Einsichten und Aussichten
Hallo, Welt!
Ich bin aus Schottland zurückgekehrt ins Land der Wölfe. In einem Monat hat der Blog die Hälfte seiner Leser verloren, ich bin wieder da, wo ich im Februar mal war. Meine pelzigen Begleiter sind entsetzt und jaulen: das kommt davon, dass du keine Tagesmeditationen eingestellt hast. Die ganze Arbeit der vergangenen Monate vergebens! Wenn man so etwas anfängt, muss man sich auch darum kümmern und nicht einfach Urlaub machen! Die Leser kommen bestimmt nicht wieder! Das zeigt doch, dass du das alles gar nicht so ernst nimmst!
Boah! Wenn ich diesen Stimmen zuhöre, merke ich, wie alt ich dabei werde, nämlich ziemlich genau zwischen fünf und acht Jahren. Ich habe damals vieler Sachen angefangen, wie alle Kinder das tun, Briefmarken und Steine sammeln, häkeln, Kunstrollschuh fahren. Und immer, wenn etwas Neues in meinen Weg kam, wurde etwas Altes uninteressant, usf. GfK-formuliert würde ich sagen, es erfüllte mir keine Bedürfnisse mehr. Der von mir so hoch geschätzte Kölner Psychosynthese-Therapeut Harald Reinhardt sagte dazu in einem Vortrag: das Gewissen ist aggressiv, es beißt!
Ich stelle mir mein Gewissen gerade als Schäferhund vor. Und ich bin das Schaf, das er unbedingt auf dem richtigen Weg halten möchte. Hier geht es lang, und um sicher zu stellen, dass du da ankommst, wo es für dich richtig ist, schnappe ich nach deinen Beinen…
Dieser imaginäre Schäferhund tut das nicht, um mich zu verletzen oder mir Schmerzen zuzufügen, im Gegenteil. Er ist ja darauf trainiert, Unheil von mir fernzuhalten, indem er sicher stellt, dass ich auf dem richtigen Weg bleibe.
Nun unterscheidet sich allerdings der Weg der fünfjährigen Steinesammlerin von dem einer ausgewachsenen Ysabelle. Es gibt gute Gründe, warum ich nicht jeden Tag geschrieben habe, zum Beispiel weil ich nicht immer ein Netz hatte. Oder andere Bedürfnisse standen im Vordergrund: Gemeinschaft mit meiner Bremer Giraffenfreundin, Schauen, Staunen, Genießen, Entspannen… Es scheint, dass ich eine gewisse Ordnung und Struktur brauche, um die Muße zum Schreiben zu finden. Im Moment bin ich auf dem Weg zu meinem sechsten Bett in dieser Woche. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit einem lieben Menschen, und ich merke gleichzeitig, dass mir auch das Ankommen fehlt.
Wer sagt, dass der Blog nur etwas taugt, wenn jeden Monat mehr Leser kommen? Wer sagt, dass ich nichts tauge, wenn ich nicht jeden Tag etwas Geistvolles produziere? Vor zehn Jahren sagte ich einmal mit einem Stoßseufzer zu meinem besten Freund Cami, ach würde ich mich doch selbst besser kennen! Nun bin ich täglich dabei, mich besser kennen zu lernen und anzunehmen. Ein mühsamer, intensiver, langwieriger Prozess. Ich versuche meinem inneren Schäferhund beizubringen, dass für dieses Schaf mehrere Sachen richtig sein können, und dass es sinnvoll ist, sich immer wieder zu beraten, statt blind in die Hachsen zu schnappen. Wissenschaftlich vermutlich Disidentifikation vom Über-Ich.
In den nächsten zwei Tagen will ich einmal spüren, ob es für mich immer noch so passt mit dem Blog. Vielleicht möchte ich für mich einmal nachjustieren, was genau ich hier machen möchte.
So long!
Ysabelle
Einen Leser mehr hast Du auf jeden Fall – allerdings tauche ich eventuell nicht in den Statistiken auf, weil ich Dein Blog in meinem RSS-Reader abonniert habe, um auch wirklich kein Posting zu verpassen!
Oh, wie wunderbar Dich hier zu wissen! Das erfüllt mein Bedürfnis nach Verbindung, und der Kommentar auch noch das Bedürfnis nach Gesehen/gehört werden und nach Unterstützung. Nun waren wir uns so viele Tage so nah, da kommt mir heute die Entfernung manchmal riesig vor…
Y.