Vom Mangel zum Überfluss
„Das Misstrauen gegen den Geist ist Misstrauen gegen den Menschen selbst – ist Mangel an Selbstvertrauen.“ – Heinrich Mann, Geist und Tat (entst. 1910) Frankfurt am Main 1981, S. 13
Es gibt einen Menschen, der meinem Herzen sehr nahe steht. Doch wenn ich diesem Menschen zuhöre und ihm eigentlich Einfühlung geben möchte, komme ich immer wieder an meine Grenzen.
Nennen wir ihn Eberhard. Er hat einen netten Freundeskreis, einen interessanten Job mit wohlgesonnenen Arbeitskollegen, er interessiert sich für Sportveranstaltungen und hat sich inzwischen einen Kreis von Menschen aufgebaut, die wie er Freude daran haben, zum Fußball oder Tennis zu gehen.
Eberhard wünscht sich von ganzem Herzen ein Gegenüber, jemand, mit dem er sein Leben teilen kann. Es gibt viele Gelegenheiten, bei denen Eberhard den Mangel betrauert. Ist er gerade intensiv beschäftigt und hätte so gern tatkräftige Unterstützung. Da ist niemand, der mein Leben teilt! sagte er dieser Tage.
Ich kann das schwer hören.
Mir ist bewusst, dass Eberhard sich Gemeinschaft, Wärme, Unterstützung, Nähe, Zärtlichkeit, Intimität, Nähe, Geborgenheit, Sicherheit, Beteiligung, Leichtigkeit und vielleicht noch manches andere wünscht. In all diesen Bedürfnissen erkenne auch ich mich wieder. Und trotzdem gelingt es mir nicht, ihm Empathie zu geben.
Ich selber habe viele Jahre im Mangel gelebt. Mein Glück war eine Schachtel Pralinen, die andere in der Hand hielten. Doch in den vergangenen vier Jahren hat sich dieser Mangel nach und nach verflüchtigt, wie Nebel, der morgens über den Wiesen liegt. Wenn die Sonne herauskommt, steigen die Schleier auf, Wärme und Licht sind für uns da.
Mein Gefühl des Mangels hat sich in ein Gefühl von Überfluss, Geborgenheit, Sicherheit und Wärme gewandelt. In mir ist heute häufig die Gewissheit lebendig, dass alles für mich bereit steht. Wer sich selbst verändert, ändert die Welt. Es gibt in dieser Welt nichts zu verbessern, aber sehr viel an sich selbst. las ich heute in einem Buch. Und ich möchte betrauern, dass es mir noch nicht gelingt, für andere einfach nur empathisch da zu sein, sondern dass ich immer noch missionarisch unterwegs bin, um sie zu überzeugen: Alles steht für DICH bereit.
Heute will ich achtsam mit mir selbst umgehen, wenn ich andere missionieren will. Was brauche ich, um für mein Gegenüber einfach nur da zu sein?