Dankbarkeit 16.12.2017
Hallo, Welt!
Ein Tag, der es in sich hatte, liegt hinter mir. Bis auf einen Mittagsschlaf war ich wieder auf den Beinen, aber ich merke schon, dass das noch recht wackelig ist. Weil ich wusste, dass ich einen langen Abendtermin hatte, habe ich mir mittags viel Zeit mit Fontane genommen. Er hat nun auch noch seinen letzten Ball verspielt und ohne vorheriges Kommando einen unsichtbar versteckten Futterbeutel gefunden. Nach über einer Stunde auf der Docke zog es mich dann Richtung Bett. Wie so oft begleitete er mich ohne Leine Richtung Deichtor. Und dann …
… sah ich links von mir zwei Menschen und einen kleinen Hund, Format Jack Russell. Fontane löste sich von mir und lief rüber zu den Leuten. Ich kriege die Reihenfolge nicht mehr sortiert, ich glaube, deren Hund war erst frei und wurde dann angeleint und dann noch mal wieder freigemacht, um wieder angeleint zu werden. Das würde ich aber so nicht beschwören.
Die Leute riefen mir zu, „ist das ein Rüde?“, und als ich bejahte, sagten sie, „oh, unsere Hündin wird demnächst läufig.“ Ich ging weiter durch das Gatter den geteerten Weg zur Deichkrone hoch und rief den Leuten sinngemäß zu, „der Hund ist sehr auf mich fixiert, wenn er sieht, dass ich weggehe, kommt er nach.“ Mir war total klar, dass es überhaupt keinen Sinn hatte, Fontane jagen zu wollen. Das hätte er nur für ein tolles neues Spiel gehalten.
Als ich immer noch rufend über die Deichkrone verschwand, Leckerli in der Hand für den Rückkehrer, kam Fontane tatsächlich angeschossen, aber bevor ich ihn auch nur greifen konnte, hatte er sich das Leckerli geschnappt und rannte den Weg zurück zu dem Hundemädchen. Dann hörte ich die Leute unten rufen/schreien, und dachte, da gehste besser mal schnell hin. Schon auf 50 Meter Entfernung wurde ich lautstark „angefeuert“, mich schneller zu bewegen. Ich möchte dazu sagen, es gab für keinen der Beteiligten zu keinem Zeitpunkt eine echte Gefahr. Weder hatte Fontane versucht, jemanden zu beißen noch war er aufgeritten, zumal die Leute die kleine Hündin zwischendurch immer auf den Arm nahmen. Da tobte ein junger Hund begeistert um eine Hündin herum, die „demnächst“ läufig werden würde.
Die Beschimpfungen des Mannes wurden heftiger und in seiner Wut versuchte er ständig, Fontane zu treten. Als wir nur noch etwa fünf Meter voneinander entfernt waren, gelang es mir mit ruhiger Stimme zu sagen: „Ich möchte Sie bitten, nicht mehr nach dem Hund zu treten. Mir ist klar, dass Sie in Sorge um Ihre Hündin sind, aber bitte treten Sie nicht mehr nach meinem Hund.“ Den folgende Wortschwall mit einem Mix aus „asozial“ „unverantwortlich“ und ähnlichen Attributen konnte ich besser ertragen als seine Versuche, mit Fontane zu kicken. Zum Glück war der Hund viel schneller als der Mann.
Es gelang der Frau und mir, die kleine Hündin als „Lockmittel“ zu benutzen, Fontane heranzulotsen und ihm die Leine anzulegen. Dann trennten sich unsere Wege. Der Mann schimpfte nach wie vor in meine Richtung. Ich rief ihm zu (völlig überflüssig, ich weiß!), „Der Hund geht in die Hundeschule, aber er ist noch zu kein, um das zu können. Er ist erst anderthalb!“. Ich erinnere noch zwei Sätze von der Frau, „kannst du jetzt mal aufhören“ und „können wir jetzt mal in Ruhe weiter gehen“. Fontane war von allem total unbeeindruckt, aber ich war so fertig, dass ich anschließend erst mal meinem Hunde-Coach Marion in den Telefonhörer weinen musste.
Wofür bin ich dankbar? Dass ich auch in dieser für mich wirklich belastenden und beängstigenden Situation in der Lage war, den Mann empathisch anzusprechen und seine Besorgnis um die eigene Hündin zu sehen, die ihn dazu brachte, sich so zu verhalten. Ich habe mich wirklich durchgängig in „der Haltung“ wahrgenommen, trotz meiner Not.
Zum Zweiten möchte ich den Beistand feiern, den ich durch Marion hatte. Zumindest konnte sie meine Aufregung und meine Besorgnis nachvollziehen, auch wenn Schimpfen auf einen der Protagonisten nicht mehr das ist, was MICH wirklich ent-lastet. Aber es ist wunderbar, jemanden anrufen zu dürfen und für das eigene Verhalten Wohlwollen zu finden. Ein „was lässt du ihn auch ohne Leine laufen“ hätte die Situation nicht besser gemacht. Wir sind jetzt zum Rückruf-Training verabredet.
Achtung, Vegetarier und Veganer, wegsehen!
Nach diesem Stress bin ich ins Bett gekippt und habe mir einen Wecker gestellt, denn abends stand noch eine Veranstaltung bevor. Meine langjährigen Tageseltern hatten zur Feier ihrer Goldenen Hochzeit eingeladen. Die Tische bogen sich auf norddeutsche Art. Hochzeitssuppe, viererlei Fleisch, Rotkohl, Roenkohl, frischer Blumenkohl mit brauner Butter, Erbsen- und Wurzelgemüse, Kartoffeln, Kroketten, braune Sauce, und hinterher noch Eis mit heißen Kirschen.
Es war tatsächlich eine Veranstaltung „in Familie“, zwei Töchter und Ehemänner, vier Enkel zwischen 17 und 24 mit ihren jeweiligen PartnerInnen und einige wenige alte Freunde. Und dazwischen: Mein Sohn, seine Frau und ich. Da war er auf einmal (wieder) genau so Kind wie vor 30 Jahren. Zwischendurch realisierte er, dass eine seiner Ziehschwestern demnächst Silberhochzeit feiern würde. „Jetzt fühle ich mich alt!“, meinte er entsetzt.
Einer der Schwiegersöhne unterhielt mich den ganzen Abend. Wir hatten uns annähernd 20 Jahre nicht gesehen. Erstaunlich, wie jemand den ganzen Abend erzählen kann, ohne einmal wirklich in Kontakt mit dem Gegenüber zu gehen. Nicht dass ich mich gelangweilt hätte. Aber auf Dauer finde ich Aussagen zu Autos, Hundeerziehung, Fahrleistungen und ähnliches doch ziemlich unverbindlich. Das mag seinen Sinn haben, ich hätte tatsächlich gern mehr von meinem Gegenüber erfahren. Kurze Blitzer gab es, aber vielleicht war auch die Situation am Tisch nicht allerbestens geeignet, um tiefer zu gehen …
Ich bin heute dankbar für dieses mühelose Anknüpfen an Familienbande. Wir gehörten wirklich dazu, und das fühlte sich wunderbar an. In einer Zeit, in der sich meine eigene Familie mehr und mehr dezimiert, habe ich dieses Eintauchen in drei intakte Ehen, vier „gelungene“ Kinder und das freundliche herzliche Miteinander inklusive schiefem Ständchen und Ehrentanz für das Jubelpaar zutiefst genossen.
So long!
Ysabelle