Wortschätzchen: Todesurteil
„Die Woche fängt gut an.“
Mathias Kneißl (*1875, +1902), bayrischer Wilderer und Räuber;
Letzte Worte, 10. Februar 1902, nach der Verkündung des Todesurteils
Nein, ich will mich nicht über einen Mann lustig machen, der hingerichtet wurde. Mir geht es um unsere Sprache, um unseren Umgang mit uns selbst und mit anderen.
Neulich hörte ich eine Kollegin sagen, „als ich den Arztbrief las, wusste ich, das ist ihr Todesurteil!“
Mir wurde mulmig, als ich ihre Worte hörte, und seither kamen sie mir immer wieder in den Sinn. Es ging um einen Menschen, bei dem eine schwere Krebserkrankung festgestellt wurde. Und heute wurde mir klar, was mich an dem Wort so störte: Die eigentliche Bedeutung war ja vermutlich: Wir Ärzte sind machtlos und können nichts mehr für den Patienten tun.
Doch für mich ist das eine ganz andere Aussage als mit dem Wort Todesurteil beschrieben wird. Richter verurteilen Menschen zur Todesstrafe. Es gibt auch Menschen, die ohne Richterspruch der Ansicht sind, jemand anderes hätte sein Recht auf Leben verwirkt. Dieser Tage hat ein Mann seine Ehefrau und deren 23-Jährige Geliebte erschossen und anschließend versucht, sich selbst das Leben zu nehmen. Offenbar fand er keine andere Möglichkeit, seinem Schmerz und seiner Verzweiflung Ausdruck zu verleihen. Doch Ärzte fällen zumindest hierzulande kein Todesurteil. Ärzte gestehen ihre Machtlosigkeit gegen den Lauf des Lebens ein. Wir werden geboren um zu sterben. Eine schwere Krankheit, ein Unfall, ein Tumor – sie können für uns Angehörige wie eine Strafe wirken. Und doch ist es nur der Lauf des Lebens.
Was mag meine Kollegin für Gefühle gehabt haben, als sie den Arztbericht las?
War sie
erschrocken
entsetzt
alarmiert
angespannt
beklommen
bestürzt
erschüttert
hilflos
angstvoll
traurig
scheu
sorgenvoll
im Schmerz
ohnmächtig
schockiert
und vielleicht zornig?
Und was könnten ihre unerfüllten Bedürfnisse gewesen sein?
Sehnte sie sich vielleicht nach
Sicherheit
Vertrauen
Geborgenheit
Schutz
Friede
Harmonie
Leichtigkeit
und Spiritualität?
Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit und ich kann sie fragen.
ich glaube nicht, dass Ärzte ein Todesurteil fällen oder aussprechen.
Ich glaube, dass unser aller Leben in der Hand einer Höheren Macht liegt. Und wir haben die Chance, aus jedem einzelnen Tag das Beste zu machen. Ob uns nun noch 10000 Tage oder nur 10 Tage vergönnt sind. Wer weiß das schon.
Heute bin ich nachdenklich. Wie geht es Euch da draußen? Seid Ihr gesund? Ist Euer Leben voller Glück, Wärme, Verbindung? Ich schicke gute Wünsche zu Euch, wo immer Ihr sein mögt.
So long!
Ysabelle
Mir geht es sehr gut, ich freue mich aufs Wochenende, das ich mit 4 Freunden und vielen spannenden Geschichten (a.k.a. Rollenspiel) verbringen werde.
Ich fand den Gedanken spannend, die Bedeutung des manchmal inflationär gebrauchten Wortes „Todesurteil“ wieder etwas einzugrenzen. Fällt der Manager des Pharma-Konzerns, der die Arzneimittelkosten festlegt, ein Todesurteil über die, die es sich nicht leisten können? Ich bin mir nicht sicher, aber wenn ich mir seine Bedürfnisse anschaue (vermutl. Beitragen, Effizienz, Sicherheit) würde ich eher sagen, „nein“.
Hallo, Gabriel,
Ich freue mich gerade. zum einen, dass es Dir gut geht, zum anderen über Deine Wertschätzung für dieses Wortschätzchen. ich war selbst unsicher, ob ich es veröffentlichen sollte. Es fiel ein bisschen aus dem Raster. Aber jetzt bin ich ganz froh und erlebe Bestätigung für meinen Entschluss. DANKE dafür. Das nächste Wortschätzchen wird sich ganz klassisch mit dem Begriff „zickig“ auseinandersetzen.
Gruß,
Ysabelle