Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Freunde

„Über Schiedsrichter diskutiere ich nicht mehr. Die sind mittlerweile alle meine Freunde.“ – Matthias Sammer, als Trainer von Borussia Dortmund, FOCUS online, Das große Fußball Special 2002/03

Solange ich mich erinnern kann, habe ich immer Freunde gehabt, und beste Freundinnen. Die letzte Freundschaft dieser Art zerbrach 2002, als meine Freundin aus Schultagen etwas tat, was ich nicht ertragen konnte. Ich habe mich nie wieder bei ihr gemeldet, obwohl sie nur 20 Kilometer entfernt wohnt.
Andere Freunde kamen und gingen. Einer ist sogar schon tot. Doch in den vergangenen Jahren hat sich bei meinen Freundschaften etwas verändert.
Ich erlebe heute in Freundschaften weniger Verschmelzung und mehr Respekt. Weniger Co-Abhängigkeit, aber echte Unterstützung. Weniger Sympathie, aber mehr Empathie. Allein die Unterstützung, die ich in den vergangenen drei Wochen erlebt habe, macht mich staunen, und ich spüre tiefe Dankbarkeit und Verbundenheit. Gestern zum Beispiel habe ich eine Freundin um ein Telefonat gebeten. Ich wusste, dass sie zur Zeit sehr eingespannt ist und viele eigene Projekte bei ihr brennen. Und ich war bereit, ein Nein zu hören. Es gab Plan B und Plan C. Wenn diese Freundin nicht hätte reden können, hätte es andere gegeben. Und in dieser Freiwilligkeit war es ein wunderbares Geschenk, mit ihr reden zu können.
Heute hat mich ein Freund unterstützt. Ich war völlig ratlos in einer Angelegenheit, und er hat etwas für mich getan, was ich selbst zur Zeit nicht hätte tun können. Dabei fiel auch für mich eine ordentliche Scheibe Klarheit ab. Ich war so erleichtert und berührt, da saßen die Tränen ganz locker vor Dankbarkeit und Wertschätzung.
Am vergangenen Wochenende haben zwei Freunde mir mit der Seminarvorbereitung geholfen, heute gab es dazu sogar einen Nachschlag.
Ich merke, wie ich es gerade in schwierigen Zeiten genieße, mich an andere Menschen wenden zu können, die mich mit tragen. Früher hätte ich mich nicht zugemutet, sondern geglaubt, stark sein zu müssen.
Was hat sich verändert in den letzten Jahren?
Ich verbringe mehr Zeit damit herauszufinden, was ich brauche. Und dann überprüfe ich. wie ich bekommen kann, was ich brauche. Ich sage öfter nein als früher. Gestern fragte mich beispielsweise eine Freundin, ob ich ihr zum Gefallen an einer Marktforschungsstudie teilnehmen würde, und ich konnte nein sagen. Eine andere Freundin wünscht sich mehr Kontakt als ich geben kann. Ich halte es aus, in bestimmten Momenten zu sagen: Ich habe 15 Minuten von Herzen für Dich, wenn Du sie magst, nimm sie. Aber dann habe ich etwas zu erledigen, was mir wichtig ist.
Noch vor wenigen Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass ich meinen Angelegenheiten eine höhere Priorität eingeräumt hätte als anderen Leuten. Heute habe ich begriffen, dass es in erster Linie meine Sache ist, mich um meine Angelegenheiten zu kümmern.
Ich finde heraus, was ich brauche. Und ich wage zu fragen, ob ich Unterstützung haben kann. Und ich werte mich nicht mehr ab, wenn die Unterstützung von einer ganz bestimmten Person in diesem Moment gerade nicht zur Verfügung steht. Dann suche ich halt nach jemand anderem, der Zeit für ein Telefonat, einen Tipp für mein Seminar oder Ahnung von HTML hat. Ich bin freier, und doch spüre ich eine starke Verbundenheit mit den Menschen, die ich heute fragen kann: Hilfst du mir?

Heute will ich den Tag in dem Bewusstsein leben, dass es Unterstützung und Hilfe für mich gibt. Ich bin bereit, meine Sinne dafür zu öffnen, diese Menschen zu finden und in mein Leben einzuladen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten bin ich für andere da.

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