Sei dir selber treu
Und diese Regeln präg in dein Gedächtnis:
Gib den Gedanken, die du hegst, nicht Zunge,
Noch einem ungebührlichen die Tat.
Leutselig sei, doch mach dich nicht gemein.
Den Freund, der dein, und dessen Wahl erprobt,
Mit ehrnen Haken klammr ihn an dein Herz.
Doch schwäche deine Hand nicht durch Begrüßung
Von jedem neugeheckten Bruder. Hüte dich,
In Händel zu geraten; bist du drin,
Führ sie, daß sich dein Feind vor dir mag hüten.
Dein Ohr leih jedem, wenigen deine Stimme;
Nimm Rat von allen, aber spar dein Urteil.
Die Kleidung kostbar, wie’s dein Beutel kann,
Doch nicht ins Grillenhafte: reich, nicht bunt;
Denn es verkündigt oft die Tracht den Mann,
Und die vom ersten Rang und Stand in Frankreich
Sind darin ausgesucht und edler Sitte.
Kein Borger sei und auch Verleiher nicht;
Sich und den Freund verliert das Darlehn oft,
Und Borgen stumpft der Wirtschaft Spitze ab.
Dies über alles: Sei dir selber treu,
Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage,
Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.
Leb wohl! Mein Segen fördre dies an dir!
William Shakespeare, Hamlet, DRITTE SZENE, Ein Zimmer in Polonius‘ Hause
Um 1600 verfasste William Shakespeare das Drama mit diesem berühmten Monolog. Viele Stellen in dem Stück werden noch heute oft zitiert, so auch der folgende Passus:
Den von dem König und der Königin geschickten Höflingen Rosenkrantz und Guildenstern erklärt Hamlet: “There is nothing either good or bad but thinking makes it so.” (“An sich ist nichts entweder gut oder böse, sondern das Denken erst macht es dazu”) (II.2.250f). Nichts scheint an diesen Worten veraltet oder verstaubt, weder die Worte Hamlets, die das Herz eines jeden GfK’lers lachen lassen, noch die Worte von Polonius, der seinen Sohn Laertes verabschiedet. Am meisten hänge ich an dem letzten Absatz des Monologs, in dem Polonius seinem Sohn einen Rat gibt, den ich so schwer zu befolgen finde. Jahrelang hatte ich diesen Text untermeiner Schreibtischunterlage, und wieder und wieder habe ich die letzten vier Zeilen gelesen.
This above all: to thine ownself be true,
And it must follow, as the night the day,
Thou canst not then be false to any man.
Farewell: my blessing season this in thee!
Sei dir selber treu, (…) du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen.
Wie oft tun wir genau das nicht. Wie oft werden wir uns selbst untreu, wie oft fällt es uns schwer darauf zu vertrauen, dass wir so wie wir sind, richtig und willkommen sind. Wie oft nehmen wir uns zurück, wie oft sagen wir nicht, was wir wirklich denken, wie oft beschwichtigen wir uns selbst mir „so wichtig ist das nicht“ oder „ich will doch nur meine Ruhe!“
Was heißt das, uns selber treu sein?
In erster Linie bedeutet es, eine echte Verbindung zu uns selbst zu haben. Was sind meine Bedürfnisse? Wie geht es mir? Was brauche ich? Die wahre Verbindung zu anderen hat bei uns selbst seinen Ausgangs- und Endpunkt. Wie geht es mir, wie geht es Dir? Empathie ohne Verbindung zu mir selbst ist Co-Abhängigkeit, das habe ich in den letzten Monaten begriffen.
Wie können wir authentisch sein, wenn wir uns immer wieder zurücknehmen, aus welchen Gründen auch immer? Wie sollen wir Kraft schöpfen, wenn wir uns wieder und wieder verstellen, verbergen, nicht mit dem zeigen, was in uns lebendig ist?
Der Weg lautet „Weilverschiebung“.
Gelernt haben wir:
Mutti ist traurig, weil du…
In der GfK erkennen wir:
Unsere Gefühle resultieren aus unerfüllten Bedürfnissen. Der nicht erfolgte Telefonanruf kann mich heute traurig machen, morgen mit Erleichterung erfüllen, denn heute bin ich einsam und brauche Gesellschaft, und morgen bin ich erschöpft und brauche meine Ruhe.
Ich bin (…), weil ich (…) brauche.
Die Verantwortung für dich liegt nicht mehr in meinen Händen. Ebenso bist du nicht mehr für meinen Frieden und meine Harmonie, mein Bedürfnis nach Nähe oder mein Bedürfnis nach Unterstützung verantwortlich.
Jetzt kann ich mir selber treu sein und mit Dir in Verbindung treten. Was brauche ich? Und was brauchst du? Wie kann ich dazu beitragen, dass dein Leben wundervoll wird? Und bist du bereit dazu beizutragen, dass mein Leben wundervoll wird – wenn ich einfach so sein kann, wie ich wirklich bin.
Heute will ich mir vor Augen halten, dass ich ein wunderbares Geschenk für andere Menschen bin, wenn ich mir selber treu bleibe.