Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Perfektionismus – auch ein schöner Tod!

Hallo, Welt!
Wir verabschieden uns vom Perfektionismus. „We grow constantly less studid“, verspricht Marshall. Ich muss also nicht perfekt sein, es reicht, wenn ich mein Bestes gebe. Gegebenenfalls auch fünf mal hintereinander.
Wie schon mehrmals verbreitet, gestalte ich mit einigen Freunden am kommenden Wochenende ein Treffen, zu dem rund 90 Leute erwartet werden. Einige reisen schon Donnerstag an, andere kommen Samstag nur für einen Tag. Einige haben im April gebucht, andere fragen heute (!) an, ob es noch ein Einzelzimmer gibt, und wieder andere, die ihre tatkräftige Mitarbeit angeboten haben, melden sich heute krank. Es gibt Vegetarier und Fleischfresser und es gibt Externe und Übernachter…

Nun quäle ich mich seit Wochen mit der Herstellung von Tagungsunterlagen. Heute, liebe Freundinnen und Freunde, ist mir etwas gelungen, was ich noch nie gemacht habe. Ich habe eine Tabelle gebastelt, jawoll! Ganz ohne Excel, das kann ich nämlich nicht. Und kaum war ich fertig, habe eine PDF draus gemacht und an die anderen im Team verschickt, fiel mir ein, wie man diese Tabelle noch besser und noch schöner machen könnte. Inzwischen bin ich bei Version IV. Ich habe nicht die letzten Sachen aus den Koffern rausgeräumt, ich habe nicht meine Mutter angerufen, die im Krankenhaus liegt, ich habe nicht das Bügelbrett aufgebaut und mal den neuesten Mount Ironing weggefiedelt. Ich habe die letzten beiden offenen Rechnungen noch nicht geschrieben… Ich bastele eine Tabelle. Oder inzwischen sogar eine zweite… cool…

Damit erfülle ich mir die Bedürfnisse nach Wachstum, Kreativität, nach Spiel und nach Beitragen. Ok. Das möchte ich wertschätzen. Und gleichzeitig möchte ich mich daran erinnern, dass es vermutlich niemandem außer mir auffällt, dass auf der zweiten Seite der Tabelle hinter der Uhrzeit jeweils das „h“ für Stunde fehlt, oder welche anderen Verbesserungsmöglichkeiten es auch sonst noch so gibt. Vier Stunden für eine Tabelle – es reicht! Ich muss nicht perfekt sein, und meine Tabellen müssen es auch nicht. Es reicht, wenn sie die schönsten der Welt sind…

So long!

Ysabelle

Tod durch Vergleichen

Hallo, Welt!
Ich bin zurück aus dem Urlaub. Erholt und tatkräftig war ich für ein paar Stunden, dann hat mich ein Virus erobert und gestern lag ich tatsächlich ab 16 Uhr flach mit Kopfschmerzen, Halsweh, Triefnase und fiesem Husten. Ungünstig, denn ich gehöre zum Orga-Team für eine größere Veranstaltung am kommenden Wochenende. Wir erwarten zwischen 80 und 100 Teilnehmer und alles geht systembedingt etwas drunter und drüber. Ich wäre wirklich gern fit dafür…
Heute will ich etwas zum Thema „Tod durch Vergleichen“ berichten. Dieser Urlaub war wirklich sehr großartig. Ich war auf einem sehr schönen Kreuzfahrtschiff, habe gut gegessen, viel geschlafen, tolle Ausflüge gemacht und mich gefreut, dass ich das alles erleben durfte. Und gleichzeitig tauchte immer wieder das Thema „Vergleiche“ auf. War ich glücklicher, weil ich eine Balkonkabine hatte, als die Leute, die eine Innenkabine hatten? Wie konnte sich Witwe XY in diesem Jahr schon die dritte Kreuzfahrt leisten? Was macht die richtig und ich falsch? Wieso scheinen einige Leute alles essen zu können und sie werden nicht dick, und ich gehe am Büfett vorbei und habe zwei Kilo mehr auf der Hüfte? Und der Mann da, und die Frau – boah, ey, sind die dick… dagegen bin ich ja ein Rehlein…

Ich habe dieses Thema auch mit meinem Reisegefährten diskutiert. Wir fanden dabei so spannende Fragen wie „habe ich diesen Urlaub „verdient“, oder steht es mir nicht zu, so einen Luxus zu erleben? Bin ich „gut genug“? Und zum wiederholten Mal habe ich festgestellt, dass Vergleichen der sicherste Weg ist, sich richtig schlecht zu fühlen. Es gibt dazu von Marshall Rosenberg eine sehr nette Textpassage. Er schlägt vor, man möge das Telefonbuch von New York an beliebiger Stelle aufschlagen und sich mit der Person vergleichen, die dort aufgeführt wird. Beispielsweise Wolfgang Amadeus Mozart (mir war vorher nicht bekannt, dass der nach New York umgesiedelt ist…). Also: Wie viele Violinkonzerte habe ich im Alter von 12 Jahren geschrieben? Null. Desweiteren schlägt Marshall vor, man möge in eine Umriss-Zeichnung, die Mann und Frau in ihren Idealmaßen zeigt, jeweils die eigenen Maße eintragen. Falls also 90-60-90 noch immer ein Schönheitsideal sein sollte, würde ich sie an allen drei Werten übertreffen. Schöner fühle ich mich deshalb nicht…

Kurzum: Vergleiche sind ein sicherer Weg mich elend zu fühlen. Selbst wenn ich bei einem Vergleich „besser“ abschneide als meine Referenzgröße, trägt das schon mittelfristig nicht zur Erhaltung meines Wohlbefindens bei. Ich verdiene mehr als dieser Mann – aber wie lange noch? Ich bin dünner als diese Frau – aber 200 weitere Frauen an Bord sind mal dünner, jünger, schöner als ich… Der Golfpro spielt besser Golf als ich, die Geissens aus dem Fernsehen haben mehr Geld, meine Freundin H. mehr Mut, Gabriel mehr Ahnung vom Programmieren und mein Freund F. im Gegensatz zu mir Durchblick in Sachen Excel oder Fliesen legen.

Und nun?
In der Erziehung, die mir zuteil wurde, hat man Vergleiche benutzt, um mich anzuspornen. Ich sollte so klug sein wie XY, das schaffen, was meine Eltern und Großeltern nicht erreicht hatten, zum Beispiel eine Karriere als Akademikerin. Als junges Mädchen habe ich meiner Mutter einmal versprochen, ich würde eines Tages so viel Geld verdienen (und dann noch einen Zahnarzt heiraten), dass ich ihr dann ein Kajütboot und einen Citroen DS kaufen würde. Andere Menschen hatten schon ein Boot und so einen coolen Citroen… wir reden hier vom Ende der 60er Jahre. Bin ich nun eine Versagerin, weil ich dieses Versprechen nicht eingelöst habe?
Vergleiche setzen voraus, dass es einen richtigen, objektiven Maßstab gibt. So soll etwas sein, und daran messe ich mich, werde ich gemessen. Ich bin Gewinner oder Verlierer. Ich stehe gut da oder ich ziehe den Kürzeren. Wofür?

Mir wird immer deutlicher, dass die Etiketten-Ausgabe, die beim Vergleichen stattfindet, nicht dem Leben dient. Ich als ICH bin gar nicht sichtbar, wenn ich mich ständig an Schablonen anlege. Stimmt, ich kann nicht so gut rechnen. Bruchrechnung zum Beispiel habe ich nicht im Zugriff. Ebenso Prozentrechnung. Eine Einladung, mich schlecht zu fühlen. Wenn ich mich selbst aber als vollständiges Wesen ansehe, mit meiner Fähigkeit, lebendige Vergleiche zu finden, mit meiner Fähigkeit, im Handumdrehen aus meinen Vorräten ein Dutzend Leute zu beköstigen, mit meiner Freude an Musik, auch wenn ich kein Instrument spiele, mit meiner Lebendigkeit an der einen Stelle und meiner Achtsamkeit an der anderen – dann darf ich gewiss sein, dass ich genau so bin wie die Höhere Macht mich wollte. Ich bin liebenswert. Ich bin einzigartig. So wie ich bin, bin ich richtig. Und ich bin dankbar dafür, dass ich genau so bin. Ich bin sozusagen ein Gesamtkunstwerk, ebenso wie Ihr! Wir sind einzigartig! Und wenn ich Kunstwerke vergleiche, sage ich auch nicht, die „betenden Hände“ von Dürer sind aber kleiner (und deshalb schlechter) als Gerhard Richters riesiges Ölgemälde, das unlängst bei Sotheby’s 26,4 Millonen Euro in die Kasse von Eric Clapton spülte. Geht es nicht vielmehr darum, ob mich etwas anspricht, ob meine Bedürfnisse erfüllt sind? Wenn ich neidisch auf die schlanken Frauen im Restaurant schiele, ist vielleicht mein eigenes Bedürfnis nach Leichtigkeit, Schönheit und Beweglichkeit im Mangel. Und damit möchte ich da sein. Aber nicht mit irgendeinem ominösen Standard, von dem ich nicht einmal wirklich weiß, wie er zustande gekommen ist – geschweige denn, was er wirklich mit mir zu tun hat…

So long!

Ysabelle

Erfolg fühlt sich anders an

Hallo, Welt!
Heute ist meine erste offizielle Mediation zu Ende gegangen. Die Beteiligten haben eine Vereinbarung getroffen. Beide Medianten haben geäußert, dass sie mit diesem Ergebnis leben können. Aber ich bin nicht zufrieden. Der jahrelange Konflikt ist nicht wirklich aufgearbeitet, nicht befriedet. Und immer wieder wurden mit dem Bagger die Leichen von damals ausgegraben.

Wie fühle ich mich? Müde und erschöpft. Hilflos. Frustriert. Und von meinen Wölfen gehetzt. „Du hättest mehr übersetzen müssen! Du hättest noch mehr auf Gefühle und Bedürfnisse abheben müssen. Du hättest eher dazwischen gehen müssen, wenn es wieder so laut wurde… “

Ich möchte mich daran erinnern, dass die Medianten die Experten für ihren Konflikt sind. Wenn sie diese jetzt formulierte Lösung gutheißen, begrüßen, beide akzeptieren, dann ist das so. Es geht nicht um mein Ego, meine Befindlichkeit. Apropos Befindlichkeit… welche Bedürfnisse sind denn bei mir gerade im Mangel? In erster Linie Erholung und Leichtigkeit. Was die Mediation angeht, auch Respekt und Wertschätzung – aber nicht für mich, sondern für eine der Konfliktparteien. Ich kann mich wunderbar mit den Bedürfnissen beider Parteien verbinden. Aber was kann ich tun, wenn eine Partei kategorisch sagt, ich will das nicht fühlen! Ich will vorn im Gedächtnis behalten, was 19XX passiert ist, und ich will das nicht neu einordnen, ich brauche Schutz, ich habe kein Vertrauen und auch keine Idee, wie man neues Vertrauen aufbauen kann…

Jetzt, wo die Parteien weg sind, fallen mir viele GfK-Sätze ein, die ich noch hätte sagen können. Aber geht es hier denn um meine Lösung?

Ich schätze, dass ich zurzeit einfach zu erschöpft bin, um noch klar zu denken. Ich nehme mich dünnhäutig und aktuell wenig belastbar wahr, vielleicht weil die Belastung einfach zu hoch ist. Wann hatte ich das letzte Mal ein freies Wochenende? Wann gab es das letzte Mal wirklich ein paar freie Tage, an denen nicht irgendetwas drängte oder drückte?

Ich habe in den letzten Tagen wieder einmal wahrgenommen, wie schwer es mir fällt, meinen Interessen Priorität zu geben. Ich lasse mich breitschlagen, am Montag noch zu arbeiten, weil der Bildungsträger Personalknappheit hat. Ich werde Morgen zu meiner Mutter fahren und mich um ihren Kram kümmern, statt um meinen… Auch Sonntag ist kein Ruhetag, weil meine Enkeltochter Geburtstag hat. Ich freue mich sehr über die Einladung zur Feier und gleichzeitig sind einige Umstände sehr anstrengend für mich. Montag dann eben noch mal arbeiten und alle Reisevorbereitungen bleiben bis Dienstag… Das hätte ich gern anders…

Also: Ruhe, Erholung, Leichtigkeit, Schlaf, Wärme, vielleicht auch so was wie Zuwendung und Anregung. Kurz: Urlaub!
Ab Mittwoch ist es so weit!

So long!

Ysabelle

Braucht es noch was, Schatz?!

Hallo, Welt!
Gestern war ich zum „Mediation-Üben“ in Bremen. Unter anderem haben wir Interpretationsgefühle übersetzt und ein Rollenspiel gemacht. Am Ende des Rollenspiels fragte der Teilnehmer A seinen „Kontrahenten“ B: „Brauchst du noch was, um jetzt gut mit der Situation klarzukommen?“
Ich hatte die Mediation als Beobachterin verfolgt und gab die Rückmeldung, dass mir gerade diese Rückfrage sehr gut gefallen habe. Eine der Mediatorinnen grübelte, ob das nicht ihre Sache gewesen wäre, diese Information einzuholen. Und während wir mit diesen Überlegungen noch hin- und herspielten, sagte die zweite Mediatorin, sie werde aggressiv, wenn sie diese Frage hört. Rrrrrrums!

Im Nachspüren stellte sich heraus, dass der eigentliche Satz von A hätte lauten müssen: Ich merke, dass ich noch immer unsicher bin, ob die getroffene Vereinbarung wirklich das bewirken wird, was ich mir für unsere Beziehung/Freundschaft wünsche. Wärst du bereit mir zu sagen, ob du diese Verabredung für tragfähig hältst?

Ich habe gestern gelernt, dass ich ein „Brauchst du noch was?“ oder „braucht es noch etwas“ gern vor mir her trage, anstatt mein eigenes Unbehagen oder meine Unsicherheit zu formulieren. Wenn ich es nicht weiß, frage ich doch einfach mal dich… Gerade die Frage nach der Befindlichkeit beim anderen ist also das deutliche Indiz dafür, dass ICH eigentlich noch etwas habe, was nicht hinreichend geklärt ist. Denken und Fühlen outsourcen ist ja ne coole Sache. Aber noch cooler ist es, wenn ich es merke und die Verantwortung für meine Gefühle und meine Bedürfnisse nach Klarheit, Verbindung oder Gemeinschaft selbst übernehme. Ich möchte unterscheiden üben, wann ich wirklich explizit zum Wohl des anderen einen Beitrag leisten will und wann es in Wirklichkeit um meine ureigenen Bedürfnisse geht. Eine spannende Aufgabe!

So long!

Ysabelle

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