Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Geht ein Mann zum Arzt…

Hallo, Welt!
Gestern habe ich einen Ausflug zu meinen Eltern gemacht. Mein Vater hatte einen Besprechungstermin im Krankenhaus und ich wollte die beiden dabei unterstützen.
In der Handtasche hatte ich dabei das Buch „Gewaltfreie Kommunikation im Gesundheitswesen: Eine Kultur des Mitgefühls schaffen“ von Melanie Sears. Eine gute Wahl, denn was sich da in der Kardiologie abspielte, wäre mit einer Portion GfK sicher leichter zu ertragen gewesen.
Zunächst die Beobachtung:
Der Termin war um 14 Uhr. Die Sekretärin des Professors brachte meine Eltern zu einem Warteraum und sagte um 14.15 Uhr, sie ginge jetzt den Professor suchen und sei gleich wieder da.
Um 15 Uhr habe ich in einem anderen Sekretariat geklopft, meine Beobachtung mitgeteilt und um Unterstützung gebeten.
Eine der Mitarbeiterinnen kam kurz danach ins Wartezimmer und sagte, sie bedaure die Wartezeit, der Professor sei jetzt auf dem Weg. Ich versuchte die Unzufriedenheit meiner Eltern in Gefühle und Bedürfnisse zu übersetzen, was mir nach meiner eigenen Einschätzung nicht so gut gelungen ist wie ich es gern gewollt hätte.
Um 15.10 Uhr kam die Sekretärin mit dem Professor zurück.
Um 15.15 Uhr nahmen wir in seinem Zimmer Platz. Die Besprechung dauerte etwa 20 Minuten.
Der Professor erläuterte am Modell eines Herzens, welche Operation man gern vornehmen wolle und ließ meinen Vater einen Beratungsbogen für die Voruntersuchung unterschreiben. Im Sekretariat bekam mein Vater dann einen Termin für diese transösophageale Echokardiografie am Montagmorgen um acht. Dieser Termin ergab sich aus den Hinweisen, dass mein Vater Diabetiker sei und er kein Feigling wäre und es jetzt auch gern schnell hinter sich bringen würde.

Ich habe mich nach meinem Nachhausekommen gestern Abend noch mal kurz bei meinen Eltern gemeldet (heil angekommen) und war überrascht von dem Schwall an Beschwerden, die mein Vater in Bezug auf diesen Arzttermin hatte.

  • er hat nicht mal meinen Puls gefühlt
  • er interessiert sich überhaupt nicht für mich als Patient. Dem bin ich scheißegal (mein Vater ist Privatpatient…)
  • er hat keine Ahnung
  • auf das, was mich wirklich belastet (ein stark juckendes Ekzem) ist er überhaupt nicht eingegangen
  • wie kann der mir einen Termin morgens um acht geben? Wie soll ich da denn hinkommen?
  • der hat ja gar nicht richtig mit mir geredet

Ich könnte sicher noch ein paar weitere Bemerkungen meines Vaters anfügen, insgesamt dauerten seine Ausführungen, warum er sich unwohl fühlt und aufgebracht ist, eine ganze Weile.

Empathie ist einfach mal Fresse halten…

Wir hatten nämlich heute Morgen noch zwei weitere Gespräche. Mit Frust und Verzweiflung nehme ich zur Kenntnis, dass ich versucht habe, die Aussagen meines Vaters mit meinen Beobachtungen zu entkräften. „Woher weißt du, dass der Arzt NICHT im OP war? Ich saß neben dir, und ich weiß es nicht. Du findest, dass er ein inkompetenter Arzt ist, weil er sich nicht um dein Ekzem gekümmert hat. Ich habe von ihm gehört, dass er als Kardiologe nicht kompetent ist, wenn es um Hautkrankheiten geht. Und so weiter und so fort…

Schließlich sagte mein Vater mit erhobener Stimme: Du brauchst hier nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen!

Was möchte ich aus diesem Vorfall lernen?

1. Es ist sauschwer, Beobachtung und Bewertung voneinander zu trennen.
2. Es ist hilfreich, vor einem Arztbesuch zu klären, was ich überhaupt will.
Im Nachhinein stellte sich heute Morgen durch ein EKG beim Hausarzt heraus, dass mein Vater gar kein Vorhofflimmern hat. es wäre also sinnvoll gewesen, dem Kardiologen zu sagen: Diese Diagnose des Neurologen ist (noch) nicht abgeklärt. Wie wollen wir das tun, bevor ich mich einem Eingriff unterziehe?
3. Empathie heißt, mein Tonband-Gerät ist auf Empfang. Und es ist kein Tonbandgerät mit einer Kommentar-Funktion. Wenn ich beim Aufnehmen von Inhalten gleichzeitig überlege, das ich dazu sagen kann oder soll, um den anderen zu entkräften, zu korrigieren, zu trösten oder zu beraten, ist es keine Empathie. Könnte sein, dass es auch etwas Schönes ist. Aber Empathie ist es nicht.

Wie sagt Marshall so nett?!

Die ersten 40 Jahre sind am schwersten.

So long!
Ysabelle

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