Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Filz und Leichtigkeit

Hallo, Welt!
Es ist heiß! Und während unseres grandiosen Filzseminars war es heiß! Wie gut, dass wir die Terrasse beschatten konnten! Und wie gut, dass es nicht geregnet hat! Alles das, was wir gemütlich im Garten machen konnten (frühstücken, Mittag essen, grillen, Einzelarbeit, Gruppenarbeit) war so viel entspannter als im Haus. Jedenfalls ist es zu fünft im Übungsraum voll. Und im Garten ist es locker.
Wir haben allerlei basic GfK angeguckt und ansonsten wurde fleißig gefilzt. Zunächst haben die Teilnehmer mit einem Flächenfilz angefangen. Das ging allen flott von der Hand, und eine Teilnehmerin hatte ohnehin schon viel Vorerfahrung. Während die einen filzten, habe ich jeweils das Essen vorbereitet, die Küche wieder klariert oder eben auch zugeschaut. Samstagnachmittag ging es dann an die größeren Teile, für die die Teilnehmer ja Freitag schon an den Entwürfen für die Motive gearbeitet hatten. Es entstanden zwei Meditationskissen Das erste mit einem Spiralmotiv. Auf der Papierskizze hatte es schon die leuchtende Mitte gegeben, aber der dynamische Mix mit dem Blau ergab sich erst im Umgang mit dem Material. Das zweite Meditationskissen war dagegen ganz gegenständlich im Motiv. Es hatte ein leicht abgewandeltes Ying Yang: Himmel und Wasser Besonders begeisterte mich dabei der Wal mit seinem weißen Bauch und eine Qualle, die zartrosa Tentakel hatte. Wunderbar! Und daneben wuchs der Teppich für einen Seminarraum. Das war natürlich superspannend zu beobachten: Zunächst wurden die einzelnen Teile vorbereitet und auf Papier ausgelegt. Wie bitte sieht ein Wolf aus? Und wo hat die Giraffe ihre Tupfen? Es wurde gezupft, gelegt, umgelegt, noch mal gezupft, und später dann gewalkt, geknetet, massiert, mit den Füßen gestampft und manchmal auch laut Musik gehört. Dazwischen gab es Zeit für ein Lebendigkeitsbad, allerlei Input zum Thema Camouflage in der Sprache, eine berührende Einzelarbeit zum Thema „Strategien und Opferenergie“ sowie diverse köstliche Mahlzeiten. Was mir gut gefallen hat, war dass ich mit Leichtigkeit von meinem Konzept abweichen konnte, als erkennbar war, dass keiner der Teilnehmer eine konkrete Bitte formulieren wollte, sondern andere Dinge gebraucht wurden. Als es keine Begeisterung dafür gab, Vorwürfe zu übersetzen, haben wir halt Komplimente übersetzt, was abends um neun auf der Terrasse bei einem Glas Wein deutlich mehr Spaß machte als in einem Seminarraum bei Kunstlicht. Die Abschlussrunde am Sonntag gegen 16 Uhr zeigte, dass alle sehr zufrieden mit dem Wochenende waren. Das alles hat nur einen winzigen Schönheitsfehler. Insgesamt waren es mit Vorbereitung und allem Drum und Dran fünf Tage Arbeit. Übrig bleiben für jede von uns Trainerinnen je 189 Euro. Das drückt den Stundenlohn auf osteuropäische Verhältnisse.
Trotzdem bin ich nicht unzufrieden. Zum einen sind wirklich wunderbare und inspirierende Werke entstanden. Zum anderen war eine zertifizierte Trainerin als Teilnehmerin dabei. Sie wird mir für meine Zertifizierung ein Trainer-Feedback geben und hat sich auch warm und wohlwollend über die Qualität meines Handouts geäußert. Und es sind Seminarvorbereitungen durchgearbeitet, die ich immer wieder brauchen werde. Und nun kann ich einfach die Schublade aufziehen und darauf zurückgreifen. Oder den Drucker anwerfen.
Heute nun bin ich total erschöpft. Ich hatte erst überlegt, ob ich nicht doch zum Thema „Work – Life“ etwas schreiben sollte, weil mir das Thema im Moment sehr nahe ist. Aber dann dachte ich, einige von Euch wollen bestimmt wissen, wie das Wochenende gelaufen ist. Ich werde heute versuchen, nur so viel zu tun, wie ich den tiefsten Drang verspüre: Geschirrspüler ausräumen, Katzenklos, Wäsche aufhängen, Seminarsachen wegräumen. Ansonsten versuche ich, nichts zu tun, also vielleicht zu schlafen. Ab Morgen möchte ich drei Tage Urlaub/Pause einlegen. Donnerstag Abend um 18 Uhr endet die Pause, dann bereite ich die Übungsgruppe vor. Aber bis da hin: Piano! Die nächsten 14 Tage werden noch einmal hart… Vielleicht kann ich dann Mitte September eine Woche Urlaub machen…

So long!

Ysabelle

Habe fertig!

Hallo, Welt!
Das Seminar kann los gehen! Eben habe ich die letzten Seiten meiner Vorbereitung ausgedruckt und bin jetzt hoch zufrieden mit meiner Planung. Zum einen steht der Ablaufplan, zum zweiten sind alle Seminarunterlagen vollständig und ich habe gleich noch einige Übungsbögen dazu entwickelt. Die kann ich natürlich auch bei anderen Gelegenheiten gut verwenden. So wird es einen Übungsbogen zum Thema „Du-Botschaften übersetzen“ geben, einen zum Übersetzen von Interpretationsgefühlen. Es gibt Input zum Thema „Angst vor Selbstoffenbarung und Camouflage“ und ich stelle die vier Seiten einer Nachricht von Schulz von Thun vor. Obwohl ich sie schon lange kannte, fand ich es spannend, mich noch einmal damit zu beschäftigen.

Ach, wie schön, einfach nur in meine Seminartasche zu greifen und 140 Gefühle auf laminierten Kärtchen herauszuziehen… 20 fiese Vorwürfe, die wir zusammen übersetzen können… Jetzt gibt es auch einen Übungsbogen zum Thema „Bitten“. Ist das wirklich eine Bitte? Wozu sagt dein Gegenüber JA, falls er zu deiner Bitte nein sagt? Tirili! Ich freu mich auf morgen!
Um eins heute Mittag dachte ich, ich bin so erschöpft, ich kann gar nichts mehr vorbereiten für das Seminar. Dann bin ich ins Bett gegangen, habe vier Stunden geschlafen, bin von meinem Vogelzwitscher-Wecker geweckt worden, hatte zwei Stunden Übungsgruppe, die extrem inspirierend und bereichernd war, und konnte dann jetzt noch locker zwei Stunden Texte schreiben und Unterlagen lochen, zusammenstellen und jetzt in eine Sammelbox zu sortieren. Es kann los gehen, ich fühle mich gut vorbereitet. Äh, was ich das Gefühl? Zufrieden, sicher, klar, entspannt, zuversichtlich, erwartungsfroh. Wie gut, dass ich nicht den Filz-Teil moderieren muss. Da wäre ich aufgeschmissen. Wenn Hilke filzt, werde ich kochen, Obstsalat schnippeln, den Grill anwerfen und mich daran freuen, dass wir dieses Seminar zu zweit machen.

So long!

Ysabelle

Mystische Zahlenspiele aus D-Mark-Zeiten

Hallo, Welt!
Gestern sind mein Sohn und ich zur Trauerfeier für meinen Vater aufgebrochen. Junior kam morgens zu mir, damit wir in einem Auto unterwegs sind. „Wo hast du Schuhputzzeug?“, fragte er mich, weil er noch mal über die guten Schwarzen bohnern wollte. Wenig später hörte ich ihn im Wirtschaftsraum kichern. „Du und deine Vorratshaltung! Diese Marmelade ist von 2003 und die Adresse auf dieser Konserve hat sogar noch eine vierstellige Postleitzahl…
Heute habe ich einen kurzen Blick auf besagtes Regal geworfen. Tatsächlich: Marmelade von 2003. Zwei Gläser Rotkohl, deren Mindesthaltbarkeitsdatum mit Oktober 2007 angegeben war. Eine China-Sauce von 1999 habe ich leichten Herzens der Tonne übergeben. Beim Rotkohl fiel mir das deutlich schwerer, und die Marmelade habe ich zurück ins Regal gestellt. Ein Glas Schwarzwurzeln war noch mit D-Mark ausgezeichnet. Das habe ich dann auch entsorgt.
Als mein Sohn sich über die Vorratshaltung mokierte, spürte ich Unbehagen, ja so etwas wie Schuldgefühle. Als wollte ich die ganze Familie mit abgelaufenem Essen ausrotten. Ertappt, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Scham. Ach ja, Scham war das.

Als ich heute davor stand, fest entschlossen, alle abgelaufenen Lebensmittel wegzuwerfen, fühlte es sich ganz anders an. „Die schönen Sachen… das kann man doch alles noch essen… da ist doch nichts mit los… oh, ja, diese Marmelade… die habe ich von dem Besuch in XY mitgebracht… Das schlechte Gewissen von „willst du uns alle umbringen“ hatte sich verändert in „du willst doch nicht etwa Lebensmittel wegwerfen, die noch gut sind…?!“
Anscheinend gibt es zu dem Thema zwei Wahrheiten in mir. Der eine Teil ist so stolz auf das gefüllte Vorratsregal. Bei mir muss keiner verhungern. Und wenn Morgen eine Busladung voller Leute vor der Tür steht, ich kriege sie alle satt. Die Dosen sind nicht verbeult oder aufgebläht, der Rotkohl sieht nach wie vor prima aus. Und Mindesthaltbarkeitsdatum ist eh eine Erfindung der Industrie.
Der andere Teil möchte auf einen besonders effizienten Umgang mit Lebensmitteln an den Tag legen. First in, first out. Keinen Mais nachkaufen, wenn noch vier Dosen Mais im Regal stehen. und beim Einräumen fällt mir auf, ach, es war ja gar nicht Mais, was fehlt, sondern Champignons… Und dann diese grandiose Saisonware… Nur jetzt… amerikanische Wochen, asiatische Wochen… Glasnudeln… komisch, damit koche ich nie, aber ich erliege der Versuchung.

Anscheinend gibt es ein Lernfeld, das heißt: Empathische Vorratshaltung. Wie viele Dosen, Gläser, Marmelade (Mist, wieso habe ich den holländischen Sirup weggeworfen, der war doch erst 2010 abgelaufen!), Senf, Tütenpürree (ich schwöre, nur für den Notfall), Thunfisch und Prinzessbohnen brauche ich, um mein Bedürfnis nach Sicherheit zu erfüllen? Denn dass es nicht um das Bedürfnis nach Nahrung geht, ist mir sehr klar. Ich denke, das ist ein Erbe der Kriegsgeneration, die einfach nichts hatte, und die alles hortete, egal, was es war. Wenn man es selbst nicht aß, konnte man es aber wenigstens tauschen… Diese Haltung war bei uns in der Familie ganz tief verankert. Komisch, in den Schränken meiner Mutter findet sich aber heute gar nichts mehr. Sie scheint das irgendwie überwunden zu haben. In ihrem großen Kühlschrank langweilen sich ein paar Medikamente, zwei Flaschen Wasser, eine Dose Sprühsahne, eine Bisquitrolle und zwei Sahnepuddings. Aber: Als wir 1978 den Haushalt meiner Großmutter auflösten, fanden wir noch eingeweckte Schattenmorellen von 1963… Solchen Zeiträumen nähere ich mich auch…

Also: Vorratshaltung erfüllt mir ein Bedürfnis nach Sicherheit. Selbst Vorräte mit deutlich abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum erfüllen dieses Bedürfnis. Sie erfüllen das Bedürfnis auch, wenn die Adresse auf dem Etikett noch eine vierstellige Postleitzahl hat. Und gleichzeitig hätte ich gern neue neue Strategie, mit der ich mir dieses Bedürfnis erfüllen kann, ohne missbilligende Blicke anderer Menschen zu kassieren. Mal sehen, was mir da bis Weihnachten einfällt. Eine Strategie könnte sein, erst mal sehr bewusst mit den „alten“ Sachen zu kochen, also vielleicht die alten weiter nach vorn zu schieben oder gezielt nach leckeren Rezepten für diese Zutaten zu suchen. Mal ehrlich, bei 30 Grad im Schatten, die jetzt endlich kommen sollen, ist mir überhaupt nicht nach Rouladen mit Rotkohl…

So long!

Ysabelle

Eine Form der Camouflage…

Hallo, Welt!
Ich liege in den finalen Vorbereitungen für das GfK-und Filzseminar am Wochenende. Es scheint, dass das Wetter mitspielt. Das ist Klasse, denn dann können wir draußen arbeiten und abends grillen.
Für ein wenig Inspiration habe ich dann noch mal bei der Konkurrenz nachgelesen, was Schulz von Thun über Störungen und Klärungen schreibt. Dabei stieß ich auf einen Aspekt, den ich im Prinzip wusste, aber überhaupt nicht parat hatte: Er nennt das Kapitel: „Sprachliche Hilfsmittel zur Selbstverbergung“ und zählt einige besonders beliebte auf. Und danach sind zum Beispiel Du-Botschaften vermiedene Ich-Botschaften (wir werden im Seminar üben, sie zu übersetzen). Sie zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass mein eigener Ich-Zustand im Verborgenen bleibt. Gern übrigens auch vor mir selber… Wenn ich so richtig schön mit Du-Botschaften unterwegs bin, weiß ich oft nicht, wie es mir eigentlich gerade geht. Heute Abend war ich wieder beim Bridgespielen und habe so schöne Du-Botschaften gehört – am liebsten hätte ich sie mitgeschrieben.

Da das gerade nicht ging, habe ich eine Bitte an Euch!
Gibt es eine Du-Botschaft, die Ihr wiederkehrend benutzen möchtet? Zum Beispiel: Nie bist du pünktlich! Her damit! Gibt es eine Du-Botschaft, die Ihr besonders schwer hören könnt? Zum Beispiel: Du bist ja immer so schwer zu erreichen… Her damit! Ich hätte gern für das Seminar Beispiele aus dem wahren Leben. Und nur Beispiele aus meinem Leben haben eben auch eine Färbung, die speziell mit meinem recht groß gerateten Kritik-Ohr etwas zu tun hat. Das ist doch auf Dauer langweilig…

Zur Belohnung noch schnell ein paar weitere Selbstverbergungsstrategien: „Man“-Sätze, „Wir“-Sätze (wie geht es uns denn heute?…), Fragen (wieso hast du dir dieses Kleid gekauft?), die Verwendung von „es“ (es war langweilig), demonstrative Selbstverkleinerung (ich hab von der Materie keine Ahnung), und mangelnde Kongruenz, Authentizität. Dazu gehören gespielter Gleichmut, aufgesetzte Freundlichkeit, vermeintliches „Da steh ich drüber“. Leute, runter mit dem Tarnanzug! Nichts ist schöner als echte Verbindung!

So long!

Ysabelle

Der schießt auf mein Tor!

Hallo, Welt!

Ein Wort, das mir in den vergangenen Jahren sehr ans Herz gewachsen ist, lautet „Ichbezogenheit“. Und damit meine ich etwas ganz anderes als Egoismus. Jemand, den wir mit dem Etikett „Egoist“ bedenken, wird von Wikipedia wie folgt beschrieben:

Egoismus (griechisch /lateinisch ego ‚ich‘) bedeutet „Eigennützigkeit“. Das Duden-Fremdwörterbuch beschreibt Egoismus als „Ich-Bezogenheit“, „Ich-Sucht“, „Selbstsucht“, „Eigenliebe“.
Egoismen (Plural) sind demnach Handlungsweisen, bei denen einzig der Handelnde selbst die Handlungsmaxime bestimmt. Dabei haben diese Handlungen zumeist uneingeschränkt den eigenen Vorteil des Handelnden zum Zweck.

Mir geht es darum, dass jemand/ich die Handlungen, Unterlassungen oder Aussagen anderer Menschen mit sich, mit seinem eigenen Verhalten oder seinen eigenen Werten in Beziehung setzt. Stets, immer, ständig. Gabriel ruft mich nicht an, weil er sich über mich geärgert hat.
In den letzten Tagen prasselten eine Fülle von Beispielen auf mich herab, ein guter Grund, dazu ein paar Worte zu verlieren.

In einer Erziehung, in der das Kind dafür verantwortlich gemacht wird, das Mutti traurig ist und Papa ärgerlich, fühlt sich das Kind auf ungesunde Weise als Nabel der Welt. Es ist allmächtig, denn es kann die Gefühle von Mama und Papa beeinflussen. Aber mehr als das, es ist auch dafür verantwortlich… Was für ein leise träufelndes Gift!

Im Zusammenhang mit dem Trauerfall in unserer Familie hörte ich von einem Mann eine kleine Geschichte.
Sein Schwiegersohn hatte ein Gespräch mit Dritten über eine Erb-Auseinandersetzung. In diesem Gespräch sagte er zu der dritten Person: „Aber ein Anrecht auf den Pflichtteil hast du doch immer!“ Diese Aussage hat den Mann so sehr erschreckt, dass er fortan den Kontakt mit seinem Schwiegersohn auf ein Minimum beschränkte. Seine Befürchtung war, dass er nach dem Tod seiner Ehefrau das gemeinsam bewohnte Häuschen würde verkaufen müssen, um Tochter und Schwiegersohn auszuzahlen. Angesprochen hat er seine Angst den beiden gegenüber nicht. Allein, das Verhältnis war zerrüttet.

In einem Gespräch zwischen Mutter und Tochter hörte ich dieser Tage, wie die Tochter sich beschwerte: „Immer kritisierst du an mir rum! Ich komme gut allein klar, ich bin nicht mehr 17, sondern 37!“ Die Mutter war völlig konsterniert. Sie sah ihr Verhalten keineswegs als Kritik. „Ich habe große Hochachtung vor dem, was du alles auf die Beine stellst. Aber ich bin auch in Sorge, weil du dir keine Pause gönnst! Wie kann ich meine Sorge denn ausdrücken, ohne dass sie bei dir als Kritik ankommt?“

Und in einem dritten Fall ging es um ein Paar, das eine Verabredung fürs Kino miteinander hatte. Als sie ihn sehr gehetzt von der Arbeit abholte und berichtete, was ihr alles am Tag widerfahren war und welche Erledigungen noch zu machen waren, „hörte“ er, aufgrund der Belastung könne der geplante Kinoabend nicht stattfinden. Als er dann voller Schmerz zurückfragte: „Heißt das, wir gehen nicht ins Kino?“, war sie wiederum total enttäuscht und frustriert, dass ihr Committment, den Abend zusammen zu verbringen, anscheinend in Frage gestellt wurde. Wo sie doch gerade so große Anstrengungen unternommen hatte, damit sie gemeinsam ein paar unbeschwerte Stunden verbringen konnten…

Ich habe noch ein eigenes Beispiel beizusteuern.
Gestern war ich bei meiner Mutter. Mit dem Mann vom Beerdigungsinstitut haben wir die Details für die Trauerfeier festgelegt. Meine Mutter wird ja nach einer schweren Erkrankung per Sonde ernährt, weil sie nicht mehr kauen und nur mühsam schlucken kann. Da ich mir Sorgen mache, dass sie in diesen Tagen völlig vom Fleisch fällt, brachte ich ihr einen frischen Green Smoothie mit. Ihre Reaktion schockte mich. Da kam ein Wortschwall, wie widerlich diese grüne Pampe sei, und wenn sie nur auf die Flasche schaue, müsse sie schon kotzen…
Uff. Das konnte ich schwer hören. Es dauerte mehrere Stunden, bis es mir gelang, den Stachel der Abwertung meiner Person und meines schönen Bemühens aus diesen Worten zu entfernen und sie als das zu hören, was sie sind: Mein Gegenüber sagt einfach nur: Ich bin im Schmerz, denn ich habe ein brennendes unerfülltes Bedürfnis. Und DAS hat gerade mal nichts mit mir zu tun.

in unserem Leben begegnen uns immer wieder Menschen, die mit ihrem Verhalten oder ihren Aussagen genau auf unsere wunden Stellen treffen. Sagt jemand etwas, das uns nicht tangiert, bleiben wir ganz gelassen. Trifft uns aber eine Aussage, ist das ein Indiz dafür, dass wir, um mal ins Fußballer-Deutsch zu verfallen, unseren Kasten nicht sauber halten. Louise Hay beschreibt es in einem ihrer Bücher so nett: Wir würden uns mit Sicherheit nicht angesprochen fühlen, wenn jemand ständig zu uns sagen würde, „du bist eine lila Kuh, du bist eine lila Kuh.“. Aber wenn jemand sagt, „du bist schon wieder zu spät“, gehen wir ab wie „Schmidts Katze“. Wir hören, wir hätten etwas falsch gemacht, bei uns kommt nur Tadel und Unmut an. Wir beziehen die Reaktion unseres Gegenübers auf uns. Mit mir ist was falsch, weil ich meiner Mutter einen Green Smoothie mitgebracht habe… Nein, Freunde der Gewaltfreien Kommunikation! Meine Mutter hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sie ein brennendes unerfülltes Bedürfnis hat. Und es gibt keine Veranlassung, daraus einen Schuh zu machen und ihn mir anzuziehen. Es reicht vollkommen, wenn ich die Dornenranke sanft von meinem Pulli pflücke und mir ins Bewusstsein rufe: Meine Ich-Bezogenheit wird in den Hintergrund treten. Ihre Aussage hat nichts mit mir zu tun. Mein Gegenüber teilt mir lediglich etwas über seinen Seelenzustand mit. Kein Grund, das auf dem Kritikohr zu hören! Stattdessen kann ich mich auf zwei Dinge besinnen: Zum einen kann ich mich fragen: Was löst das bei mir aus, wenn ich das höre? Und zum zweiten: Was ist in meinem Gegenüber lebendig, wenn er auf diese Weise reagiert? Alles kein Grund, auf den anderen einzuschlagen. Ich suche die Verbindung mit mir (hey, warum war das ein „Autsch“?), und danach bin ich frei, die Verbindung zum anderen herzustellen. Kein Ball im Tor, just am Seitenpfosten vorbei…

So long!

Ysabelle

Mein erstes Mal

Hallo, Welt!

Heute hat meine erste echte Mediationssitzung stattgefunden. Und die beiden Menschen werden wieder kommen. Ein Konflikt, der länger als zehn Jahre schwelt, lässt sich nicht in 90 Minuten auflösen. Falls diese Mediation gelingt, also zu einem Ergebnis führt, mit dem beide Seiten gut leben können, war das ein superschöner Auftakt. Beide haben Interesse daran, das Verhältnis zu klären. Beide sind bereit, sich ein wenig führen zu lassen. Damit meine ich: Ich darf sie unterbrechen. Sie lassen sich gegenseitig ziemlich aussprechen. Und zum Teil reden sie sogar schon miteinander. Zum Ende habe ich gefragt, ob denn schon alles auf dem Tisch sei, was es braucht, um den Konflikt zu lösen. Hm. Anscheinend noch nicht. Aber wir haben schon mal ein paar Bedürfnisse gesammelt. Von beiden Konfliktparteien hat es warme Wertschätzung für die Gestaltung und den Ablauf gegeben. Sie lobten den ansprechenden Seminarraum, sogar das Gäste-WC (!). „Es war mehr als ich erwartet habe“, meinte die Ältere zum Schluss.

Fasziniert hat mich, dass beide nicht die Frage beantworten konnten: „Wie geht es Ihnen, wenn Sie das hören? Von beiden kamen Erklärungen, Geschichten, wie es damals mal war oder ähnliches, aber nichts in Richtung Befindlichkeit. Leute, sind wir denn alle so sehr abgeschnitten von uns uns unserer Lebendigkeit, dass wir nicht einmal erkennen, was wir fühlen?
Insgesamt ist es ganz schön anstrengend. Also, zwei derartige Sitzungen an einem Tag traue ich mir im Moment noch nicht zu. Zum einen fehlt mir ja aber auch noch die Routine. Zum zweiten bin ich im Augenblick sowieso ziemlich erschöpft. Mir fehlen Erholung und Schlaf. Jetzt ist es halb zwei. Nachdem die Medianten um kurz nach zwölf gegangen waren, habe ich selbst schnell ein bisschen Obst und Gemüse eingekauft, den Seminarraum aufgeklart, das Geschirr abgeräumt und eben eine Runde Smoothies gerührt. Heute mit den Blättern von Mairübchen, einer Drittel Gurke, einigen Aprikosen, ganz viel Petersilie, einem Apfel, zwei Bananen und ein paar Erdbeeren. Eine Flasche voll will ich meiner Mutter mitnehmen, die ja per Sonde ernährt wird. Vielleicht hat sie Lust auf etwas Frisches. Und trinken kann sie ja. Ach ja, die Betten sind auch schon bezogen, heute Morgen um halb neun. Die Wäsche tummelt schon im Trockner. Ich bin sehr froh über die Idee, das Work-Life-Balance-Büchlein zu führen. Es hilft mir anzuerkennen, dass ich wirklich etwas tue und meine Zeit sinnvoll verbringe. Was für eine Mitgift, die ich da herumschleppe… Nur „Arbeit“ zählt. Na, wäre ja auch langweilig, wenn ich mit 55 an mir kein Wachstumspotenzial mehr ausmachen könnte…

So long!

Ysabelle

Schlüsselunterscheidungen, mal wieder.

Hallo, Welt!

Heute habe ich das zweite Mal eine Unterrichtseinheit zum Thema Schlüsselunterscheidungen gegeben. Könnt Ihr das lesen? Es ist ein Zitat von Garri Kasparow, dem früheren Schachweltmeister, der etwas über erfolgreiche und katastrophale Strategien sagt. Ausgangspunkt war eine Diskussion, warum einige Teilnehmer des Projekts einen Vortrag halten sollen. Das Halten eines Vortrags war in diesem Fall eine Strategie, die Bedürfnisse, die damit erfüllt werden sollten, waren Wachstum und Lernen. uiuiuiuiuiiiiiii…. das sahen einige Leute aber ganz anders. Ich hatte geglaubt, wenn ich nur den Unterschied zwischen Bedürfnis und Strategie erläutere, wird klar, dass sie eine andere Strategie vorschlagen können, die ebenfalls Bedürfnisse nach Lernen und Wachstum erfüllt. Aber bei einigen Teilnehmern kam das ganz anders an. Die rede war von Zwang und Druck und anderen interessanten Gedanken.

Wenn ich diese Argumente höre, werde ich ganz müde. Ich bin doch nicht der Entertainer, der zur Unterhaltung der Teilnehmer abgestellt ist. Ich mache Angebote, und ich bin offen für andere Vorschläge. Die Idee lautet aber nicht, ich will das nicht, und das auch nicht, und das auch nicht, und eigentlich will ich gar nichts… Ich will hier einfach nur sitzen… so viel Loriot vertrage ich nicht an einem Tag. Leute, Arsch hoch und auf die Beine! Raus aus der Komfortzone! Gelernt wird in aller Regel nicht da, wo es kuschelig ist. Gelernt wird da, wo meine eingefahrenen Strategien nicht greifen. Gelernt wird da, wo es piekt. Ich will bestimmt niemanden in Panik versetzen mit einer Aufgabe, die den einzelnen in einer Weise belastet, dass er oder sie nicht mehr klar denken kann. Aber ein bisschen Gehirnschmalz darf schon investiert werden. Wozu gehe ich sonst in so ein Projekt?

Ach, Leute! Wie sehr liebe ich heute die unendlichen Open-Space-Sitzungen von GfK’lern! Wenigstens sagen die Leute, was sie wollen, und sie stehen für ihre eigenen Vorschläge ein. Aber diese Haltung des Schweigens und Totstellens finde ich einfach lähmend und zutiefst frustrierend.

Für heute hatte ich genug.

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Nachsatz:
… Mein Vater ist heute Nachmittag friedlich eingeschlafen. Ich bin froh, dass ich ihn Montag noch gesehen habe, dass wir ein gutes Gespräch hatten. Und ich bin dankbar, dass ihm Hospiz und Palliativstation erspart bleiben. Er ist ein bescheidener Mann. Ich werde ihn vermissen. Er gehört zu den Menschen in meinem Leben, die mir wirklich immer nur Gutes wollten. Ich bin dankbar, dass Du in meinem Leben eine wichtige Rolle übernommen hast.

So long, Daddy…

Ysabelle

Der Tod schleicht sich an

Hallo, Welt!
Die vergangenen 14 Tage waren sehr anstrengend. Urlaubsvertretung in dem Arbeitslosenprojekt, Vertretung in der Übungsgruppe in Hamburg, Unterrichtsvorbereitung, vergangenen Samstag eine sehr schöne Grillparty hier im Haus, Vorbereitung für das „Gewaltfrei-filzen“-Seminar in der kommenden Woche. Da erreichte mich die Nachricht, dass mein (Stief)-Vater im Krankenhaus liegt. Gestern war ich dort und habe während des Besuchs und im Nachhinein der Höheren Macht gedankt, dass ich in den vergangenen Jahren so viel über das Wesen der Empathie lernen durfte. Es tat so gut, mich selbst immer wieder „leer“ zu machen und einfach nur aufnahmefähig für das zu sein, was er ausdrücken wollte. Selbst die Botschaft meiner Mutter, „es ist alles in Ordnung, du brauchst dir keine Gedanken zu machen“ konnte nicht ankommen bei ihm. Er war gar nicht auf diesem Gleis unterwegs. Und sie war auch nicht bei IHM, sondern bei dem, was sie ihm gern mit auf den Weg geben wollte, denn die Ärzte haben unmissverständlich gesagt, dass es für diese Krankheit keine Heilung gibt.

Empathie! Wir alle brauchen einfach nur Empathie! Als zwei Ärzte an seinem Bett standen und Dinge über seine Krankheit und das weitere Vorgehen (Palliativstation oder Hospiz?) besprachen, konnte er aufgrund seiner Schwerhörigkeit nicht folgen. Ich habe die Ärzte unterbrochen, seine Hände genommen und ihn gefragt: Ist bei Dir angekommen, was die Ärzte gesagt haben? „Nein“, sagte er. Und ich habe noch einmal langsam übersetzt. Von den drei anderen hat zu meinem großen Schmerz niemand realisiert, dass er, um den es doch eigentlich ging, abgehängt war. Als höflicher und bescheidener Mensch wollte er nicht unterbrechen, versuchte sich aus Wortfetzen und Mimik ein Bild zu machen. Niemand ist mit seiner/ihrer Aufmerksamkeit ganz bei ihm, alle sind mit eigenen Dingen, Sorgen, Befürchtungen, Diagnosen, Angelegenheiten beschäftigt. Das finde ich sehr schmerzvoll zu erleben. Leute, bitte lernt Empathie! es ist das kostbarste Geschenk, das wir einander machen können.

Ich gehe gleich mit einer Freundin frühstücken und ich bin sicher: Auch für mich wird es dabei ein Stück Empathie geben.

So long!

Ysabelle

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