Die Geschichte mit dem Hammer
Anleitung zum Unglücklichsein – Paul Watzlawick
Die Geschichte mit dem Hammer
Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vieleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“
Edel sei der Mensch, hilfreich und gut
Wer liebt, ist natürlich bereit, dem geliebten Wesen zu helfen. Für besonders edel und gut gilt es aber, auch dort hilfreich zu sein, wo keine besonderen Liebesbande bestehen, also zum Beispiel einem Fremden gegenüber. Selbstlose Hilfe ist ein hohes Ideal und enthält angeblich ihre eigene Belohnung.
Das braucht uns keineswegs abzuschrecken, denn wie jede gute Tat kann auch Hilfsbereitschaft von des Gedankens Blässe angekränkelt werden. Das sahen wir bereits beim Thema Liebe. Um Zweifel an der Selbstlosigkeit und Reinheit unserer Hilfsbereitschaft zu entwickeln, brauchen wir uns nur zu fragen, ob wir dabei nicht doch Hintergedanken haben. Tat ich es als Einzahlung auf mein himmlisches Spakonto? Um zu imponieren? Bewundert zu werden? Um den anderen zur Dankbarkeit mir gegenüber zu zwingen? Ganz einfach, um meinen seelischen Katzenjammer zu kurieren? Sie sehen bereits, der Macht des negativen Denkens sind kaum Schranken gesetzt, denn wer sucht, der findet. Dem Reinen ist angeblich alles rein; der Pessimist dagegen entdeckt überall den Pferdefuß, die Achillesferse, oder was es dafür auf dem Gebiet der Podiatrie noch andere Metaphern gibt.
Wem dies nun Schwierigkeiten bereitet, der nehme sich nur die einschlägige Fachliteratur vor. Die wird ihm schon die Augen öffnen. Da findet er heraus, dass der brave Feuerwehrmann in Wirklichkeit ein verhinderter Pyromane ist; der heldenhafte Soldat lebt seine tief unbewussten selbstmörderischen Triebe, beziehungsweise seine mörderischen Instinkte aus; der Polizist gibt sich mit den Verbrechen anderer Menschen ab, um nicht selbst zum Verbrecher zu werden; der berühmte Detektiv hat eine nur mühsam überdeckte paranoide Grundeinstellung; jeder Chirurg ist ein verkappter Sadist; der Gynäkologe ein Voyeur; der Psychiater will Gott spielen. Voila – so einfach ist’s, die Fäulnis der Welt zu entlarven.
(Quellenangabe: Watzlawick, Paul: Anleitung zum Unglücklichsein, Ungekürzte Taschenbuchaugabe, 21. Auflage November 2000, Piper Verlag GmbH, München, S. 37ff. und S. 105 ff.)
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