Verantwortung den Gift-Zahn ziehen
Hallo Leute!
Ysabelle hat heute einen Artikel unter der Überschrift „Ich war’s“ gepostet, in dem es darum geht, Verantwortung zu übernehmen. Die Idee gefällt mir, doch an der Sichtweise der Kirchen gibt es einiges, was mich stört und was meiner Meinung nach besser auseinandergehalten wird. Ich hoffe, dass dieser Text von mir, den ich vor einigen Monaten angefangen und leider bisher nicht beendet habe, zur derzeitigen Diskussion über V. beitragen kann.
Arno Gruen, ein bekannter Psychoanalytiker, sagte einmal sinngemäß, dass Sprache nicht nur die Aufgabe hat, unsere Wahrnehmungen zu kommunizieren. Vielmehr wird durch unsere Sprache unser Denken geformt und auf diese Weise auch unsere Wahrnehmung. Wie ich die Welt sehe und über sie denke hängt also davon ab, welche Begriffe ich benutze, um sie zu beschreiben.
Zum Erlernen der GFK gehört für mich, meinen Wortschatz durch neue Formulierungen zu bereichern, alte auszumisten oder neu zu betrachten um mir ein stimmigeres Bild von den Vorgängen um mich herum zu malen. Eines dieser Wörter ist Verantwortung.
Ich bin für mich und meine Taten verantwortlich, nicht dafür, wie sie bei anderen Leuten ankommen. Andere Leute sind für ihre Taten verantwortlich, nicht für die Gefühle, die sie bei mir auslösen. Soweit alles noch GFK-Basiswissen, schnell gelernt, noch schneller dahingesagt.
Aber was genau bedeutet es für mich, Verantwortung zu übernehmen?
Besteht in der GFK ein Unterschied zu dem, was wir lebenslang gelernt haben?
Ich glaube Erich Fromm hat geschrieben, dass Verantwortung mit antworten zu tun hat. Ich kann zum Beispiel auf meine Umwelt antworten indem ich mich für ein bestimmtes Verhalten entscheide. Ich kann auf die Frage nach den Gründen meiner Handlung antworten. Insofern stehe ich zu mir und meinen Entscheidungen und übernehme dafür die Verantwortung.
Überwiegend scheint aber eine ganz andere Bedeutung hinter dem Wort zu stehen. In unserem gängigen Sprachgebrauch wird leider kaum zwischen Verantwortung, Pflicht und Schuld unterschieden.
Wikipedia schreibt zum Beispiel : „Der Begriff ist das Substantiv zu ‚verantworten’ von mittelhochdeutsch ‚verantwürten’ mit der ursprünglichen Bedeutung ‚sich als Angeklagter vor Gericht verteidigen’“.
In Sätzen wie „Übernimm endlich Verantwortung!“ oder „Der Schuldige wurde zur Verantwortung gezogen“ steckt also einiges mehr drin.
Oft geht es hinter den Worten in Wirklichkeit darum, zu gehorchen und seine Pflicht zu erfüllen, manchmal auch darum, den „Mut“ aufzubringen, eine Strafe für Ungehorsam, Fehlverhalten oder Regelbrüche zu akzeptieren. Womit in Wahrheit natürlich gemeint ist, sich wieder der Macht anderer zu beugen. Folgende Sätze aus der Fasten Mail machen das wie ich finde sehr deutlich: „Wer sich traut, „Mein Fehler“ zu sagen und um Entschuldigung zu bitten, ist stark. Auch wenn man zunächst Kritik auszuhalten hat – am Ende erntet man Respekt.“
Spürt mal bei euch selber nach, welche Nebenbotschaften für euch in solchen Sätze enthalten sind. Was bedeutet es für euch, wenn ihr sie lest?
Ist Verantwortung für euch eher angenehm oder unangenehm besetzt?
Wichtig ist mir hierbei nicht einfach sprachliche Genauigkeit um des klaren Ausdrucks willen. Es geht vielmehr darum, überhaupt die nötigen Worte zu haben, um über wichtige Prozesse nachdenken zu können. Solange ein Wort wie Verantwortung mehrfach mit Bedeutungen aufgeladen ist (Schuld, Pflicht, Gehorsam, …) ist es schwer, nur über eine einzelne Sinnschattierung zu sprechen und nachzudenken. Die anderen Bereiche, insbesondere in unserem Gefühlsgedächtnis, werden von unserem Gehirn immer gleich mit aktiviert .
Nun sind Pflicht und Schuld sehr unangenehme Konzepte, weil sie u.A. die Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Unversehrtheit beeinträchtigen. Wenn unser alltäglicher Sprachgebrauch also diese Prozesse vermischt, so dass wir nicht mehr klar unterscheiden können, was genau gemeint ist, wird es verständlich, wieso viele diesen Stricken aus dem Weg gehen und lieber keine Verantwortung übernehmen wollen. Wer möchte schon gerne bestraft werden?
So gesehen ist es ein verführerischer Gedanke, jemand anderem die Verantwortung (Schuld) für mein Handeln zu übertragen, damit ich nicht bestraft werde. Die Logik ist bestechend, denn wie sollte ich für etwas belangt werden, was ich gar nicht frei entschieden habe, ja, nicht frei entscheiden konnte, weil ja jemand anders seine Finger mit ihm Spiel hatte. „Die Frau die du mir gabst, sie gab mir von der Frucht und so aß ich“, mit diesen Worten hat schon der biblische Adam versucht, der Strafe eines autoritären Gottes zu entgehen.
Weite Teile unseres Rechtssystems basieren darauf, die Verantwortung für das eigene Handeln abzugeben um nicht schuld zu sein, nicht bestraft zu werden.
In einem System, das ohne Strafe und Belohnung auskommt wäre es also wesentlich leichter, die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Mit dem System, das wir vor unserer Haustür vorfinden, haben wir leider nicht dieses Glück. Deswegen ist es meiner Meinung nach wichtig, Verantwortung von Schuld zu trennen.
„Ich habe dies und das gemacht und stehe dazu, ich hatte gute Gründe dafür und es war kein Fehler sondern in der Situation voll und ganz angebracht. Deswegen verdiene ich auch keine Bestrafung und brauche keine Vergebung oder Gnade von außen. Ich kann aus den Folgen meiner Handlung lernen und behalte die Macht über mein eigenes Leben.“
Wenn man sich erst einmal klar vor Augen führt, was es bedeutet, gibt es noch viele weitere gute Gründe dafür Verantwortung zu übernehmen. Und hoffentlich findet ihr in eurem Leben Strukturen vor, die es zulassen und unterstützen.
Und wenn es euch nicht gelingt zu sagen „Ich war’s“ könnte es spannend sein, zu schauen, was euch davon abhält.
Markus Castro