Kraut & Rüben (7)
Hallo, Welt!
Wenig los hier in den vergangenen Wochen. Es ist nicht so, dass es keine Themen gibt. Ich schaffe es nur nicht mehr bis in den Blog. Tagsüber kommen die zündenden Ideen und wenn ich abends nach Hause komme, bin ich einfach nur platt. Ist das das Alter?
Gestern Vormittag habe ich ein bisschen Bettwäsche aus der Heißmangel geholt. Ich war total müde und schlapp und sagte zu der Dame an der Kasse: „Ich bin gestern erst 22.20 Uhr von der Arbeit gekommen.“ Mit einer Art Schnauben entgegnete sie: „So lange arbeite ich immer. Erst hier im Laden und dann der Haushalt.“ Und ich dachte, puh, was ist hier denn los? Ich hätte gern so etwas gehört wie „das ist auch wirklich spät“ oder „doof, wenn man am nächsten Tag wieder früh raus muss“. Stattdessen „hörte“ ich ihre Antwort als „es ist normal, lange zu arbeiten. Stell dich nicht so an! Ich arbeite noch viel härter als du…“ und wieder einmal war ich fasziniert, was ich so alles wahrnehme, wenn ich Beobachtung und Gefühl voneinander trenne. Ich war allerdings zu erschöpft, um der Dame Einfühlung zu geben und habe wahrscheinlich nur hohl geguckt.
Dann kam der Termin bei der Fußpflege. 10 Uhr. Ich war pünktlich. Nach einer Minute kam sie aus der Kanine und sagte, „das dauert noch einen Moment!“ Dann stutzte sie, sah auf die Nagelfeile in meiner Hand uns sagte, „was ist das für eine Feile?“ Ich antwortete, „Von Alessandro“. Sie entgegnete, „und was soll ich damit?“ Und ich sagte: Gar nichts. Ich will mir die Fingernägel feilen.
Der „Moment“ dauerte dann 20 Minuten und ich hatte reichlich Gelegenheit, meinen Gefühlen und Bedürfnissen nachzuspüren.
Uff. Verspätungen ind ja eine großartige Gelegenheit, nach innen zu horchen. Denn auch „Pünktlichkeit“ steht nicht auf Marshalls Bedürfnisliste. Ich fand, dass mein Bedürfnis nach Autonomie im Mangel war. Ich möchte gern frei entscheiden, was ich mit meiner Zeit mache. Und ich brauchte Klarheit. Wie lange dauert ein Moment? Es hatte auch etwas mit Wertschätzung zu tun. Für die Kundin in der Kabine war Zeit, für mich anscheinend nicht. Noch nicht.
Als ich dann mit 22 Minuten Verspätung dran kam, habe ich gesagt, wie es mir geht: Ich bin richtig in Stress gekommen, weil meine Zeit Samstagmorgens immer sehr knapp bemessen ist. Ich muss noch zur Änderungsschneiderei, zum Friseur und ein paar anderen Stellen, und hier werden mittags die Bürgersteige hochgeklappt. Ich kann das gut verstehen, dass sich eine Kundin verspätet, aber ich wünsche mir einfach Klarheit, wie lange es noch dauert und dann kann ich in der Zwischenzeit ein paar Sachen erledigen.
Schweigen. Schweigen.
Schweigen.
Ich fühlte mich unbehaglich. Im Nachhinein dachte ich, Mensch, du hast die Brücke vergessen. „Wie geht es Ihnen mit dem, was ich gerade gesagt habe?“
Das geschieht mir in letzter Zeit öfter. Ich finde einen Selbstausdruck (so und so geht es mir…), aber das macht halt noch keine Verbindung. Eine günstige Gelegenheit, mich selbst in die Pfanne zu hauen. Ich lasse sie aus und nehme zur Kenntnis, dass ich mich gern stärker um diese Brücke zum anderen kümmern möchte.
Gestern Nachmittag dann ein Telefonat mit dem ausgeladenen Gast vom vorigen Wochenende. Ich war berührt zur Kenntnis zu nehmen, dass unsere Beziehung offenbar keinen ernsthaften Riss durch meine Absage erhalten hat. Ich sprach gestern Abend mit meiner GfK-Freundin Herzi darüber. Sie fand in der Rückschau mein Verhalten vom vergangenen Wpchenende wunderbar klar und eindeutig und die Anfrage von gestern einfach nur unverschämt. Während ich feierte, dass die Beziehung noch bestand, witterte Herzi einfach nur schamloses Ausnutzen. Nö, ich bewerte nicht… 🙄
Und dann gab es gestern noch ein Telefonat…
Gestern Abend um elf, ich war gerade am Einschlafen, klingelte das Telefon. Es war ein alter Bekannter, von dem ich jahrelang nichts gehört hatte. Er wollte von meinen Verbindungen zum Hexenkult hören. Das Telefonat hat mich tief erschüttert. An meiner Hauswand hängt ein Airbrush mit einer großen Eule und einer kleinen Hexe auf einem „Easy-Rider“-Besen. Ich bin ein großer Harry-Potter-Fan und so kam das Bild zustande. Zum Hexenkult habe ich keinerlei Verbindung. Im Verlauf des Geprächs stellte sich heraus, dass der Bekannte gerade von einem mehrwöchigen Aufenthalt in der Psychiatrie nach Hause gekommen war. Er hat Wahnvorstellungen, in denen finstere Mächte durchaus eine Rolle spielen.
Stolz erzählte er, dass er nach wie vor raucht und trinkt, und ich vermute, dass er auch Drogen nimmt. Natürlich sind alle anderen doof und man tut ihm ständig Unrecht. Als das Gespäch nach ca. 45 Minuten endete, war ich so aufgeregt und angespannt, dass ich nicht einschlafen konnte. Und ich dachte bei mir, mit Sucht und Depressionen kann ich umgehen. Aber Schizophrenie löst wirklich Angst bei mir aus. Ich merke, während ich das tippe, dass da mein inneres Kind in Not kommt. Da gibt es irgendetwas von früher, was da getriggert wird. ich habe noch nicht raus, was es ist.
Auch hier wird dann gleich wieder die Latte hoch gehängt. Wie hätte Marshall in diesem Gespräch reagiert? Er zitiert das Buch von Thomas Szasz „The myth of mental illness“, wonach es eben keine Geisteskrankheiten gibt. Es ist mir gelungen, das Werk antiquarisch zu erstehen, gelesen ist es noch nicht… Also: Ich müsste, ich sollte… und dann habe ich mir einfach eingestanden, dass mich dieses Verhalten des Anrufers, seine schnelle Sprache, die Dinge, die er erzählte, einfach total verunsichert haben. Abends um 11 ohne Vorwarnung so ein Gespräch – das muss mir nicht gefallen und es ist total in Ordnung, darauf nicht mit Begeisterung zu reagieren!
Das war das Wort zum Sonntag 😉
So long!
Ysabelle