Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Neuer Wein in alten Schläuchen

Hallo ihr Lieben!

Seit einigen Tagen versuche ich mich an einem Text für dieses Blog, der einfach nicht fertig werden will. Ich hatte eine relativ klare Vorstellung, worüber ich schreiben wollte: Es sollte um Sackgassen gehen, in die man beim Erlernen der GFK tappen kann, typische „Anfängerfehler“ wenn man so will, und was ich aus ihnen gelernt habe, bzw. wie man sie vermeiden kann.

Was soll ich sagen, ich habe es geschafft ungefähr 5 Zeilen zu schreiben, bevor mir die Luft ausging. Jedes mal, wenn ich mich an diesen verflixten Text gesetzt habe war praktisch sofort die Lust weg, ohne dass ich den Grund dafür ausmachen konnte. Heute ist mir endlich ein Licht aufgegangen, warum ein Teil von mir diesen Text nicht schreiben wollte und mich so vehement davon abhielt. Also schreib ich doch lieber darüber!

Ich bin in einem sehr religiösen Kontext aufgewachsen und habe zwei Jahrzehnte lang gelernt in Begriffen von gut und böse, richtig und falsch, Sünde und Moral zu denken. Dauernd durfte ich mir Predigten über Liebe anhören, die eigentlich etwas ganz anderes aussagten.

Die ständigen Ermahnungen sind natürlich nicht ohne Folge geblieben, ich habe sie ziemlich gründlich verinnerlicht. Das Resultat davon war, dass ich letztendlich Bewertungen und Schubladendenken gelernt habe. Sobald ich Menschen eine Weile lang kenne setzt sich in meinem Kopf ein Automatismus in Gang, der sie in kleine Formen pressen möchte.

Ist dieser Mensch guter Umgang? Kann ich mich gefahrlos mit ihm unterhalten? Oder muss ich aufpassen, weil  er vielleicht irgendwelche Fehler an sich hat die er erst mal abstellen sollte? Vielleicht kann ich ihm sagen wo er falsch liegt, ihn in seinem Denken korrigieren?

Leider habe ich tief in mir drin die Vorstellung eingeprägt, dass Fehler etwas schlechtes sind, dass sie nicht sein dürfen und ich sie unter allen Umständen vermeiden muss. Diesen inneren Perfektionisten kennen bestimmt einige unter euch, und dank eines ausgefeilten Trainings findet er auch bei allen anderen etwas zu kritisieren, egal wie sie innerlich eingestellt sein mögen oder wie viel sie schon gelernt haben.

Ursprünglich war das wohl eine Reaktion auf den Glaubenssatz, dass andere Menschen es nicht gut mit mir meinen. Daher die Angst, mich auf jemanden „schlechten“ einzulassen, Menschen die ich lieber meiden sollte um nicht negativ beeinflusst zu werden.

Und dann kam die GFK daher und schlug ein wie eine Bombe. Als ich das erste Mal mit einem Buch darüber in Berührung kam hätte ich mir nie träumen lassen, was sie mit mir anstellen würde, sonst hätte ich es wahrscheinlich nie gelesen. Aber meine Einstellung hat sich geändert und in 2 ½ harten Jahren habe ich soviel von diesem moralisch bewertenden Denken aus meinem Kopf gestrichen wie ich nur konnte. An Stelle dessen versuche ich eine liebevolle Einstellung zu setzen, die anderen Menschen gegenüber aufgeschlossen ist. Auch wenn noch viel zu tun ist weiß ich doch endlich wo ich hin will und wie sich wirkliche Liebe anfühlt.

Tja, und dann kommt mir plötzlich die Idee für diesen Text über Fehler beim Lernen der GFK und wie man sie vermeidet. Oh, natürlich hätte ich das ganze anders umschrieben. Ich hätte nicht von Fehlern gesprochen, oder über etwas schlechtes das man vermeiden sollte. Die Ausdrucksweise der GFK kenne ich gut, ich hätte bestimmt keine verpönten Worte wie „Fehler“ oder „sollte“ benutzt (ja, auch die GFK muss manchmal für moralische Urteile herhalten…).

Aber Fakt ist, der Text wäre vom selben Geist geprägt gewesen wie die religiösen Artikel von früher, bei denen ich heute laut aufschreien möchte: Ich habe das Licht gesehen und jetzt ist es meine Aufgabe euch zu zeigen wo’s langgeht. Also seid gefälligst dankbar dafür, dass ich meine Weisheiten mit euch teile!

Ich habe mich ganz schön erschrocken, als ich das festgestellt habe, denn unter anderem sollte es in meinem ursprünglichem Text um genau diesen Falle gehen: Mit schönen neuen Worten alte überkommene Gedanken verpacken. Ich habe deswegen sogar die Überschrift beibehalten.

Ein Teil von mir hat das gemerkt und sich dagegen gesträubt, den belehrenden Zeigefinger zu erheben. Ich bin froh darüber, dass sich dieser Anteil von mir Gehör verschafft hat ohne mich zu kritisieren oder so, einfach durch passiven Widerstand. Und ich möchte feiern, dass ich den neuen Text ohne inneren Widerstand schreiben kann, voller Freude darüber, etwas mit ein paar Lesern teilen zu können und dadurch vielleicht einen bereichernden Beitrag zu leisten.

Ich möchte die Balance finden zwischen diesen beiden Teilen von mir, dem der bereits gelernt hat und nicht dieselben Fehler immer wieder machen möchte, und dem der die Erlaubnis haben möchte, neue Fehler machen zu dürfen. Denn davon wird der erste Teil klüger.
Von meinen Fehlschlägen, Umwegen und schmerzhaften Erfahrungen konnte ich bisher das allermeiste im Leben lernen. Gestern waren es die besten Entscheidungen, die ich treffen konnte, heute kenne ich die Auswirkungen und suche nach neuen Strategien die weniger kosten.

Der entscheidende Punkt ist der, dass ich diese Umwege nicht auslassen konnte. Selbst wenn ich zum Beispiel ein paar Jahre eher, zu meinen gewaltsamsten Zeiten, von der GFK erzählt bekommen hätte, ich hätte nichts von meinen Erfahrungen auslassen können. Ich wäre noch nicht bereit dafür gewesen. Und ich möchte anderen erlauben, dieselben Umwege zu machen wie ich, ohne über sie zu urteilen. Denn auch wenn sich dieser pädagogische Irrglaube noch in vielen Bereichen hält, durch Ratschläge und Ermahnung lernt man praktisch nichts.

Deswegen werde ich weiter Fehler machen und genau dasselbe Recht möchte ich auch jedem anderen Menschen geben. Wenn ich helfen kann möchte ich natürlich einen Beitrag zu einer schöneren Welt leisten, aber das heißt nicht, dass keiner mehr die Fehler machen darf, die ich vielleicht schon hinter mir habe. Es bedeutet, dass ich lernen möchte, jeden einzelnen Menschen lieb zu haben, ihn nicht in seiner Entwicklung zu bewerten oder an meinen Einstellungen zu messen. Ich möchte das Vertrauen pflegen, dass jeder Mensch sein Bestes gibt.

Markus

“Wenn etwas wert ist, getan zu werden, dann lohnt es sich auch es schlecht zu tun!” Marshall

Eine Reaktion zu “Neuer Wein in alten Schläuchen”

  1. Ysabelle Wolfe

    Hallo, Markus,
    auf dem Weg zur Arbeit habe ich heute eine Tagesmeditation geschrieben und geflucht, weil die Technik nicht so wollte wie ich. Und dann entdeckte ich auf einmal, dass Du für heute schon was geschrieben hattest! Es fühlte sich an wie Schulfrei, und eben konnte ich innerhalb von zwei Minuten fertigstellen, was heute Morgen nicht glücken wollte. Große Freude über Dein Posting,. vielen Dank!

    So long!

    Ysabelle

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