Freilebende Giraffe
Hallo, Welt!
Heute Abend hatte ich einen geschäftlichen Abendtermin. Durch die Dunkelheit stapfte ich zu dem Lokal, in dem das Treffen stattfinden sollte. Ah, da war es ja! Ich öffnete die Glastür und platzte mitten in eine Begrüßungsszene. Brav schlängelte ich mich hinter die beiden Leute, die da willkommen geheißen wurden. Doch bevor ich an die Reihe kam, öffnete sich die Tür erneut, zwei weitere Menschen kamen herein und standen, schwups, vor mir. Plausch, Plausch, Laber Rhabarber… Ich merkte, wie in mir die Wut aufflammte.
Hey, was ist los, wisperte es in meinem Kopf, denn ich tobte innerlich. Meine Bedürfnisse nach Gesehen werden, Wertschätzung, Verbindung, Respekt, Teilhabe, Ordnung und vielleicht noch manches andere waren mal komplett im Mangel.
Da öffnete sich erneut die Tür. Wieder kamen zwei Menschen herein, die lautstark und herzlich willkommen geheißen wurden. Am liebsten hätte ich mit meiner 15-Kilo-Handtasche um mich geschleudert. Ich ballte die freie Faust, zählte den Countdown, um den Laden zu verlassen.
Da schlängelte sich eine schlanke Frau in einem schicken Schwarzweiß bedruckten Kleid zu mir durch. „Hallo, mein Name ist XY, Sie haben ja einen ganz unglücklichen Platz da hinter der Tür erwischt!“ Ich knirschte mit den Zähnen und zischte, „ja, ich bin auch direkt vorm Gehen, das reicht mir hier für heute Abend!“
Sanft zog mich die Frau aus der Ecke raus und murmelte beruhigend auf mich ein. Ich weiß nicht mehr genau, was sie sagte, aber es waren solche Dinge wie „ja, so was kenne ich, das ist auch wirklich blöd, wenn man so gar nicht drankommt…. Geben Sie mir mal Ihre Jacke… Ich habe ein schönes Plätzchen für Sie… nehmen Die erst mal ein Glas Wein oder Champagner zur Entspannung….“
Deutlich besänftigt knurrte ich nur, „ich trinke keinen Alkohol“. Sie nahm mir den Mantel ab und bugsierte mich dann um ein paar Tische zu dem Starkoch, der an dem Abend eine wichtige Message verbreiten wollte. So kam ich zu einem fachkundigen Vortrag über Graukäse, Gamsschinken und Weinanbau in Tirol (nahezu keiner, bis jetzt…).
Als es zum Essen ging, gelang es mir, noch einmal die schwarzweiße Dame zu erwischen und ihr meine Dankbarkeit auszudrücken. „Sie haben mir den Abend gerettet… Ich war wirklich kurz davor zu gehen. Aber es hat mir so gut getan, wie Sie sich um mich gekümmert haben!“
Den eingeschenkte Giraffensaft konnte sie kaum annehmen, deshalb vermute ich, dass sie eine freilebende Giraffe war. Wie wundervoll, so eine Begegnung mit einem Menschen, der einfach seinem Herzen nach handelt und sich so aufmerksam und fürsorglich zeigt.
Ich bin dankbar und froh, dass sie mich zum Bleiben bewegt hat. Saibling und Rehgoulasch waren köstlich!
So long!
Ysabelle