Neue Ansage!
„Die Gewalt besitzt nicht halb so viel Macht wie die Milde.“
Samuel Smiles, Charakter
Vor ein paar Wochen gelang mir etwas nicht so, wie ich es gern gehabt hätte. Daraufhin gab mir mein Freund Gabriel einen Rat, den er von seiner Mutter übernommen hatte: Sei milde mit dir! Ich halte es für eine gute Idee, mir den Satz auf die Stirn zu tätowieren, denn nicht nur ich, sondern auch viele meiner Mitmenschen könnten eine Portion Milde mit Sicherheit gut gebrauchen.
Eine junge Schreibfreundin interpretierte eine Information von mir heute als Kritik. „Du hast Recht, ich war voreilig“. Erstaunt rieb ich mir die Augen. Davon hatte ich gar nichts geschrieben. Beim Mittagessen hörte ich mich zu einem Kollegen sagen, vielleicht ist das Gerät dafür besonders anfällig, und dachte hinterher, das ist doch bestimmt auch schon wieder ein Wortschätzchen wert! Zwei Mal hatte ich heute in beruflichem Zusammenhang mit Perfektionismus zu tun: Das ist alles andere als perfekt! Ok, Perfektionismus habe ich für mich selbst als den sichersten Weg ins Unglücklichsein entdeckt. Und immer schön die Latte hoch hängen!
Der Abschied vom Perfektionismus passt gut zu dem Entschluss, milde mit mir zu sein.
Ich habe nicht alles geschafft, was ich mir heute vorgenommen habe? Sei milde mit dir! Meine Waage zeigt mehr an als ich gutheißen kann? Sei milde mit dir! Dein Kontostand sinkt bedrohlich und es ist noch so viel Monat übrig? Sei milde mit Dir!
Milde sein bedeutet nicht, sich um die Verantwortung für das eigene Handeln zu drücken. Milde sein bedeutet, dass ich mich für das Verhalten nicht noch zusätzlich wolfe und verurteile, das ich ohnehin schon als nicht förderlich erkannt habe. Ich habe ja bereits begriffen, dass Übergewicht mein Wohlbefinden beeinträchtigt, unerledigter Papierkram eine bedrückende Bugwelle erzeugt und aufgeschobene Hausarbeit sich eben nicht von allein erledigt. Muss ich mir dafür noch eine Rüge erteilen, mich als fett, faul, unfähig oder nachlässig beschimpfen? Die Pflicht zur Selbstbeschimpfung ist offiziell aufgehoben. Die neue Ansage lautet:
Sei milde mit Dir!
Heute will ich darauf achten, wie ich mit mir selbst rede. Ist mein Ton harsch und unfreundlich, will ich mich daran erinnern, milde mit mir zu sein.