Klare Linie
„Wir sind das in sein eigenes Bild eingesperrte Märchen. Wir kommen und gehen, ohne Klarheit zu erlangen.“ – Jostein Gaarder, Maya
Wer eine klare Linie vertritt, gilt als verlässlich. Selbst wenn die Haltung anderen nicht zum Vorteil diente, werden Menschen, die an ihrer Überzeugung festhalten, für ihre Prinzipientreue oft hoch geschätzt. Einer, der sich viel Achtung erworben hatte, wird aber gern mit einem ganz anderen Satz zitiert: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern“, soll Konrad Adenauer gesagt haben. Die Gewaltfreie Kommunikation lädt geradezu dazu ein, sich immer wieder neu zu entscheiden und Entscheidungen immer wieder unter dem Blickwinkel zu treffen: Was ist jetzt gerade lebendig in mir?
Die Partnerschaft ist ausgereizt, die Trennung beschlossene Sache, doch plötzlich stehen sich zwei Menschen gegenüber, die sich nicht gehen lassen können. Hilft hier Prinzipientreue? Was vorbei ist, ist vorbei? Oder gibt es noch eine Chance auf einen Neubeginn? „Ich verliere doch im Freundeskreis mein Gesicht, wenn ich mich offensichtlich nicht entscheiden kann“, sagt ein Freund. Und ein anderer fürchtet: Wenn ich jetzt gegenüber meinem Chef wieder einknicke, bin ich doch völlig unglaubwürdig. Es muss doch irgendwann mal Klarheit sein…
Die Klarheit kommt, wenn die Zeit reif ist. Die Klarheit kommt, wenn alle anderen Bedürfnisse angemessen berücksichtigt sind. Solange verschiedene Bedürfnisse in uns lebendig sind, ist es schwierig, zur Klarheit zu finden. Wenn es uns gelingt, allen Bedürfnissen unsere Aufmerksamkeit zu schenken, wird die Klarheit sich einstellen.
Wenn wir noch keine Klarheit haben, ist das kein Zeichen von Schwäche oder Unfähigkeit. Es heißt einfach nur, dass wir noch nicht alle unsere Bedürfnisse in Einklang gebracht haben.
Heute will ich gelassen bleiben, auch wenn ich noch keine Klarheit gefunden habe.