge, und normalerweise dauert eine Prüfung 30 Minuten.
Ich: Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass der Professor noch eine Stunde weg sein wird? Die Patientin ist 77 Jahre alt und hatte eine weite Anfahrt. Sie ist Diabetikerin und wird über Sonde ernährt. Wir brauchen Klarheit, wie es hier weiter geht.
Ratlose Blicke. Dann sagte eine Mitarbeiterin: In fünf Minuten rufen wir den Professor an. Und wenn sie was brauchen, Sondenkost oder anderes, versuchen wir das von Station XY zu bekommen.
Danke, das hilft uns sehr weiter.
Ich trabte zurück.
Die Patientin gab dem Taxifahrer einen Schein und bat ihn, etwas essen zu gehen.
Um halb zwei erneut der Gang zu Zimmer 15.
„Der Professor ist jetzt da, Sie können mit der Patientin schon herkommen, es geht gleich los.“
Ich holte die kleine Dame aus dem Warteraum und brachte sie zu einem Zimmer 15 nahegelegenen Stuhl. Und tatsächlich ging es kurz darauf los.
Der Herr Professor erhob sich nicht von seinem Stuhl. Mit fiel auch nicht auf, dass er sich vorstellte, aber vielleicht ging mir das auch durch die Lappen, weil ich die Mäntel aufhängte und die Taschen verstaute. Kein Wort der Erklärung oder Entschuldigung, dass die Patientin zwei Stunden auf die Besprechung warten musste.
Was kann ich für Sie tun?
Beide redeten prächtig aneinander vorbei. Es war eine Freude, das mitzuerleben.
Die Patientin hatte nach einer Krebsbehandlung im Mundboden Schluckbeschwerden und noch diverse schwerwiegende Probleme, auch mit der Zahnprothese. Der Professor vermutete aufgrund der vorgetragenen Beschwerden, die Patientin wolle Implantate haben und erläuterte breit, warum das in ihrem Kiefer keine gute Idee sei und er so eine Operation auch nicht vornehmen würde.
Ich habe mir dann die Erlaubnis gegeben, mich einzuschalten.
Ich habe gesagt, dass der Hausarzt die Patientin drängt, auf die Sondenkost zu verzichten und sich wieder oral „normal“ zu ernähren. Dass aber die kleine Dame Schwierigkeiten beim Essen und Einspeicheln, Kauen und Schlucken hat, die dazu führen, dass die Patientin fast gar nichts runter bekommt.
Nun machte der Professor eine kleine Funktionsprüfung und informierte die Patientin, dass sie mit all diesen schrecklichen Nebenwirkungen würde leben müssen. Die Krebsoperation sei gut verlaufen, die Funktionalität im Mund zufriedenstellend wieder hergestellt. Es gebe die eine oder andere Stellschraube, an der man Kleinigkeiten verbessern könne, aber insgesamt seien die Probleme eine Folge der Strahlentherapie. Und damit müsse sie sich abfinden. UND! Es gäbe keine Veranlassung, die Ernährung per Sonde umzustellen oder abzuschaffen. Da fing die Patientin vor Erleichterung an zu weinen.
Ich habe mir dann erlaubt darum zu bitten, noch einmal zusammenfassen zu dürfen, was ich gehört habe. Uuups! Da hat aber ein Professor erstaunt geguckt! Dann habe ich seine Infos noch einmal vorgetragen, er hat sie in einem kleinen Punkt korrigiert. Dann habe ich die Patientin gefragt: Brauchst du noch was, um jetzt gut nach Hause fahren zu können? Und sie sagte zum Professor: Können Sie das genau so meinem Hausarzt schreiben, damit der mir nicht die Sonde wegnimmt? Ich bin so erleichtert!
Erschöpft, aber fröhlich enterte sie schließlich ihr Taxi und fuhr winkend davon.
Ich habe mir mit dieser Begleitung eine Vielzahl von Bedürfnissen erfüllt und merke, dass ich mir selbst total dankbar bin, dass ich meinem Herzen gefolgt bin und meine Begleitung zu diesem Termin sehr deutlich angeboten habe.
Unterstützung
Beitragen
Lernen
Gemeinschaft mit der Patientin
Gesehen und gehört werden für die Patientin – das war mir besonders kostbar!
Wärme
Klarheit.
Ich glaube, auch für die Patientin waren zahlreiche Bedürfnisse erfüllt, Unterstützung und Gehört werden wohl am meisten. Das war superschön für mich, in dieser Weise beitragen zu können.
Auch für den Professor schien es schön zu sein. Mir gefiel der erstaunte Blick, als ich seine Aussagen zusammenfasste und er merkte, dass er verstanden worden war. Auch schön die kleine Korrektur, die er noch anbrachte. Dabei fällt mir ein, dass auch mein Bedürfnis nach Wirksamkeit durch diese Aktion erfüllt wurde. Yep!
Insgesamt ist mir deutlich geworden, wie kostbar es wäre, wenn mehr Menschen mit dieser Ausbildung andere Menschen zum Arzt oder vielleicht auf eine Behörde begleiten könnten. Wie viel besser könnten wir uns alle verstehen! Wie gut doch so eine Unterstützung tut in Situationen, in denen man selber so hilflos ist! Kurzzeitig hatte ich die Vision, dass in jedem Krankenhaus eine GfK-Station ist, wo man sich einen NVC-Guide abholen kann. Und die Krankenkassen bezahlen dafür, denn es erleichtert und verbessert die Kommunikation zwischen Arzt und Patient und kann sogar die Verweildauer verkürzen, weil sich die Beteiligten besser verstehen. Es geht doch nichts über eine schöne Vision!
So long!
Ysabelle