Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Ich bin zu blöd…

Hallo, Welt!
Am Freitag habe ich länger Zeit mit meiner Familie verbracht. Unter anderem gab es Gelegenheit, mit meinem Dad (88!) über sein IPad zu fachsimpeln. Die „Fehlermeldung“, die ihn so beunruhigt hatte, dass er sogar die Apple-Hotline anrief, war lediglich der Hinweis, dass es in der Nachbarschaft zwei drahtlose Netzwerke gibt, mit denen er sich verbinden könnte, wenn er denn das Passwort kennen würde… Wir haben gemeinsam Post auf Ordner sortiert und Bilder ins Fotoalbum gesichert und ich habe noch auf die aktuelle Software upgedatet. Alles in Ordnung, dachte ich.

Gestern schickte ich an die Eltern einige Fotos vom Ur-Enkel per Mail. Heute Vormittag dann ein aufgeregter Anruf meines Vaters. Ich konnte gar nicht herausbekommen, was eigentlich der Anlass war, denn ich hörte nur seine Schimpftirade auf ihn selbst: „Ich bin zu blöd… ich begreif das nicht… alles was du mir erklärt hast, hab ich schon wieder vergessen… am liebsten würde ich das Ding nie wieder anfassen… ich versteh das alles nicht… und dann sieben Mails… wie krieg ich denn die sieben weg? Ich will nicht, dass da sieben steht, aber ich bin ja zu blöd… jetzt hab ich alles falsch gemacht… ich fass das Ding nicht mehr an… das ist mir alles zu viel… wenn ich das doch sowieso nicht verstehe.. ist wohl doch Alzheimer… Wie blöd kann man sein… nun hast du mir das alles erklärt und ich hab es schon wieder vergessen… “

Oh, Freunde, wie geht es mir, wenn ich das höre?
Meine Gefühle sind
alarmiert
ärgerlich
bestürzt
durcheinander
entsetzt
frustriert
genervt
hilflos
sorgenvoll
ungeduldig
unwohl
wütend

und meine Bedürfnisse im Mangel sind
SELBSTRESPEKT!!! (für meinen Vater)
Verbindung
Unterstützung
Beitragen
Verstehen
Leichtigkeit (für meinen Vater)
Autonomie (für meinen Vater)

das sind so die ersten Bedürfnisse, die mich anspringen.
Ich kann es wirklich kaum ertragen, dass sich jemand so niedermacht.
Schon gestern Abend hatte ich ein Telefonat, in dem sich eine alte Freundin in Grund und Boden verdammte und meinte, sie hätte nicht gut für sich gesorgt, weil sie eine Dokumentation über das Mittelalter gesehen habe. Während das sonst für sie immer sehr erholsam, entspannend und lehrreich sei, sei dieses Mal etwas getriggert worden und sie habe vor Aufregung die ganze Nacht nicht geschlafen, mit ungewollten Konsequenzen.

Die Probleme meines Vaters mit der Technik lösten sich in Luft auf. Er war einfach nur unsicher und unter Druck, und da er so wenig über diese Funktionalitäten weiß und sie so selten benutzt, verstärkt das einfach nur seine Hilflosigkeit. Ich hoffe, dass er mich beim nächsten mal früher anruft und nicht erst, wenn er schon in heller Panik ist.

Die Selbstbeschimpfungen meiner Freundin konnten wir ins Giraffische übersetzen. Da gibt es einen Anteil, der sehr für ihren Schutz eintritt und sich auf dramatische Weise Gehör verschafft.

Nur für mich selber habe ich gerade keinen Rat. Warum stürzt es mich so ins Chaos, wenn ich andere Leute gegen sich selbst wüten höre? Warum macht mich das so hilflos und verzweifelt? Da fehlt mir doch irgendein Werkzeug, ein Hinweis, eine Idee, um mit der Verzweiflung anderer Leute besser zurechtzukommen und nicht selbst in Not zu geraten.

Irgendwelche Ideen für mich? Habt Ihr eigene Erfahrungen mit diesem Thema?
Für Hinweise und Anregungen nicht an die nächste Polizeidienststelle, sondern an mich wenden.

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So long!

Ysabelle

2 Reaktionen zu “Ich bin zu blöd…”

  1. Anja

    Liebe Ysabelle,
    ..was für eine wunderbare Art, mit GfK unterwegs zu sein – wirklich – die Art, wie Du Deine Beiträge schreibst, erfüllen derartig meine Bedürfnisse nach Leichtigkeit und Spass und gleichzeitig nach Verbindung (meine Mutter ist ebenfalls 88 Jahre alt und ihr Lieblingsspruch ist: „Ach weisst Du, Kind, ich bin ja technisch soooo unbegabt…..“) -ich danke Dir mal wieder für dieses Beispiel „aus dem Leben“…
    Um Dich zu unterstützen: meine Frau und ich haben über Deine Frage nachgedacht und wir denken folgendes: wir vermuten, dass Du gerne sicher sein möchtest, dass die Menschen, die Dir am Herzen liegen, ihre Probleme auch dann lösen können, wenn Du gerade mal nicht zur Stelle bist. Und dass Du Vertrauen brauchst, dass die anderen die Verantwortung für sich selbst übernehmen können und das auch tun. Und die Sicherheit dass gerade die Menschen, die Dir emotional sehr nahe sind, auch ohne Deine Unterstützung aus ihren wölfischen Selbstanschuldigungen herausfinden, weil sie ihre eigene Energie haben, die sie dabei unterstützt. Und dass Du selbst mit Dir selbst in Kontakt bleiben kannst in dem Vertrauen, dass die anderen ebenfalls mit sich selbst im Kontakt sind….oder so. Eventuell möglicherweise vielleicht könnte es auch damit zu tun haben, dass Du Dich gerne darauf verlassen möchtest, dass Du selbst Unterstützung von anderen bekommen kannst, wenn Du in Deinen eigenen Selbstanschuldigungen kreist…..????
    Kurz (um mal wieder Nada zu zitieren): You want to be sure that the world will turn on without you.
    Nicht dass ich es nicht kennen würd‘ ;-))))
    Umarmung Anja

  2. Ysabelle Wolfe

    Ach, Anja… (und Grüße unbekannterweise an Deine Frau!), da ist ein großes Ja in mir, wenn ich Deine Worte lese. Ja, ich wäre so gern sicher… aber sie schneiden sich dann eher von allem ab. Ich sehe meine Mutter noch in Tränen, weil sie auf dem Seniorenhandy nicht das „Menü“ fand. Mit dem Ergebnis, dass sie all die wunderbaren und bereichernden Dinge weglässt, nur weil sie sich nicht zutraut, etwas Neues zu lernen…
    Vielleicht möchte ich nicht Unterstützung, wenn ich selbst in der Selbstabwertungsschleife bin. Ich glaube, ich hätte gern Wärme, Gemeinschaft, Zugehörigkeit – ey, wer frisst hier die Bedürfnislisten auf meinem Schreibtisch? Vohin lag hier doch noch eine??? Geborgenheit. Also, mir ist es dann wichtig, weiterhin Teil der Gemeinschaft zu sein. In der Vergangenheit habe ich es so erlebt, dass man ausgestoßen wurde, wenn man Dinge falsch gemacht hat. Du gehörst nicht mehr dazu… Deshalb ist ja dieser innere Erzieher bei mir nicht einfach nur zu Gast, sondern festgeschweißt. Er soll sicher stellen, dass ich alles richtig mache und weiter dazu gehören darf… Und ich möchte mich nie wieder vorauseilend für mein Nicht-Wissen oder Nicht-Können entschuldigen wollen…
    und jetzt geh ich ganz geborgen ins Bett 😉
    So long!

    Ysabelle

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