Interview mit Isolde Teschner, GfK-Trainerin
Gewaltfreie Kommunikation: eine Sprache des Lebens
Interview mit Isolde Teschner, gefunden auf dem Blog der „Organisation für eine solidarische Welt“ (OEW)
Marshall B. Rosenberg ist international tätiger Konfliktmediator. In den letzten dreißig Jahren hat er die von ihm entwickelte Methode der Gewaltfreien Kommunikation (GFK) in mehr als 20 Ländern an Ausbilder, Schüler, Eltern, Manager, Militärs, Friedensaktivisten, Anwälte, Gefangene, Polizisten und Geistliche weitergegeben, unter anderem auch in Krisengebieten in Afrika, Osteuropa und dem Nahen Osten. Die GFK geht davon aus, dass es dem Grundwesen des Menschen entspricht, zum Wohl der anderen beizutragen.
Isolde Teschner aus München ist GFK-Trainerin
OEW:
Wie sind Sie mit Marshall Rosenberg und der Gewaltfreien Kommunikation in Kontakt gekommen?
Isolde Teschner:
Vor fast genau zwanzig Jahren habe ich innerhalb der Friedensbewegung einen Arbeitskreis zur Friedenserziehung gegründet. Auf der Suche nach geeigneten Themen sind wir zufällig auf Rosenberg und seine Methode der Gewaltfreien Kommunikation gestoßen. Bald haben wir gemerkt, dass wir ohne Erklärung und Unterstützung nicht weiterkommen, und so haben wir ihn nach München eingeladen. Das war sein erstes Seminar außerhalb Amerikas; es fand sehr großen Anklang, und so folgten bald viele weitere Seminare in ganz Deutschland.
Inzwischen gibt es mehrere Zentren und Gruppen, die sich mit GFK beschäftigen, sowohl in Deutschland als auch in Österreich und in Italien.
Ich bin mittlerweile zertifizierte GFK-Trainerin, das bedeutet, dass ich mich dem Zentrum in den USA zugehörig fühle, beziehungsweise der großen Gemeinschaft derjenigen, die weltweit GFK praktizieren.
Die GFK war zunächst sehr methodisch, fast wie eine Technik. Rosenberg hat sie aber später vertieft, und im Moment steht der spirituelle Aspekt im Vordergrund beziehungsweise die Veränderung der Strukturen, also das, was wir „social change“ nennen.
OEW:
Was ist denn nun genau mit dieser „gewaltfreien“ Kommunikation gemeint? Ich glaube, es geht nicht um Gewalt, wie wir sie in der alltäglichen, konkreten Bedeutung verstehen.
Isolde Teschner:
Es geht um Sensibilisierung für das, was wir mit Worten anrichten. Wir können durch Worte Fenster öffnen oder Mauern errichten. Es geht darum, wie wir durch Worte andere verletzen. Wir erleben es ja immer wieder, wie Menschen einander verletzen und wie Beziehungen dadurch belastet oder gar beendet werden. Obwohl nur 20 Prozent der Kommunikation verbal erfolgt, kommt der Sprache eine riesengroße Bedeutung zu. In den Übungen der GFK konzentrieren wir uns darauf, was durch Sprache geschieht.
OEW:
Dabei geht es vor allem auch darum, von Bewertung weg und hin zu den Bedürfnissen der Menschen zu velangen.
Isolde Teschner:
Genau. GFK ist zwar nicht nur eine Methode, sondern vor allem auch eine Haltung, dennoch gibt es eine gewisse Struktur: In der GFK werden vier Schritte unterschieden.
Der erste Schritt ist die Beobachtung, welche von der Bewertung zu trennen ist. Wir sind uns oft gar nicht bewusst, wie viel Bewertung in all unseren Aussagen steckt. Auch wenn wir glauben, ganz neutral und objektiv zu sein, schwingen viele Bewertungen mit. Wenn sich aber jemand bewertet fühlt, dann geht er auf Distanz und lehnt das Gespräch ab oder rechtfertigt sich. Dadurch aber entsteht ein Schlagabtausch, der ein wirkliches Gespräch unmöglich macht.
Beim zweiten Schritt gilt es, meine Gefühle in einer bestimmten Situation auszudrücken. Da bemerkt man, wie wenig wir den Wortschatz der Gefühle benützen. Wir haben Angst davor, uns zu exponieren und verwundbar zu machen.
Der dritte Schritt ist das Wahrnehmen unserer Bedürfnisse. Alle Menschen haben grundsätzlich dieselben Bedürfnisse – man kann sie in neun Grundbedürfnisse einteilen -, die dann, je nach Kultur usw., unterschiedlich geprägt sind. Diese gemeinsamen Bedürfnisse sind es, die uns Menschen alle miteinander verbinden. Es gilt, diese Bedürfnisse bei sich und beim anderen wahrzunehmen und auszudrücken.
Der letzte Schritt ist die Bitte, das heisst die Konkretisierung unseres Bedürfnisses.
Diese vier Schritte verwenden wir, um auszudrücken, wie es uns geht und was wir brauchen, aber auch um wahrzunehmen, was beim anderen los ist. Das nennen wir dann die Einfühlung: Wir reagieren auf aggressive Äußerungen des anderen nicht, indem wir ebenso aggressiv sind, sondern wir versuchen herauszufinden, was beim anderen an Gefühlen und Bedürfnissen da ist.
Das erste, was die Leute sagen, wenn sie von diesen vier Schritten hören, ist, wie einfach das ist. Das zweite, was sie sagen ist, wie schwierig das ist. Wir sind es eben nicht gewohnt, gewaltfrei zu kommunizieren. Das hängt auch mit den Machstrukturen zusammen, in denen wir alle erzogen wurden und in denen wir leben.
OEW:
Können Sie diese vier Schritte an einem Beispiel veranschaulichen?
Isolde Teschner:
Was immer wieder bei Eltern ein Thema ist, das ist die Unordnung der Kinder: Wie kann ich reden, wenn ich in das Zimmer meines Sohnes komme und da ist ein Riesen-Durcheinander? Am liebsten würde ich dann sagen: „Räum endlich auf, du Schlamper!“ Aber wenn ich das so sage, dann kommt meistens die Antwort: „Reg dich nicht so auf, das ist mein Zimmer!“ Wie kann ich nun herausfinden, was in mir geschieht, wenn ich in das Zimmer gehe? Wie geht es mir dabei? Was habe ich für ein Bedürfnis?
Nach der GFK gehe ich nun also in das Zimmer und sage, was ich beobachte. Ich sage nicht: „Hier ist Unordnung“, denn das wäre schon Bewertung. Ich sage also zum Beispiel: „Hier liegen Kleidungsstücke am Boden“. Wie fühle ich mich nun, wenn ich das sehe? Meistens sagen die Eltern: „Ich ärgere mich“. Ärger ist aber eigentlich kein richtiges Gefühl, es entsteht sekundär, indem mein Kopf mir sagt, was ich gerade nicht bekomme. Das eigentliche Gefühl ist ein Unbehagen, und was meiner Ansicht nach dahinter steht, ist nicht so sehr ein Bedürfnis nach Ordnung, sondern Ordnung ist eher eine Strategie, um mein Bedürfnis nach Schönheit, Klarheit und Übersicht zu erfüllen.
Nun folgt die Bitte: „Wärst du bereit, deine Sachen in den Schrank zu räumen?“ Ich kann darauf natürlich die Antwort bekommen: „Nein, jetzt hab ich keine Zeit, ich mach’s morgen“. Dann sage ich: „Ok, wenn du mir versprichst, dass du’s morgen machst, geht das in Ordnung“.
Ich kann mich jetzt aber noch fragen: Was ist bei ihm los? Wie fühlt er sich, wenn er von mir diese Bitte hört? Was braucht er? In erster Linie braucht er wohl Selbstbestimmung. Wenn wir das dem anderen auch sagen: „Nicht wahr, du möchtest selbst bestimmen, wann du das machst?“, dann entsteht eine ganz andere Atmosphäre und die Beziehung wird besser oder verschlechtert sich zumindest nicht, was hingegen bei einer Forderung oft der Fall ist.
Forderungen werden oft mit Widerstand und Ablehnung beantwortet und sind grundsätzlich von Bitten zu unterscheiden. Eine Bitte ist nur dann eine echte Bitte, wenn der andere auch tatsächlich die Freiheit hat, sie mit „nein“ zu beantworten und sie nicht aus Schuld- oder Schamgefühlen beziehungsweise aus Angst erfüllt.
Gewaltfrei kommunizieren heißt: Ich erfülle Bitten, weil ich gerne das Leben eines anderen Menschen bereichern möchte. Oder ich möchte, dass Menschen meine Bitten erfüllen, um mein Leben zu bereichern. Forderungen hingegen implizieren meistens Gewalt, weil wir oft unausgesprochen mit Angst, Schuldzuweisung, Beschämung und anderes drohen, falls man/frau sich unserer Forderung nicht fügen sollte.
OEW:
Zwei Punkte haben mich bei der Lektüre des Buches (M. B. Rosenberg: Gewaltfreie Kommunikation) aufhorchen lassen, weil sie stark von unserer gewohnten Verhaltensweise abweichen: 1. Die Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen und 2. Keine Werturteile auszusprechen.
Isolde Teschner:
Im Allgemeinen fragen wir uns nicht, wie es Menschen geht, sondern wir fragen: Was sind Menschen? Menschen sind rücksichtslos, verantwortungslos und so weiter. Marshall sagt: „Je mehr wir sagen, wie Menschen sind, desto mehr tragen wir zur Gewalt in der Welt bei.“ Es geht in Wirklichkeit darum, was jemand tut und was er braucht. Es ist aber gar nicht einfach, von diesem Etikettieren wegzukommen.
Die Haltung Marshalls ist unserer gewohnten radikal entgegengesetzt, und daher behandle ich dieses Thema in meinen Seminaren auch erst, wenn sich schon ein gewisses Verständnis entwickelt hat.
Beim ersten Punkt geht es darum, Gefühle so auszudrücken, dass sich der andere nicht schuldig fühlt. Hinter jedem Gefühl steht ein erfülltes oder ein unerfülltes Bedürfnis, das heißt der andere ist nicht die Ursache meines Gefühls, sondern der Anlass. Die Ursache ist mein Bedürfnis, das in mir ist. Ich sage also nicht: Ich fühle mich ausgenutzt/ missverstanden/ … oder: das macht mich wütend, sondern: Wenn ich sehe, dass … fühle ich mich enttäuscht/ traurig, und so weiter.
OEW:
Können Sie auf den Begriff der Einfühlung, der in der GFK eine zentrale Rolle spielt, noch näher eingehen?
Isolde Teschner:
Einfühlung heißt, sich keine Vorstellungen vom anderen zu machen, sich ganz auf seine Seite zu stellen und sich selbst ganz herauszunehmen. Leider passiert es uns sehr oft, dass wir zu unserer Position zurückkehren: „Ja, ich versteh dich gut“, „das wird schon wieder“ und so weiter. Wir geben Erklärungen, Belehrungen, Trost, bieten oft allzu rasch Lösungen an, was einer Gewaltanwendung nahe kommt, und zwar, wenn der andere noch ganz mit seinen Gefühlen beschäftigt ist und noch nicht bereit ist, Lösungsmöglichkeiten wahrzunehmen.
Es ist zum Beispiel eine große Herausforderung, keine Ratschläge zu geben, sondern nur das wahrzunehmen, was beim anderen an Gefühlen und Bedürfnissen da ist. Das kann ich aber nur, wenn ich auch wirklich diese Kraft in mir spüre. Oft ist es so, dass ich selber Einfühlung brauche, von jemand anderem oder auch von mir selbst. Natürlich kann es aber auch sein, dass jemand wirklich um einen Ratschlag bittet.
Einfühlung verändert die Stimmung radikal. Einfühlung ist Verbindung zum andern und stellt einen Energiefluss von beiden Seiten her. Ich gebe nicht nur, sondern ich bekomme auch.
Bei der GFK geht es um die Qualität der Beziehung. Es geht nicht in erster Linie um Lösungen, sondern um den Prozess. Daraus können sich natürlich Lösungen ergeben.
OEW:
Wie kann ich von mir selbst Einfühlung bekommen?
Isolde Teschner:
Einfühlung von mir selbst bedeutet, mich mit meinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen zu verbinden. Das führt zu einer Klärung und Erleichterung. Ob ich mich dann der anderen Person mitteile, ist eine andere Frage.
OEW:
Was hat Rosenberg selbst dazu bewogen, dieses Modell zu entwickeln?
Isolde Teschner:
Marshall ist in Detroit in einer gewalttätigen Umgebung aufgewachsen, hat viel von den Rassenunruhen mitgekriegt und wurde auf Grund seines jüdischen Namens auch selbst diskriminiert und verfolgt. Andererseits hat er auch sehr positive Erfahrungen gemacht und Menschen erlebt, die diese ursprüngliche Bereitschaft, sich mit anderen zu verbinden, nicht verloren haben. Das hat ihn ermutigt, die GFK zu entwickeln.
Er arbeitete zunächst als Psychologe, hat dann aber seine Arbeit in der Klinik und auch seine eigene Praxis aufgegeben, um sich ganz seiner Arbeit als Mediator und Konflikttrainer zu widmen. Er kam nicht damit zurecht, dass in der Psychotherapie und in der Psychiatrie immer mit Diagnosen gearbeitet wird, dass also Menschen als schizophren, depressiv und so weiter eingestuft werden und dann auch als solche behandelt werden, und dass wenig über das Gespräch mit dem Einzelnen geschieht.
Er hat sich damals auf ein unsicheres Terrain begeben, hat seine gesicherten Einkünfte aufgegeben und musste auch eine Weile Taxi fahren. Das ist eigentlich das, was mich am meisten an ihm beeindruckt hat, denn er hatte ja auch Familie.
OEW:
Auch was den Beruf anbelangt, vertritt er eine radikale Haltung, denn er sagt ja, man soll nur das tun, was man auch mit Freude und Lust tun kann.
Isolde Teschner:
Er sagt zum Beispiel auch: Nie für Geld arbeiten. Das ist natürlich provokativ und für manche gar nicht umsetzbar. Nicht jeder hat die Möglichkeit, seinen Verdienst aufzugeben, aber es gibt einen Kern dahinter, den jeder bejahen kann.
OEW:
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Marlene Mussner