Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Von Socken, Geschenken und Giraffensaft

Hallo, Welt!
Das Thema Socken stricken hat mich schon vor 30 Jahren interessiert. Auf mein Bitten schenkte mir meine Schwiegermutter ein Buch mit Strickanleitungen, aber es sollte noch bis 2003 dauern, bis ich wirklich damit anfing.

Mein Partner fürchtete eine Geschenke-Orgie zu Weihnachten und bat mich darum, nur ein Geschenk zu machen, das noch dazu nicht teuer war als zehn Euro. Ich wusste, dass er leidenschaftlich gern selbstgestrickte Socken trug und und beschloss, dass jetzt die gute Gelegenheit wäre, es zu lernen.

Im Laufe der Jahre habe ich wohl ungefähr 70 Paar gestrickt. Dazwischen waren welche aus Alpaka und aus Seide, aus Schurwolle, Synthetik-Gemisch, für ein Baby und Dutzende in Schuhgröße 47.
In den vergangenen zwei Jahren habe ich auch jeweils für meine Trainer als Abschieds-Geschenk nach der Jahresgruppe Socken gestrickt. Beim Auspacken wurde ich bedankt und das war’s.
In der vergangenen Woche saß ich im Seminar und stellte an zwei aufeinanderfolgenden Tagen fest, dass die Trainer die von mir gestrickten Socken trugen. In mir fing es an zu rumoren. Gefühle wirbelten durcheinander. Und schließlich sagte ich in der großen Runde, wie sehr es mich berührt, „meine“ Socken an ihren Füßen zu sehen. Auf ganz tiefe Weise sei so mein Bedürfnis nach Wertschätzung und Verbindung erfüllt. Gleichzeitig empfände ich eine tiefe Scham über diese Gefühle, die durch den Anblick in mir ausgelöst worden waren. Marshall hätte doch gesagt, wir sollten so geben, wie ein Kind Enten füttert: Voller Freude über das Geben, aus freiem Herzen. Und dann müsse der Vorgang doch quasi mit dem Geben abgeschlossen sein. Ich füttere Enten, ich stricke Socken und verschenke sie. Punkt.

Gerhard sprach mich später noch einmal darauf an. Nach diesem Gespräch habe ich Folgendes verstanden. Aus freiem Herzen schenken, ohne eine Verpflichtung für den anderen, das ist eine Sache. Ich schenke aber, um zum Wohlbefinden des anderen einen Beitrag zu leisten. Um Freude zu bereiten. Und wenn ich dann sehe, dass der andere sich wirklich freut, dann darf das Auswirkungen auf mich haben. Ich darf mich mitfreuen. Ich darf feiern, dass mein Geschenk willkommen ist. „Wenn du das nicht tust, schneidest du dich vom Giraffensaft ab“.
Oh ja, Giraffensaft… Das ist das, was uns nährt. Was uns neue Kraft gibt. Ich darf mich an der Freude der anderen freuen. Oder wie in diesem Fall: Ich darf mich freuen, mein Bedürfnis nach Wertschätzung auf so überraschende Weise erfüllt zu sehen. Ich hatte ja nicht täglich die Socken kontrolliert. Zu sehen, dass ich zum Wohlergehen anderer einen Beitrag leisten konnte, hat mich so beflügelt und berührt.

Heute Morgen bin ich mit einem tiefen Schmerz in Verbindung gekommen. Im vorigen Jahr hatte ich als Weihnachtsgeschenk ein paar Socken in Größe 47 gestrickt und verschickt. Das Päckchen kam zurück mit dem Hinweis: Annahme verweigert. Seither liegt es in den Tiefen meines Kleiderschrankes und der Gedanke daran schmerzt auch nach zehn Monaten unvermindert. Mit Liebe gemacht, in Liebe gegeben. Ohne verbindende Worte retourniert. Inzwischen mache ich lange genug GfK, um mich mit den wunderbaren Bedürfnissen zu verbinden, die sich der Adressat damit erfüllt hat, als er das Paket nicht angenommen hat. Schutz, Autonomie, Authentizität, Klarheit und vielleicht noch das eine oder andere mehr. Aber genau so, wie mich vergangene Woche die Freude über die getragenen Socken überfiel, traf mich heute Morgen der rasende Schmerz über das Geschenk, das nicht willkommen war.

So long!

Ysabelle

2 Reaktionen zu “Von Socken, Geschenken und Giraffensaft”

  1. MarkusC

    Hallo Ysabelle,

    dein Text gefällt mir sehr 🙂
    Marshall hat mal auf einer CD eine sehr schöne Übung zum Giraffe-Fuel vorgeschlagen. Im Kern geht es dabei darum, sich selbst bewußt zu machen, dass wir das Bedürfnis haben, das Leben schöner zu machen.
    Und dass wir es einfach auch sehr oft schaffen, selbst wenn die Rückmeldung ausbleibt. Gleichzeitig ist das ganze sehr spannend, weil wir meist mit zig Überzeugungen aufgewachsen sind, die uns dabei im Weg stehen, uns mit dieser Treibstoff-quelle zu verbinden.
    Vielleicht schaff ich es nachher noch, die Übung vorzustellen.

    Lieber Gruß,
    Markus

  2. Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren! » Blog Archiv » Giraffen-Treibstoff auftanken

    […] Ihr Lieben! Ysabelle hat gestern einen schönen Artikel über Giraffen Saft oder Treibstoff geschrieben. Für mich ist Giraffen […]

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