Hochzeitstag
Hallo, Welt!
Heute meldete sich ein alter Freund bei mir. „Ich habe morgen ersten Hochzeitstag. Ich wollte meiner Frau Blumen mitbringen und sie abends zum Essen ausführen. Reicht das?“
Ich erinnerte mich daran, dass ich einmal zu meiner großen Überraschung zum ersten Hochzeitstag eine Kette mit grünen Süßwasserperlen geschenkt bekam und fragte nach, welches Bedürfnis er sich mit den Blumen und der Esseneinladung erfüllt, und was der Hintergund seiner Frage sei. Es stellte sich heraus, dass seine Frau nach einem bestimmten Ring schielte und er aus verschiedenen Gründen gerade keinen Schmuck kaufen konnte.
Jetzt wurde es richtig unterhaltsam. Welches Bedürfnis wäre wohl bei seiner Frau erfüllt, wenn er den Ring kaufen würde? Schönheit oder Wertschätzung? Und welche Bedürfnisse erfüllte er sich, wenn er den Ring eben nicht kaufte? Wir fanden heraus, dass es bei seiner Frau vermutlich eher um Zugehörigkeit, Anerkennung und Wertschätzung geht, bei ihm um Respekt, Wertschätzung, Verbindung, aber auch ganz dringend um Kongruenz (seinen Werten gemäß handeln) Integrität und Selbstvertrauen (ich bin ok, auch wenn ich keine teuren Geschenke machen kann).
Dann haben wir ein bisschen überlegt, welche weiteren Strategien es neben Essen gehen und Blumen schenken noch geben könne, die sowohl seine als auch die Bedürfnisse seiner Frau berücksichtigen.
Danach hat mein alter Freund in einem Theater angerufen, in dem gerade eine russische Tanztruppe gastiert. Am morgigen Hochzeitstag wird es nur eine Rose und ein einfaches Essen in einem schlichten Lokal geben. Am Samstag führt er seine Frau, die sich als Großstadtpflanze auf dem Land manchmal recht verloren fühlt, nach Hamburg ins Theater aus. Die Karten sind nicht teurer als ein dicker Blumenstrauß. Und ich bin gespannt auf seinen Bericht in der kommenden Woche. Gleichzeitig bin ich voller Zuversicht, dass diese Strategie schönere Früchte trägt als „essen gehen & Blumenstrauß“.
So long!
Ysabelle
Danke für diese Geschichte! Für mich ein sehr schönes Beispiel dafür, dass Gewaltfreie Kommunikation nicht nur in schlimmen Konfliktsituationen hilft, sondern auch, das Leben anderer zu bereichern.
Moin, Gabriel! Du machst Dir keine Vorstellung, wie mich dieser Kommentar von Dir verblüffte. Ich peitschte mich innerlich schon wieder zwei Tage, ich wäre angeberisch und selbstverliebt, hier schon zum zweiten Mal hintereinander etwas zu berichten, was mir gelungen ist. Da gab es doch mal ein Sprichwort: Bescheidenheit ist eine Zier, doch besser fährt man ohne ihr.
Die Bedürfnisse meines inneren (ha, das Schreibprogramm bot mir stattdessen „unnützen“ an!) Erziehers waren sicher Schutz und Respekt und Verbindung, Und sicher hatte er Sorge, wenn ich mich erfreut/stolz/zufrieden zeige, wird mir das als Hochmut ausgelegt und ich erlebe Zurückweisung. Wo ist der Mittelweg zwischen „to blow one’s own trumpet“ und „sein Licht nicht unter den Scheffel stellen? Bei beiden Gesprächen, sowohl mit meiner Bekannten als auch mit meinem alten Freund habe ich so viel Freude am Beitragen gespürt, dass ich sie gern teilen wollte. Und dann stand es hier und es meldeten sich die Stimmen, das sei unangemessen… Das ist sicher ein paar weitere Überlegungen wert in den nächsten Monaten… Danke, dass ich darüber stolpern durfte!
Y.