Selbstabwertung und die Folgen
„Wer verstehen will, der muss zuhören können.“
Erhard H. Bellermann, Schmetterlinge im Kopf, Engelsdorfer Verlag, Ausgabe 2006.
Gestern war ich aus beruflichen Gründen mit zwei Frauen unterwegs. Und wieder einmal erstaunte mich zu hören, wie viele von uns mit sich selbst oder über sich selbst reden. „Mein Mann sieht ja gern Dokumentationen im Fernsehen, aber ich bin dafür zu blöd“ oder „wenn ich nicht immer so viel in mich reinstopfen würde, wäre ich auch nicht so fett!“ Andere Menschen aus meinem Umfeld werten sich heute ab, weil sie vor 40 Jahren (!) eine schlechte Note im Abitur eingefahren haben, und wieder jemand anderes bezeichnet sich selbst als unfähig, faul oder schlampig. Gestern dachte ich bei mir, wenn ich für jede dieser Selbstabwertungen in meinem Umfeld einen Euro kriegen würde, bräuchte ich nicht mehr arbeiten zu gehen.
Das erste Mal las ich über diese Selbstabwertungen und die Folgen vor 15 Jahren bei Luise Hay. Sie schlug vor, tagsüber einen Kassettenrekorder mitlaufen zu lassen und sich einmal selber zuzuhören. Damals dachte ich, Hey, eine coole Idee, und habe es nicht gemacht. Inzwischen gelingt es mir recht gut, freundlich mit mir zu sprechen oder zumindest wahrzunehmen, wenn ich das nicht tue. Und dann kann ich diesen Kritiker, diesen eingebauten Erzieher, diesen unzufriedenen Nörgler willkommen heißen. Ich stoße ihn nicht aus, ich schicke ihn nicht weg. Wie in einer Konferenz oder einem Stuhlkreis lade ich ihn ein Platz zu nehmen und seine Ansichten zu vertreten. Er meint es gut mit mir, auch wenn es sich nicht so anhört. Wenn ich seine Bedürfnisse wahrnehme und mit einbeziehe, stehen die Chancen gut, dass ich in Frieden leben kann. Und wenn er sagt, „du bist zu fett“, frage Ich ihn, „bist du besorgt um meine Gesundheit, oder bist du beunruhigt, ob ich mit 20 Kilo Übergewicht noch als attraktiv angesehen werde?“
Der Anteil antwortet mir verlässlich, und oft bin ich dann ganz gerührt, wenn mir klar wird, wie viel Sorge, ja Fürsorge hinter solchen bissigen Bemerkungen steckt. Es braucht nur ein bisschen Übersetzungsarbeit, um mir diesen Schatz zugänglich zu machen.
Heute will ich mich daran freuen, dass es in mir Stimmen gibt, die mein Bestes wollen. Ich werde ihre Worte so übersetzen, dass ich die Schönheit ihrer Botschaft auch feiern kann.