Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Von Schuld, Scham, Abwehr und roten Rosen

Hallo, Welt!
Zunächst ein paar Kurznachrichten:
Der Vortrag scheint gut gelungen. Ich jedenfalls bin mit mir zufrieden. Zwei (befreundete) Menschen haben mich angerufen und warme Rückmeldungen gegeben. Drei andere Menschen haben mir im Anschluss an den Vortrag ein Feedback gegeben, das sehr wohlwollend und zugewandt war. Eine weitere Rückmeldung besagte, dass ich Sätze anscheinend häufiger mit „jaaa“, beende, was von dem Empfänger als irritierend wahrgenommen wurde. Ich habe unglaubliche 1.45 h geredet, es gab kleinere technische Pannen (eine stellte sich als Vorteil heraus) und mein Eindruck war, dass alle einigermaßen zufrieden waren.

Meine Work-Life-Balance ist nach wie vor krass un-balanced. Auch heute wird es keine Pause geben, um 11.30 Uhr gehe ich in eine Konferenz, die meiner Einschätzung nach mindestens bis 16 Uhr dauern wird. Und dann wartet noch Papierkram und Unterrichtsvorbereitung auf mich. Nun aber zum heutigen Thema.

Freitag war das vierte Treffen mit meinen Medianten. Ich hatte mir im Vorfeld Supervision und Empathie bei Ute Kleindienst geholt und das war sehr hilfreich. Außerdem habe ich mir noch einmal meine Aufzeichnungen und Unterlagen zum Thema „Perspektivwechsel“ angesehen und dieses Tool dann auch angewendet.

Dieses vierte Treffen bereicherte mich um eine Erfahrung, die mich zutiefst erschütterte. Eine Person beschrieb, wie sie die Situation vor vielen Jahren wahrgenommen hat. Mir erschien die Schilderung so verständlich, dass ich keine Veranlassung zum Übersetzen in Gefühle und Bedürfnisse sah. Doch bei der anderen Person kam etwas ganz anderes an: „Du tust so, als ob ich an allem schuld wäre.“ Ich war fassungslos. In der Aussage hatte ich wirklich keinen Anflug von Schuldzuweisungen gehört. „So war es damals bei mir“ kam bei mir als Botschaft an. Die zweite Person geriet richtig in Not. Es wurde laut, wir haben sogar kurz unterbrochen. Gegen Ende habe ich dann noch mal eine Person gedoppelt („darf ich einmal neben Sie treten und mit meinen Worten formulieren, was ich gehört habe, und Sie korrigieren mich, wenn ich etwas falsch verstanden habe?“), und im Doppeln liefen mir wirklich die Tränen. Die gedoppelte Person bestätigte meine Aussage (schnief… das ist starker Tobak… ja, genau so meine ich es…). Und die zweite Person war fassungslos über das, was sie da hörte. „Wenn das so bei dir ankommt… das meine ich doch gar nicht…“

Nach den zwei Stunden war ich reif für die Couch. Ich bin einfach zutiefst entsetzt, wie unser Kommunikationssystem funktioniert. Und je älter wir werden, desto weniger können wir hören, dass der andere sagt: Ich habe einen tiefen Schmerz, weil bei mir wichtige Bedürfnisse unerfüllt sind!“ So jedenfalls scheint es mir heute.

Wir haben keine Übung darin, die Worte des anderen als „Äußerung zu mir selbst“ zu hören. Viel zu oft sehen wir uns darin verwickelt und verstrickt. Wenn du in dieser Situation, an der ich beteiligt war, so gefühlt hast, dann bin entweder ich schuld (und das löst Scham aus!), oder mit dir muss etwas nicht stimmen. Und da haben wir sie, die Abwehr. Wir sind nicht darauf trainiert, dem anderem wirklich zuzuhören. Wie geht es dir und was brauchst du? Alles ist verwoben, alles hat auf ungute, klebrige Weise etwas mit uns zu tun.

Dieses Muster, das mir in der Mediation so deutlich entgegengesprungen ist, kenne ich auch aus anderen Situationen. Ein Kollege hat gerade seine Gehaltszahlung bekommen und stellte anhand des Nettobetrages fest, dass da etwas nicht stimmen konnte. Sofort kamen Urteile wie „respektlos, unzuverlässig, leere Versprechen“. Ich konnte den tiefen Schmerz hören und sein Bedürfnis nach Vertrauen (in den neuen Arbeitgeber), Respekt und Wertschätzung. Aber sofort stand im Raum, der Arbeitgeber bescheiße absichtlich oder halte sich nicht an die eigenen Qualitätsmaßstäbe. Du bist schuld oder ich bin schuld. Und bevor ich schuld bin, geb ich doch lieber dir die Schuld… Und vor meinem geistigen Auge sehe ich Marshall, wie der die Wolfsohren auf seinem Kopf rotieren lässt: „angry, guilty, depressed…“

Vielleicht ist das das allergrößte Geschenk der GfK: Sie ermöglicht uns, genau die Verantwortung zu tragen, die unsere ist: Wir sind verantwortlich für unser Tun und Lassen, für unsere Gedanken und unsere Worte. Wir sind nicht verantwortlich für das. was der andere hört. Wir sind nicht verantwortlich für das, was unsere Worte beim anderen auslösen.

Im Vortrag hatte ich jeweils ein paar Testfragen eingebaut. Unter anderem sollten die Teilnehmer raten, ob es sich bei der Aussage:

30 rote Rosen – ich bin überwältigt

um ein echtes Gefühl handelt. Während ich (voller Begeisterung über die Rosen) auf dem Tanzparkett hin- und herwalzte, sagte eine Teilnehmerin:
„Du lernst es nicht mehr. Mit Rosen machst du mir keine Freude. Sonnenblumen… das wär’s gewesen. Würdest du mich wirklich sehen und wertschätzen, hättest du mir Sonnenblumen gebracht, und keine Rosen…“

Die „Tat“ ist die selbe: 30 rote Rosen als Geschenk. Doch während der eine außer sich ist vor Freude, löst diese Gabe beim anderen Schmerz und Trauer aus. Und ich bin nicht schuld. Und ich habe nichts falsch gemacht.

So long!

Ysabelle

Die Uhr tickt

Hallo, Welt!
Heute habe ich annähernd zwölf Stunden am Schreibtisch verbracht. Mein Work-Life-Balance-Buch ist voll mit Work, bei Life blieb nur übrig, dass ich heute zwei Mal bei der Post war (immerhin an der frischen Luft) und mir heute Mittag Bratkartoffeln spendiert habe. Ach, und ich hatte ein schönes Telefonat mit einem GfK-Freund, der auch gerade an einer Schule unterrichtet. Leidensgenossen…

Der Vortrag steht. Ich habe von Gabriel, Christel und Simran noch wunderbare Anregungen bekommen. Aber noch gab es keinen Durchlauf mit der Uhr. Und natürlich kann ich nicht alles auswendig. 15 Folien werden es zum Zeigen, 40 sind es insgesamt. Ich bin supererschöpft und werde demnächst ins Bett taumeln.
In einem Telefonat ist mir heute noch einmal deutlich geworden, dass es zu meinen Stärken gehört, schöne Bilder zu finden, wenn ich mich verständlich machen möchte. Das möchte ich feiern. Und ich möchte feiern, dass Markus mir eine Tüte Empathie angeboten hat, bevor ich am Freitag in die nächste Runde der Mediation gehe. Nie wieder lasse ich mich auf Mediation ein, wenn ich einen der Teilnehmer auch nur ein wenig kenne!!!
Es gibt etwas zu feiern.
Mir ist heute klar geworden, wie groß mein Vertrauen in die GfK mittlerweile ist. In Situationen, in denen es schwierig wird, geht es mir immer häufiger so wie damals den Flying Dorias in der Fernsehserie „Salto Mortale“.

Ich springe mit verbundenen Augen ab und habe den Glauben, dass ich mit Empathie oder mit gewaltfreiem Selbstausdruck weiter komme. ich muss nicht mehr in den Kopf gehen, analysieren, diagnostizieren. Immer und immer wieder gelingt es mir mich damit zu verbinden: Wie geht es mir? Und wie geht es Dir?

Was das Mediationsverfahren angeht, fehlt mir bisher das Vertrauen in die Werkzeuge. Umso schöner ist es dann zu spüren: Die GfK trägt mich.

Danke, Marshall, danke all Ihr Trainer und Gefährten, die Ihr dazu beigetragen habt!

So long!

Ysabelle

Work-Life-Disbalance

Hallo, Welt!
Das Wochenende ist um. Ich habe Samstag und heute mittags geschlafen. Trotzdem habe ich mich nicht erfrischt gefühlt. Wie geht Nichtstun? Hier ist irgendwo der Wurm drin! Ich habe zwar die ganze Bügelwäsche erledigt und eben noch ein bisschen Unterrichtsvorbereitung zum Thema Telefonbewerbung zusammengetragen, an einem Facebook-Auftritt bearbeitet und Software auf dem Laptop installiert, was zu meinem großen Frust eben nicht reibungslos funktionierte. Fotoshop Elements lässt sich nicht installieren. Dazu ist die Wäsche gewaschen, der Geschirrspüler leergeräumt. Für meinen Geschmack nicht genug gearbeitet, um zufrieden zu sein. Nicht genug entspannt, um mich gut zu fühlen. Was tut man, um sich zu erholen?
Spazieren gehen.
Fernsehen.
Och nö!
Mit Freunden Zeit verbringen.
Ich hatte zwei schöne Telefonate mit Freunden.
Mir fehlt so etwas wie Erfüllung. Und vielleicht Leichtigkeit.
Also: Das hat nicht geklappt mit der Work-Life-Balance.

Ich bin unzufrieden, erschöpft und irgendwie deprimiert. Ich weiß nicht mal wieso.

So long.

Ysabelle

Der Schuh

Hallo, Welt!
Heute fand im Seminarraum die dritte Gesprächsrunde der Mediation statt. Während ich am vergangenen Wochenende noch 100 Euro darauf verwettet hätte, dass dieses Projekt heute mit Funkenflug und Donnerhall auseinanderfliegt, zeigte sich heute, dass meine beiden Medianten sich gerade erstmals in der Erhellungsphase befinden: „Ah… so ist das bei dir…“ Ich bin unruhig und besorgt, weil ich mich noch immer nicht strikt an die Regeln des Mediationsverfahrens halte. Heute ging es darum, dass eine Partei das Gesagte der anderen Partei als Vorwurf aufnahm: „Aber ich bin doch daran nicht schuld…“

Die nächste halbe Stunde habe ich dann zwischen den beiden gestanden und das Passepartout eines ausrangierten Bilderrahmens zwischen ihnen gehalten. „Das ist der Film von Person A., und er hat nichts mit Dir zu tun. Nein, du redest ja auch nicht mit George Cloney auf der Leinwand, wenn er im Kino eine Rolle spielt…“
Ach, wie schwer ist es doch, den Schuh im Raum stehen zu lassen und nicht anzuziehen. Unser System regiert mit Schuld und Scham, mit Zuschreibungen und Höhenunterschieden. Wie tragisch, dass wir in aller Regel nicht hören können, dass der andere einfach etwas von sich erzählt, und wir in dieser Geschichte höchstens der Auslöser sind, aber nie und nimmer der Grund oder die Ursache…

Ich habe selber die fatale Neigung, mir jeden Schuh anzuziehen, der im Raum steht. An einer Stelle der Mediation habe ich dann heute meinen Budapester Slipper ausgezogen und in die Zimmermitte geschubst: „Den ziehst du dir doch auch nicht an… dann brauchst du dir jetzt auch nicht anzuziehen, was der andere über sein Erleben sagt…“ Ich wünschte, dass ich das für mein eigenes Leben häufiger beherzigen könnte…

Gestern war ich bei meiner Mutter, um Bankangelegenheiten zu erledigen. Kurz vor meinem Eintreffen war die zarte alte Dame schwer gestürzt. Der Pflegedienst war da und kümmerte sich um sie, aber wir waren dann gemeinsam beim Zahnarzt und in der Notaufnahme des Krankenhauses. Dort wollte sie mich fast mit Gewalt nach Hause schicken. „Du fährst doch nicht gern im Dunklen. Ich bin doch dafür verantwortlich, dass du gut nach Hause kommst…“ Hallo? Ich bin 55 Jahre alt und muss schon selbst entscheiden, wann ich fahre… Aber diese ungesunde Verantwortlichkeit habe ich aus meiner Familie intensivst übernommen. Neulich hatte ich Besuch von einem Freund, der wichtigen Papierkram zu erledigen hatte und im Vorfeld meinte, es sei wohl für ihn leichter, das sozusagen unter Aufsicht zu machen. Doch jedes Mal, wenn ich ihn fragte, wie er vorankäme, sagte er Dinge wie „keine Kontrollfragen, bitte!“ Irgendwann änderte er seinen Text und fragte: „warum genau willst du das wissen?“. Ich brach in Tränen aus, weil ich plötzlich spürte, dass ich mich für die Erledigung seines Papierkrams verantwortlich fühlte. Was für eine Bürde!

In der Rückmeldung, die mir Gerhard und Kirsten kürzlich gegeben haben, ging es im weitesten Sinne auch um den Schuh im Raum. Ich bin nicht zuständig, ich bin nicht verantwortlich. Ein neuer Textbaustein. Noch drehe ich ihn immer mal wieder erstaunt hin und her. Mensch, stimmt ja. Ich bin Auslöser, nicht Ursache. Und DU fühlst …, weil Du … brauchst…

Möge der Tag kommen, an dem ich diesen Teil der GfK im direkten Zugriff habe, und nicht erst mühsam aus dem externen Speicher laden muss!

So long!
Ysabelle

Kraut und Rüben (16)

Hallo, Welt!
Der Blick auf das letzte Posting erschreckt mich! So viel Leben ist inzwischen passiert und es hat nicht mal ein halbes Stündchen zwischendurch gegeben, um Euch auf dem Laufenden zu halten. Hier mal ein paar Stichpunkte.

Meine erste Mediation hier im Haus läuft und ich weiß nicht, ob ich darüber lachen oder weinen soll.
Als mein Sohn 1982 zur Welt kommen wollte, sagte ich nach drei Stunden Wehen, „wenn es so bleibt, kann ich das gut aushalten…“. Nach 38 Stunden wurde es dann doch ein Kaiserschnitt. Was die Mediation angeht, hoffe ich nach einem tollen Start mittlerweile bestenfalls auf eine Zangengeburt, vielleicht kommt auch etwas ganz anderes dabei heraus oder die Medianten erdrosseln das Neugeborene. Ich fühle mich hilflos und traurig, weil mein Bedürfnis nach Beitragen und Unterstützung nicht erfüllt ist, OBWOHL ich mein Schönstes, Bestes gebe. Ach, wie gern würde ich die beiden darin begleiten, einen Weg zueinander zu finden. Heute scheint es mir leider so, dass alle Wege vermint und mit NATO-Draht gespickt sind.

Mein Vater hat vorigen Dienstag seine letzte Ruhe gefunden. Eine merkwürdige Veranstaltung, die mir verdeutlicht hat, dass ich so nicht beigesetzt werden möchte.

Die Woche davor war ich wieder als Assistentin in der Jahresgruppe im Osterberg-Institut. Eine spannende Erfahrung. Ich habe diverse Feedbacks für meine Zertifizierung eingesammelt und auch von Gerhard und Kirsten hilfreiche Rückmeldungen erhalten. Die im vorigen Beitrag angekündigte Minipause vor dem dritten Block erwies sich als Farce. Noch im Zug zu meinem Kurzurlaub meldete sich ein Bildungsträger bei mir und fragte, „können Sie auch Kommunikation?“ Und so sitze ich nun seit dem 3. September vier Tage die Woche in einem Klassenzimmer und unterrichte arbeitslose Jugendliche im Alter zwischen 15 und 30 Jahren in GfK, Umgang mit Konflikten, Feedback-Regeln und den richtigen Umgang mit Geld. Ironie des Schicksals… ausgerechnet ich erzähle was über den Umgang mit Geld… die sollten mal meinen Sohn einladen.

Nebenbei kümmere ich mich um den Schriftkram meiner Mutter, von der Abrechnung mit der Krankenkasse über die Abwicklung von Sterbegeld und anderen Fisimatenten. Könnte ja sonst langweilig werden in meinem Leben.

Und es gibt einen Stern an meinem Himmel.
Vor einigen Tagen erreichte mich eine Mail vom CNVC in Albuquerque, USA. Darin hieß es:

We have checked in with the Rosenbergs (wanting to keep them included in the process) and I am happy to enter into conversation with Ysabelle to invite her to be the organizer and share details with her.

Konkret heißt das: Ich darf für das CNVC das IIT in der Schweiz organisieren! Leute, was für ein Geschenk! Ich habe noch keine Detailinfos, weil sich beim Center noch alles um das Intensivtraining in Polen im Dezember dreht. Aber in der Giraffengemeinschaft so eine Aufgabe zu übernehmen ist ein großer Traum von mir. Diese Nachricht nährt erneut mein Vertrauen darin, dass alles einen Sinn hat, auch wenn ich ihn nicht zu jeder Zeit erkennen kann.

So. Und jetzt bereite ich eine Unterrichtseinheit über Sauberkeit im Kühlschrank vor.

So long!
Ysabelle

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