Das Fehlen von Fehlern
You have never done anything wrong!
(Du hast niemals irgendetwas falsch gemacht)
Marshall Rosenberg
Dieser Satz – Du hast niemals irgendetwas falsch gemacht – geht wohl den meisten von uns nicht von den Lippen. Ja sicher, grundsätzlich haben wir das Konzept verstanden: Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Aber der Kauf dieses Autos… das war ein Fehler. Die Nacht mit der Kneipenbekanntschaft – das war ein Fehler. Die Ohrfeige für den Sohn, als wir uns nicht im Griff hatten… Fehler, Fehler, Fehler…
Auch wenn wir heute vielleicht grundsätzlich mit uns und unserem Leben, unserem Verhalten zufrieden sind, hat doch fast jeder von uns „eine Leiche im Keller“, trägt etwas mit sich herum, was er heute rundheraus als Fehler bezeichnet. Fehlkauf, Fehlverhalten, falsch. „Ich war ein Idiot!“ oder „Wie konnte ich nur…“ Und es scheint fast unmöglich, den Satz „Du hast keinen Fehler gemacht“ auf uns selbst anzuwenden. Was ist mit Verbrechern? Was ist mit Hitler? War das etwa kein Fehler?
Folgt man Marshalls Definition, gibt es tatsächlich keine Fehler, sondern all unsere Handlungen entspringen unseren Bedürfnissen. Wir handeln (oder unterlassen) aus guten Grund, nämlich um in der jeweiligen Situation unser Leben zu bereichern. Handlungen, die andere Leute als Fehler bezeichnen, sind damit für Marshall ein tragischer Ausdruck eines wundervollen Bedürfnisses.
Nun geht es nicht etwa darum, uns zu rechtfertigen, sondern uns zu vergeben für die Dinge, die wir heute als „falsch“ oder „Fehler“ bezeichnen. „Wenn ich in der Situation gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich mich anders verhalten“, heißt der neue Denkansatz. Und diese Auffassung gilt auch dann, wenn wir schon in der Situation wussten, dass unser Verhalten fatale Folgen haben würde. „In diesem Fall ist ein Bedürfnis in uns so groß, so mächtig, dass wir keine Chance haben, die anderen Bedürfnisse zu berücksichtigen“, sagt Marshall. „Wir können in diesem Moment einfach keinen Weg sehen, diesen anderen Bedürfnissen Rechnung zu tragen!“
Heute will ich dafür aufmerksam werden, wie ich meine Entscheidungen bewerte. Wenn mein innerer Richter sie als falsch bezeichnet, will ich versuchen herauszufinden, welches wunderbare Bedürfnis ich mir mit dem Verhalten erfüllt habe.