Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Wie kannst Du es wagen…

Hallo, Welt!
Heute Mittag sah ich jemanden in der Kantine sitzen, der einem Bekannten sehr ähnlich ist. Schon vorige Woche war mir der Mann aufgefallen, fast hätte ich mich zu ihm gesetzt, aber in letzter Minute erkannte ich meinen Irrtum und schwankte mit meinem Tablett an einen anderen Tisch.

Heute hatten wir Blickkontakt und zuerst dachte ich wieder, Mensch, da sitzt doch Dr. XY. Aber nein… der gleiche fremde Mann wie im letzten Jahr.
Heute habe ich es gewagt, mich zu ihm zu setzen und hatte eine interessante Unterhaltung. Er hat mit meiner Profession (und der von Dr. XY) überhaupt nichts am Hut und kommt einfach als externer Gast in die Kantine. Während unseres anregenden Gesprächs dachte ich bei mir, „ist doch gut, dass du dich getraut hast, dich zu jemand Fremden zu setzen.“

Beim Nachspüren ging mir auf, dass ich damit zurzeit ganz offensichtlich ein Thema habe: How dare you! Wie kannst du es wagen…
http://youtu.be/AAb-Y6pB07Y
(Achtung, da passiert nichts, das ist nur die Musik von dem alten 10CC-Album aus den 70er Jahren.)

Also: ich setze mich zu einem fremden Menschen an den Tisch. Ich richte mir einen Do-Nothing-Raum ein, der überhaupt nicht aussieht wie ein Wohnzimmer. Ich wage etwas! Gestern habe ich gewagt, einem Freund am Telefon zu sagen, du bist mir ganz wichtig und unsere Freundschaft hat einen ganz großen Stellenwert für mich, und trotzdem bin ich gerade zu erschöpft, um mit Dir zu reden. Boah! Geradezu tollkühn! Meine Teilnahme am GfK-Netzwerktreffen kommenden Samstag werde ich absagen, weil ich am Sonntag einen wichtigen Termin habe und sonst überhaupt keine Pause bekomme. How dare you! Wie kannst du es wagen…

Und was hat das mit GfK zu tun?
Gerhard Rothhaupt stellt seine Jahresgruppe unter das Motto: „Abenteuer Ehrlichkeit“. Und tatsächlich ist es ein Abenteuer, sich auf Ehrlichkeit einzulassen. Nicht dass mir ständig Lügen aus dem Mund perlen. Aber um mein Bedürfnis nach Schutz und Harmonie zu befriedigen, sage ich oft nicht wirklich, was ich brauche. Und weil es in meinem Kopf noch immer einen Haufen Bilder davon gibt, wie Dinge zu sein haben, finde ich es unendlich schwer herauszufinden, was für MICH passt. „Das tut man nicht“ ist eines der Brandzeichen auf meiner Kehrseite, geprägt in fetter Fraktur.
Wohnzeitschriften informieren, wie „man“ sich einzurichten hat, Modepostillen und Versandhaus-Kataloge zeigen, wie eine Frau auszusehen hat, welche Figur sie haben darf, wie sie sich in akzeptabler Form ver- oder enthüllt. Hat einer von Euch schon mal ein am Menschen fotografiertes Nachthemd in Kleidergröße 48 gesehen, in einem Katalog, einer Modezeitschrift? So haben Menschen nicht zu sein! Die normative Kraft von Bildern hat mich in den vergangenen Tagen ziemlich erschreckt. Mir war gar nicht bewusst, wie sehr mich diese Fotos prägen.

Oliver Heuler sagte in seinem Fernsehbeitrag etwas über Kindererziehung. Es ist ihm (sinngemäß) ein Anliegen, seinen Sohn nicht in eine vorgefertigte Form zu pressen oder so zu ziehen und zu zerren, bis er seinen Vorstellungen entspricht. Im Nachgang habe ich gemerkt, dass ich genau das tue. Ich drücke und schiebe mich in irgendwelche Formen, von denen ich ohne Bewusstsein annehme, so müsste ich sein, aussehen, mich entscheiden, mich äußern, wohnen… Und über allem wacht die eingebaute Geschmackspolizei, mein ganz privater Sicherheitsdienst.

Ich glaube, 2012 möchte ich anfangen, Dinge zu wagen. Ich möchte zunächst einmal merken, wo ich nicht authentisch bin. Uuuuiiih, ich denke doch, dass ich authentisch bin! Aber noch nicht immer…

Ich will mich zeigen. Ich will mich zumuten. Ich will mich näher kennen lernen.
Leute, das ist sehr wahrscheinlich der Beginn einer wunderbaren Liebesgeschichte.

Was wagt Ihr in 2012?
Los, verratet es mir 😉

So long!

Ysabelle

4 Reaktionen zu “Wie kannst Du es wagen…”

  1. ThomasG

    Cooler Jahresgruppentitel – den mopps ich mir für mich selbst… 😉

    Zum Thema „Das tut man nicht“ fällt mir die Frage ein: „Wenn ich frei – wirklich frei – wählen könnte in der Situation X, was würde ich dann jetzt gerne tun oder sagen?“ Und welche Bedürfnisse würde ich mir dann damit erfüllen? Das hilft, um mich zumindest auf die Spur zu bringen… Der innere Erzieher kommt dann meist von selbst um die Ecke und präsentiert dann die Einschränkungen in Form von allen möglichen angenommenen Konsequenzen.
    Und auch erfüllt sich ja nur Bedürfnisse…

    Und wenn ich beide Seiten liebevoll annehme kann aus einer Zumutung ein Beitragen werden. 🙂

  2. Ysabelle Wolfe

    Hallo, Thomas,

    Ich bin mir wirklich nicht sicher, wann ICH wirklich frei bin. Ich nehme mich eher so wahr, dass ich eigentlich dauernd durch irgendein Programm aus dem Limbischen System oder andere Mechanismen gesteuert bin – und sei es nur mein Atem, den ich nicht ansatzweise so lange anhalten kann wie ich möchte *grins*. Aber ich habe schon eine Vorstellung, was Du meinst. Ich schätze, es geht Dir um Bewusstheit, oder?

    So long

    Ysabelle

  3. ThomasG

    Bewusstheit und Erkennen, dass eine Wahlmöglichkeit da ist. 😉

  4. Stefanie R.

    Liebe Ysabelle!

    Dein Eintrag „Wie kannst du es wagen…“ hat mich sehr angesprochen! Mit dem was gerade in mir lebendig ist, wirklich ehrlich zu sein fällt mir immer noch sehr schwer. Ich halte mich mit Impulsen gerne zurück, da in meinem Kopf der Satz „Das macht man nicht!“ erscheint.
    Im letzten Jahr habe ich einiges neues über mich erfahren und bin innerlich gewachsen. Das was in mir lebendig ist kann ich dank der GFK inzwischen wesentlich besser spüren. Mein Wunsch für 2012 ist es jetzt den Mut zu finden dies auch in meinem Alltag zu leben und und es sichtbar zu machen. Da auch diese Sachen zum größten Teil auf meiner Liste der Dinge, mit dem Titel „Das tut man nicht!“ stehen, wird es wohl noch einige Verhandlungen mit meinem „privaten Sicherheitsdienst“ brauchen. 🙂
    Ein kleines Erfolgserlebnis habe ich allerdings sogar schon: Ich habe mich endlich getraut eine Person anzusprechen und ihr gesagt, dass ich mich mit ihr gerne mehr unterhalten würde und sie gefragt, ob wir uns nicht mal verabreden könnten. Und ein Ja bekommen. Juhu 🙂 Bin super motiviert noch mehr solcher Sachen zu wagen! Denn wirklich authentisch zu sein fühlt sich einfach klasse an!
    Das haben mir deine Worte auch wieder bewusst gemacht. Es gibt für mich keine bessere Strategie meine Bedürfnisse erfüllt zu bekommen, als mir zu erlauben einfach echt zu sein.

    Lieben Gruß
    Steffi

Einen Kommentar schreiben

Hinweise zur Kommentarabonnements und Hinweise zum Widerrufsrecht finden sich in der Datenschutzerklärung.

Copyright © 2024 by: Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren! • Template by: BlogPimp Lizenz: Creative Commons BY-NC-SA.