Wenn zwei das gleiche tun…
Duo cum faciunt idem, non est idem!
Terenz
Hallo, Welt!
Auf einer seiner CD’s erzählt Marshall, wie er auf schmerzhafte Weise lernen musste, dass sein Gegenüber stets nur der Auslöser für Gefühle ist. Er arbeitete damals in einer Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche. An zwei aufeinander folgenden Tagen bekam er in einem Handgemenge mit dem Ellenbogen einen über die Nase gezogen, doch seine eigene Reaktion war komplett verschieden. Einmal schäumte er vor Wut, das andere Mal war er geneigt, den Jungen, um dessen Ellenbogen es sich handelte, zu entschuldigen und zu verteidigen.
Im Nachspüren stellte er fest, dass er über jeden der beiden Jungen eine vorgefasste Meinung hatte. Er hielt den ersten für gemein und fies. Beim zweiten Jungen dagegen glaubte er, es sei eine tragische Gestalt. Und je nach Betrachtungsweise fiel auch nach dem Nasenstüber sein Urteil über den jeweiligen Jungen aus. Eine kraftvolle Demonstration dessen, dass unsere Gedanken unsere Gefühle beeinflussen.
Wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe, besagt ein römisches Sprichwort. Auch ich knirsche gerade mit den Zähnen, weil zwei das gleiche tun und ich es in einem Fall schlecht ertragen kann.
Am Mittwoch plauschte ich nach der Übungsgruppe noch ein bisschen mit einigen Teilnehmern. Am Ende hörte ich den Satz: Danke, dass du mir das erzählst hast. Ich mache ja immer viel über das Gebet, und jetzt weiß ich, worum ich für dich beten kann.
Ich war sehr berührt und fühlte mich gesehen und von guten Wünschen begleitet. Der Satz war mir kostbar.
Am nächsten Tag entdeckte ich an anderer Stelle ebenfalls, dass für mich gebetet werden würde, aber es erfüllte mein Herz keineswegs mit Freude. Da stand dann an zwei verschiedenen Stellen:
Zitat
Ich wünschte das Ysabelle nicht immer in allen Beiträgen schreiben würde: (…) sondern das Gegenteil sagen und schreiben würde.
Aber es muss die Einsicht da sein, sie wird kommen.
Zitat
Ich habe nachgedacht ich werde lieber für Ysabelle beten, das bringt mehr als ihr zu schreiben, wen ich ihr schreibe wird sie wahrscheinlich aufgebracht sein.
Grundsätzlich tun hier zwei das gleiche: sie beten für mich. Aber einmal freue ich mich und bin berührt, das andere Mal hänge ich vor Wut unter der Decke.
Wenn ich dem nachspüre, was für mich den Unterschied macht, stelle ich fest: Mit der GfK-Freundin gab es Verbindung. Sie wollte zum Ausdruck bringen, dass sie jetzt mehr von mir verstanden hat und mich auf ihre Weise unterstützen möchte.
Die zweite Person hat keine Verbindung zu mir hergestellt, sondern ÜBER mich geurteilt. Dazu kommt, dass Person II im Moment noch der Ansicht ist, mir fehle es zur Zeit an Einsicht. Das erfüllt nicht meine Bedürfnisse nach Respekt, Wertschätzung, Verbindung und Anerkennung. Und unter diesem Aspekt tun vielleicht doch nicht beide das gleiche. Der eine hat sich mit mir verbunden, der andere hat über mich geurteilt.
Und ich?
Ich bin noch gefangen in meiner Wut und meinem Frust. Ich konnte formulieren, welche Bedürfnisse in mir unerfüllt sind. Aber eine Hand ausstrecken zum gemeinsamen Verstehen – das konnte ich noch nicht. Wie sagte Marshall: Die ersten 40 Jahre sind die schwersten.
Heute will ich mir bewusst machen, dass die Handlungen oder Unterlassungen anderer nur Auslöser meiner Gefühle sind. Mein Gegenüber ist nicht für meine Gefühle verantwortlich.