Waffen und Gewaltfreiheit
Hallo, Welt,
wie gestern bereits angekündigt, heute dieser interessante Aufsatz von Oliver Heuler zum Thema Waffen und Gewaltfreiheit. Danke, Oliver, dass ich ihn hier zitieren darf.
So long!
Ysabelle
Waffen und Gewaltfreiheit — wie passt das zusammen? Diese Frage stellt sich offensichtlich immer mehr Lesern oder Zuschauern. Die Frage kann ich nicht in drei Sätzen beantworten, aber ich versuche es so knapp wie möglich.:
Zunächst einmal ist der Ausdruck »gewaltfreie Kommunikation« problematisch:
1. Er drückt etwas aus, was man nicht will: »keine Gewalt«. Kann man das nicht positiv ausdrücken?
2. »Gewaltfreie Kommunikation« klingt so, als ginge es nur um eine Kommunikationsform. Es ist jedoch viel mehr.
3. Viele Leute meinen, sie hätten gewaltfrei kommuniziert, wenn sie sich höflich ausgedrückt, freundliche Begriffe verwendet und allgemeine Nettigkeit an den Tag gelegt hätten. Das ist es aber sicher nicht. Gewaltfreies Kommunizieren ist manchmal dezidiert nicht nett.
Ich werde deshalb künftig auch versuchen, den Begriff gewaltfreie Kommunikation (GfK) sparsamer zu verwenden. Das CNVC (center for non-violent communication) möchte auch nicht, dass jemand sagt, er lehre gewaltfreie Kommunikation, wenn er kein zertifizierter Trainer ist. Ich habe deshalb einen neuen Ausdruck: Er ist positiv und man kann damit ausdrücken, was man will; er ist nicht geschützt und er macht klar, dass es um mehr geht als um Sprache: die Philosophie der Freiwilligkeit (PdF). Der Ausdruck ist ja auch eng verwandt mit dem Begriff des Voluntaristen.
In der Wikipedia wird verständlich beschrieben, wie die Technik der GfK konkret aussieht, also die vier Schritte:
Ich versuche hier das Wesen der Grundhaltung der PdF in wenigen Punkten zusammenzufassen. Dass es auch vier Punkte sind, ist reiner Zufall, und ich denke, dass kein Student der GfK Einwände hätte und auch die Grundhaltung der GfK als richtig zusammengefasst gelten lassen würde.
Die Philosophie der Freiwilligkeit — vier Schlüssel
Die Philosophie der Freiwilligkeit ist für mich die befriedigendste Antwort auf die Frage, wie man es schafft, in Frieden und glücklich mit sich und den anderen zu leben. Die folgende Grundannahme, ist der erste Schlüssel dieser Philosophie, um Konflikte zu vermeiden und bereits entstandene befriedigend zu lösen.
Die wohlwollende Grundhaltung
Die Grundannahme lautet: Alle Menschen tun in jedem Moment das aus ihrer Sicht Beste, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Annahme unterscheidet sich ganz erheblich von der gängigen Konfliktbewältigung: Bis jetzt wird bei einem Konflikt in der Regel gefragt, »Wer hat recht bzw. unrecht?« oder »War die strittige Handlung moralisch oder unmoralisch?« Sobald das geklärt ist, soll derjenige, der angeblich Unrecht getan oder unmoralisch gehandelt hat, sich und dem anderen seine Schuld eingestehen und sich bei seinem »Opfer« ent-schuldigen. Wenn er sich dabei für sein kritisches Verhalten schämt, ist das nach vorherrschender Meinung ebenso nützlich wie angemessen. Diese Art der Strafe diene der Wiedergutmachung für das Opfer, sorge für die Läuterung des Täters und trage zur Abschreckung zukünftiger Täter bei. Soweit die Theorie der üblichen Konfliktbewältigung – aber wie läuft es in der Praxis?
1. Niemand will unrecht haben oder das Prädikat »unmoralisch« zugewiesen bekommen. Also gibt es einen endlosen Streit darüber, wer Recht hat.
2. Wird jemand schuldig gesprochen, fühlt er sich ungerecht behandelt und er wird die anderen dafür später einen Preis zahlen lassen. Die anderen, das sind möglicherweise Opfer, Ankläger, Zeuge, Richter und Vollzugsbeamter. Nicht selten spielt ein Mensch all diese Rollen gleichzeitig.
3. Sollte der Täter tatsächlich von seiner Schuld überzeugt worden sein, und verurteilt er sich jetzt selbst, hilft das auch niemandem, denn es besteht die Gefahr, dass jemand, der sich selbst den Stempel »unmoralisch« auf die Stirn gedrückt hat, sich damit die Genehmigung gibt, genau so weiterzumachen wie bisher, schließlich »ist« er ja so.
4. können wir doch nicht wollen, dass die Menschen aus der negativen Energie der Schuld, Scham oder Depression heraus die Bedürfnisse der anderen achten. Wünschenswert wäre doch, dass sie davon überzeugt sind, dass das Achten der Bedürfnisse anderer der Königsweg ist, um glücklich zu werden. Gleiches gilt für das Argument der Abschreckung. Glauben wir wirklich, dass sich echte Einfühlsamkeit aus Angst entwickelt?
Die Alternative: Empathie
Nehmen wir den Fall, bei dem jemand einen anderen zweifelsfrei belogen hat. Statt den Lügner nun moralisch zu verurteilen und ihn mit Moralpredigten zu beschämen, fragt man einfühlsam, welches Bedürfnis er sich mit der Lüge erfüllen wollte. Dahinter können natürlich in jedem einzelnen Fall ganz verschiedene Bedürfnisse stehen, aber nehmen wir einmal an, es sei das Bedürfnis nach Beachtung und Anerkennung. Statt nun dem anderen vorzuwerfen, wie verwerflich Lügen sind, ihm im Falle von Wiederholungsfällen Strafen anzudrohen und eine ungefragte Psychoanalyse als Beigabe zu servieren, wird der Anhänger der Philosophie der Freiwilligkeit vielleicht Folgendes fragen: »Warst du unzufrieden, weil du dir Anerkennung wünschtest und hättest du die gerne unabhängig von deinen Leistungen? So eine Frage könnte der Anfang eines Gesprächs sein, an dessen Ende meist klar wird, dass der »Täter« lediglich Bedürfnisse befriedigen wollte, die deshalb für jeden nachvollziehbar sind, weil sie universell sind. Er hat dazu leider eine ungeschickte Strategie verwendet, bei der die Bedürfnisse der anderen unberücksichtigt blieben. Hat der Täter Empathie für seine Gefühle und Bedürfnisse bekommen, entsteht fast immer Mitgefühl für sein Opfer und der Wunsch der Wiedergutmachung. Das ist jedoch jetzt keine erzwungene Wiedergutmachung, sondern dem Täter ein echtes Bedürfnis. Auch steigt so die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter beim nächsten Befriedigen eines Bedürfnisses auch die Bedürfnisse der Mitbetroffenen berücksichtigt.
Selbstverantwortung für Gefühle
Eine weiterer Schlüssel betrifft die Selbstverantwortung: Es ist nützlich, die Verantwortung für die eignen Gefühle zu übernehmen und nicht zu glauben, unsere Gefühle seien das Ergebnis von dem, was »da draußen« abläuft. Statt also zu sagen: »Ich fühle mich unwohl, weil du dies gesagt oder jenes getan hast«, sagt man »ich fühle mich unwohl, weil eines meiner Bedürfnisse nicht befriedigt ist.« Selbstverantwortung lässt sich auch noch auf andere Weise verleugnen; hierzu ist die so genannte Amtssprache hervorragend geeignet: »Ich musste das tun.« »Ich hatte keine Wahl.« »Befehl von oben.« »Ich hatte keine Zeit.« »So sind doch die Gesetze.«
Vertrauen in Bitten
Der letzte Schlüssel besteht darin, darauf zu vertrauen, dass der Verzicht auf Forderungen und Drohungen die Freude unter den Menschen mehrt und deren Leid mindert. Wer das verinnerlicht hat, der formuliert keine Forderungen mehr, sondern nur noch Bitten. Eine Bitte unterscheidet sich von einer Forderung dadurch, dass man sie auch ablehnen kann, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Der implizite Zusatz einer echten Bitte lautet daher eigentlich immer: »Erfülle meine Bitte nur, wenn du ihr mit Freude nachkommen kannst und nicht aus Pflichtgefühl, um Scham, Schuld, Strafen oder Liebesentzug zu vermeiden oder weil du Belohnungen erwartest.«
Zu dieser philosophisch-psychologischen Grundhaltung kommt noch die rechts-philosophische, die ich hier beschrieben habe und die bei einigen GfKlern auf Widerstand stoßen könnte:
Marshall Rosenberg war bei der Vorstellung allerdings erstaunlich aufgeschlossen.
Der Voluntarist zeichnet sich also durch maximale Toleranz aus: Er lässt jeden machen, was er will, wenn er dabei nicht das Leben, die Freiheit oder das Eigentum anderer verletzt. Und so lässt sich diese Haltung auch mit dem Besitz von Waffen in Einklang bringen. Sie ließe sich natürlich nicht in Einklang bringen mit Überfällen, Morden oder Entführungen. Die Frage lautet also eigentlich viel eher: Wie passen Gewaltlosigkeit bzw. Freiwilligkeit und Politik zusammen? Und darauf habe ich keine Antwort, denn initiierende Gewalt und Zwang sind die Grundlagen der Politik. »Gewalt« rührt von dem althochdeutschen Verb »waltan« her, was so viel bedeutet wie »beherrschen«. Von Gewalt kann man also sprechen, wenn ein Einzelner oder eine Gruppe über andere herrscht und Gebote wie Verbote erlassen werden — so wie in der Politik. Wenn der Staat den Bürger zwingt, Steuern zu zahlen, auch wenn der das nicht möchte, ist das eine Form von Gewalt. Auf Steuern, die nicht freiwillig sind, basiert aber unser gesamtes System.