Richter und Prokrastinateure
Hallo, Welt!
Ich darf mich gerade mit dem wunderbaren Thema Prokrastination beschäftigen. Wie, nie gehört? Ich bis vor einiger Zeit auch nicht. aber das Phänomen, das mit diesem Wort beschrieben wird, kenne ich seit Jahrzehnten. Allerdings unter seinem eher platten deutschen Namen: Aufschieberitis.
Bestimmte Sachen könnte ich ohne große Bedenken bis zum jüngsten Tag aufschieben. Die Abgabe meiner Steuererklärung zum Beispiel. Fenster putzen. Den Pultordner durchsortieren und Rechnungen in Aktenordner stopfen. Das Auto aussaugen. Gerade habe ich gelernt, dass sich mittlerweile 700 Studien mit dem Thema Prokrastination beschäftigen, und dass Verhaltensforscher es ganz anders einschätzen als Wirtschaftswissenschaftler. Unter GfK-Gesichtspunkten habe ich dafür noch keine Abhandlung gefunden. Allerdings passt es gut zu zwei anderen GfK-Themen: Anzuerkennen, dass ich in jedem Augenblick mein Bestes gebe, weil ich versuche, mir ein wundervolles Bedürfnis zu erfüllen, und ein liebevoller Umgang mit mir, selbst bei inneren Kommentaren wie „du musst“ und „du solltest wirklich“.
Wer gibt uns vor, was für unser Leben wichtig und sinnvoll ist? Das Finanzamt mit seinen Abgabeterminen für die Einkommenssteuer? Die Nachbarin, die missbilligend den Kopf schüttelt, weil unsere Fenster nicht geputzt sind? Wie geht es mir, wenn mein innerer Richter mahnt, ich möge endlich die Rechnung für die Heizungsreparatur bezahlen? Meist geht es mir mies, weil es eine eingebaute Vorstellung gibt, wie etwas „richtig“ zu erledigen ist, und dieser Vorstellung werde ich of nicht gerecht.
Vielleicht ist es an der Zeit, bei meiner Aufschieberitis zu beobachten, welche wunderbaren Bedürfnisse ich mir erfülle, wenn ich an diesem Wochenende nicht das Auto aussauge. Vielleicht das Bedürfnis nach Leichtigkeit und Entspannung (das Beispiel ist fiktiv, dieses Wochenende bleibt das Auto in der Garage!). Und wenn ich es putze, welches wunderbare Bedürfnis erfülle ich mir dann? Vielleicht dass ein gepflegtes Auto eines fernen Tages einen höheren Wiederverkaufswert hat. Wie wenig bereichert das mein Leben heute! Wie so oft gilt es auch hier eine Balance zu finden zwischen all meinen Bedürfnissen. Und es gilt, meinen inneren Kritikern zuzuhören, die so unglücklich sind, dass ich bestimmte Dinge immer wieder verschiebe. Auch sie weisen auf unerfüllte Bedürfnisse hin. Und ich möchte dafür Sorge tragen, dass all meine Bedürfnisse gesehen und erfüllt sind. Vielleicht könnte ich jemanden engagieren, der heute bei mir die Katzenklos putzt?
So long!
Ysabelle