Wolf im Tapetenhain
Hallo, Welt!
Gestern Abend bin ich nach einem Osterausflug zu GfK-Freunden wieder nach Hause gekommen, voller Vorfreude auf mein Wohnzimmer, das in der Zwischenzeit einen neuen Fußboden und neue Tapeten bekommen hat. Nun also endlich einräumen, putzen und genießen, dachte ich.
Doch so weit ist es noch nicht.
Was ist die Beobachtung? Der Fußboden sieht wunderbar aus und erfüllt mein Herz mit Freude.
Die Tapete löst sich an manchen Stellen, vor allem an den Nähten, und ist teilweise mit 3 cm Überlappung geklebt. Im Zimmer gibt es einen Balken in der Wand, der bisher frei war und auch frei bleiben sollte. Er ist nun entgegen der Absprache übertapeziert und die Struktur der Tapete ist durch den anderen Untergrund (Holz statt Wand) an dieser Stelle ganz anders. Ich spüre so deutlich in mir, dass ich so nicht in das Zimmer einziehen möchte und gleichzeitig habe ich Wertschätzung für den Handwerker, der mit Sicherheit sein Bestes gegeben hat.
Canis lupus ist völlig orientierungslos und beißt daher in bewährter Manier mich.
- Du hast den Handwerker nicht klar genug gebrieft.
- Du hast doch gemerkt, dass er sich mit dieser Art von Tapete nicht auskennt, wieso hast du ihm trotzdem den Auftrag gegeben?
- Du bist kleinlich.
- Du bist zu pingelig, hänge ein Bild drüber und vergiss es. Da stehen sowieso Schränke davor…
- Es steht dir nicht zu, da so eine Welle drum zu machen.
- Sei dankbar, dass du überhaupt Tapeten an der Wand hast.
Diesen Reigen könnte ich noch ein bisschen fortsetzen, und ich merke, dass diese Selbstbeschimpfungen dazu beitragen, dass ich nicht in die Auseinandersetzung mit dem Handwerker gehe. Es könnte ihn verärgern. Es wird ihn verärgern… Verdammt, deshalb habe ich ursprünglich mit GfK angefangen, um in solchen Situationen ein besseres Rüstzeug zu haben. Und jetzt merke ich wieder einmal, dass die Technik eben nur ein kleiner Teil ist. Es geht um die Haltung, und die Haltung beinhaltet erstaunlicherweise auch, dass ich für MEINS gehe, dass ich mich für MEINS einsetze. GfK ist nichts für Feiglinge, sagt Marshall. Schade. Wo ich doch gerade so ängstlich bin, eine Auseinandersetzung über die ordnungsgemäße Anbringung von Vliestapete zu führen. Ich habe einem Freund, der Maler gelernt hat, die Bilder geschickt mit der Frage: Bin ich zu pingelig, und er antwortete:
Entscheidend ist Deine Frage im Betreff dieser mail –
und die würde ich einfach mal mit „Ja, Nee.“ beantworten.
Wenn’s dir nicht zusagt, dann ist das so und wird seinen berechtigten Grund haben.
Und da kommen wir der Sache schon näher. Bin ich berechtigt? Was ist berechtigt? Reicht es, wenn ich sage, so gefällt es mir nicht? Vor allem, wenn ich doch weiß, dass sich der andere so viel Mühe gegeben hat? Darf ich das?
Ha, wenn ich mit jemandem eine Einzelarbeit zu diesem Thema machen würde, würde ich im Brustton der Überzeugung verkünden, natürlich darfst du das! Ich könnte ja einmal einen Blick darauf werfen, was genau das mit mir macht.
ich habe Angst, dass die Beziehung zu diesem wirklich hilfsbereiten und unterstützenden Handwerker leidet, wenn ich seine Arbeit kritisiere.
Also, hier geht es mal um
Verbindung
Authentizität (aber es gefällt mir doch so nun mal nicht…)
Echtheit
Beteiligung (der Balken sollte nicht übertapeziert werden! ich möchte dann wenigstens gefragt werden.)
Vertrauen
Wertschätzung
Sinnhaftigkeit und
Effizienz
würde ich mal so im ersten Wurf sagen. Hm. Klingt so, als bräuchte ich Empathie.
Hallo, ist da draußen jemand?
So long!
Ysabelle
Ja, hier ist jemand, der wieder mal total begeistert von der Praxisnähe Deiner Beiträge ist :-))
Tauche gerade aus einer mittelschweren GfK – Krise wieder auf und spüre ganz deutlich, wieviel Mut mir Dein Blog macht..wie schön, dass es anderen Menschen auch so geht!!!
Was kann ich empathiemäßig tun…ist das Problem noch aktuell??
LG Anja
Moin, Anja!
GfK-Krise – bedeutet das, du zweifelst an der Sinnhaftigkeit von diesem ganzen Kram? Sind deine Bedürfnisse nach Leichtigkeit und Lebendigkeit tangiert?
Bin neugierig!
Y.
..das kann ich Dir sagen.. ;-)))
…und Sinn…und Effizienz…und vor allem Vertrauen in mich selbst, dass es mir irgendwann mal gelingen mag, den Kram auch wirklich im entscheidenden Moment anzuwenden statt rückfallmässig im Streit rumzuschreien und stundenlang zu fordern, dass die andere mich doch jetzt verdammt nochmal zu verstehen hat…..Du weißt schon: das Übliche halt… :-/
..und dann die nächste Krise: „….ich hab keine Freunde…niemand, den ich anrufen könnte – und außerdem ist es jetzt sowieso zu spät…“.*grosses Wolfsheulen* :-)))
Ach, ich liebe Deinen Blog…freu mich so, dass ich Dich gefunden hab!!!
LG A.
Oh, Anja, solche Zweifel überkommen mich auch immer wieder, wenn es mir nicht gelungen ist, eine Situation giraffisch zu meistern. Eine mittlere zweistellige Zahl an Jahren in der Wolfswelt lässt sich eben nicht einfach auslöschen. Dazu kommt, dass wir ja auch immer noch wenige sind. Es gibt also wenig Gelegenheit aufzutanken oder einfach nur giraffisch zu leben. Oder Kennst Du eine Supermarkt-Kassiererin, die gewaltfrei sagt, „hier bitte nicht mehr“, oder eine Sprechstundenhilfe, die voller Empathie beteuert, „der nächste freie Termin ist heute in sechs Wochen…“?
Halte durch! 😉
Liebe Grüße
Ysabelle
Ach danke…Deine Worte tun mir gut und ermutigen mich…
Und sag mal ( genauso neugierig 😉 ): bedeutet Dein neuester Beitrag, dass Dein Tapetenproblem damit gelöst ist?? Oder hab ich da was falsch verstanden???
Liebe Grüße Anja
Hallo, Anja,
wir sind dabei, das Tapetenproblem zu lösen. Im Moment läuft die Heizung auf 25 Grad und der Heizlüfter pustet, um den Gipsputz trocken zu kriegen. Jedenfalls kommt heute noch Tapete an die Wand! Ich hänge noch immer ein bisschen in den Seilen, ob ich das Zimmer wirklich zweifarbig machen soll. Die zweite Farbe im ersten Anlauf war wunderbar Cappucchinofarben mit Milchschaum. Als ich gestern vor dem Regal stand, habe ich mich dagegen entschieden, weil es das Zimmer doch dunkler gemacht hat. Jetzt habe ich zwei immer noch relativ zarte Gelb/Sandtöne. Ist das eine gute Idee für die nächsten zehn Jahre? HILFE! GESCHMACKSPOLIZEI!
Liebe Grüße retour!
Ysabelle