Im Schlammteich der Gefühle
Hallo, Welt!
Gestern Abend tagte wieder unsere Übungsgrupppe. Aber zu unserem üblichen Programm sind wir nicht gekommen. Bei der Einleitung zum Empathie-Duett (einer Zweier-Übung, in der sich die Beteiligten gegenseitig jeweils 15 Minuten zuhören und sich Empathie geben) entzündete sich eine Debatte zum Thema Interpretationsgefühle. Ein Teilnehmer sagte sinngemäß, „ich weiß doch, was ich fühle. Und wenn ich sage, ich fühle mich provoziert, dann ist das genau DAS Gefühl…“
Mir sackte das Herz in die Hose. Ich hatte große Angst. Zum einen fürchtete ich, der Teilnehmer würde jetzt wütend und frustriert die Gruppe verlassen. Zum zweiten hatte ich Sorge, „Intepretationsgefühle“ nicht „richtig“ erklären zu können. Zum Glück fiel mir ein, dass ich auch auf den Prozess vertrauen konnte. Also zurück zu Gefühlen und Bedürfnissen: Wenn Du sagst… möchtest Du dann … ausdrücken?
Im Verlauf unseres Austauschs seufzte der Teilnehmer: „Das ist ziemlich genau was ich fühle. Aber ich habe keine Wörter dafür. Ich habe einen Schlammteich mit Gefühlen…“
Allgemeines Gelächter und allgemeine Zustimmung. Diesen Teich kannten alle. Man fischt im Trüben, holt ein Gefühl raus, guckt es an, wirft es wieder weg… Passt nicht.
Wenn ich auf diese kleine Situation in der Gruppe schaue, werde ich richtig traurig. Gefühle – das ist doch eigentlich das erste, was wir wahrnehmen. Hunger, Durst, Unbehagen, Angst, Schmerz, Einsamkeit. Wenn wir sehen, wie sich jemand anderes den Kopf stößt, sagen wir Aua, weil die Spiegelneuronen in unserem Gehirn melden, da tut was weh. Zwar nicht mir, aber dem anderen. Und dann legt unsere Erziehung einen Filter darüber. Wir nehmen nicht mehr die Gefühle wahr, sondern unsere Bewertungen. „Wie ordne ich das Verhalten meines Gegenübers ein“ ersetzt „was fühle ich, wenn ich das sehe?“
Nein, ich möchte kein neues Richtig oder Falsch aufmachen. Es ist nicht falsch, das Verhalten meines Gegenübers einzuordnen, aber es ist ein großer Unterschied, je nachdem wie ich die Kategorien wähle. Wähle ich Kategorien von Richtig oder Falsch, von Täter und Opfer, oder wähle ich erfüllte und unerfüllte Bedürfnisse?
Zurück zum Schlammteich. Häufig sind wir eher in der Lage, die Gefühle beim anderen zu benennen als unsere eigenen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir auf die Gefühle des anderen reagieren. Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin und jemand rückwärts aus der Parklücke auf „meine“ Straße setzt, reagiere ich ja auch, indem ich das Lenkrad herumreiße. Ich bin also darauf gepolt, auf die erkannten Gefühle des anderen zu reagieren. Ich stimme mich ein. Die Verbindung zu unseren eigenen Gefühlen wird dabei für viele von uns Nebensache. Ein dumpfes Grummeln im Bauch, ein diffuses Unbehagen, eine zugeschnürte Kehle, ein Druck auf den Schultern…
Lasst uns die Hand ausstrecken und im Schlammteich unserer Gefühle fischen. Es macht nichts, wenn wir fünf Mal einen Buntbarsch rausholen und suchen doch eigentlich einen Karpfen. Der entscheidende Schritt ist, dass wir anfangen, unsere Gefühle ernst zu nehmen.
So long!
Ysabelle
Liebe Ysabelle,
vielen Dank für deinen Bericht aus der gestrigen Übungsgruppe. Mir war meine Entscheidung gestern Nachmittag daran nicht teil zu nehmen sehr schwer gefallen. Als ich soeben sah, dass du einen Beitrag dazu geschrieben hast, war ich überaus erfreut, so nun nachträglich noch „Mäusschen spielen“ zu können.
Ich möchte dir gerne mitteilen, wie reich du mich darin beschenkt hast!
Der Schlüsselsatz war: „Wenn Du sagst… möchtest Du dann … ausdrücken?“
Ich bin beinahe vom Stuhl gefallen, so sehr hat mich die Erkenntnis gegen die Stirn geschlagen. Dies könnte eine wundervolle Krücke sein, wenn ich das nächste Mal abstürze, während ich mit den (Wolfs-)Gedanken meines Partners konfrontiert bin. Bisher biege ich stets auf die Autobahn des Vorwurfhörens ein und kann in meiner Not nur das S.O.S. Signal „ich kann das gerade nicht gut hören“ absenden. Mit dieser Schablone von dir bin ich jetzt frohen Mutes tatsächlich meiner Sehnsucht ihn zu übersetzen entsprechen und in Verbindung mit ihm bleiben zu können!
Ich bin völlig elektrisiert, aufgekratzt, hoffnungsfroh, erfreut, beglückt und bereichert. Mir jucken tatsächlich die Finger und Handflächen, so als könnten sie es nicht abwarten, das neue Werkzeug auszuprobieren. Das nennt man wohl einen Phantomschmerz… hier wohl eher Phantomjucken. hihi
Wahnsinn! Ich bin gerade so euphorisch, würde ich mit dir sprechen, würdest du dich wahrscheinlich von mir angebrüllt fühlen!!!
Danke, danke, danke dafür, dass du deinen Wirkkreis so über deine Physis ausdehnst und es (mir) möglich machst, teilzuhaben, selbst wenn eine Teilnahme/Anwesenheit zum Zeitpunkt des Geschehens nicht möglich war.
Fühl dich stürmisch umärmelt
von einer begeisterten Claudia