Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Eine Bitte… aus meinem Mund…

Hallo, Welt!
Wieder einmal geht es um die Matrix und mein persönliches Wachstum in Gfk. Bei den Mentoring- und Assessment-Tagen hatte ich mich dazu bekannt, dass das „mich zumuten“, das Aussprechen einer Bitte, für mich noch immer eine schwere Herausforderung ist. Ich habe schon mehrere Situationen erlebt, wo ich in Giraffisch um etwas gebeten wurde (hättest du Lust, mich zu diesem Vortrag einzuladen? Ich würde ihn gern hören, aber kann es mir nicht leisten…), aber selber eine Bitte zu formulieren ist noch immer ein heikles Thema für mich.

In der Matrix heißt es dazu:
Bitten-Bewusstsein & Bitten:
Bereitschaft, um das, was man will
zu bitten, und dabei für jede
Antwort offen zu sein, nicht fixiert
auf ein bestimmtes Ergebnis.

Ungelernt:
(kein Wissen über die Fähigkeit. Unbewusst inkompetent)
Stellt Forderungen, ist nicht in der Lage
oder willens danach zu fragen was er/sie
will.

Erwacht
Die Fähigkeit wird bewusst wahrgenommen.
Bewusst inkompetent
Sich bewusst werden dass durch
Fixierungen, Forderungen und die
Unfähigkeit um das zu bitten, was wir
möchten, unsere Bedürfnisse nicht
erkennbar werden.

Kompetent
Die Fähigkeit kann mit bewusstem
Bemühen angewendet werden.
Bewusst kompetent.
Generell bereit und fähig klare Bitten zu
äußern, bemüht, bei Erkennen einer
Fixierung auf eine bestimmte Strategie,
sich von Verhärtung hinzu Offenheit
und Kreativität zu bewegen

Integriert
Natürliche Anwendung der Fähigkeit, mit
Leichtigkeit und im Fluss.
Unbewusst kompetent.
Bereitschaft danach zu fragen was man
möchte. Bleibt präsent, zeigt Kreativität
und Mitgefühl, auch wenn die Antwort
„nein“ lautet.

Also: Was ich gut hinkriege ist gar nicht zu fragen.
Was ich auch gut hinkriege, ist keine Forderung zu stellen. Jedenfalls weiß ich, dass in meinem Herzen keine Forderung ist. Ich nehme mich außerdem so wahr, dass ich gut ein Nein hören kann. Ein Nein ist ja nur ein Nein zu einer Strategie, nicht aber zu unserer Verbindung…
Die einzige Schwierigkeit ist, auf die Idee zu kommen, jemand anderes zu bitten. Die Idee, dass eine Bitte meinerseits ein Geschenk sein könnte, erscheint mir noch immer ziemlich – fremd.

Heute nun hatte ich eine Verabredung mit einer GfK-Freundin zum Mittagessen. Sie reagiert allergisch auf Katzen, deshalb war klar, wir würden auf der Terrasse sitzen. Ich wickelte die Gartenmöbel aus der Folie, wischte den Tisch ab und kurbelte den Ampelschirm auf. Äh – das sah sonst aber anders aus… Fast wie ein senkrechtes Segel ragte der Schirm auf die Terrasse. Ok, wenn jetzt gerade von dieser Seite Sonne käme, würde er davor schützen. Aber sonst bildete er doch immer ein behagliches Dach über Tisch und Stühlen. Wo war der richtige Hebel, der richtige Winkel, der Knopf, den ich dafür drücken musste?
nachdem ich zehn Minuten frustriert und verwirrt an diesem Schirm rumgezogen und gekurbelt hatte, gab ich auf. Ich schickte eine SMS an einen Freund, ob er noch in der Nähe sei und mal nach dem Rechten gucken könne? Keine Reaktion. Also war er wohl schon unterwegs in Richtung Rheinland. Dann grübelte ich, wen ich sonst noch fragen könnte. Mir fiel partout niemand ein.
Inzwischen war es halb 12 und für das gemeinsame Essen mit der Freundin fehlten noch ein paar Zutaten. Also schnappte ich mir Tasche und Portemonnaie und ging zum nahen Wochenmarkt. An meinem Stamm-Gemüsestand war Hochbetrieb. Zwei Meter neben mir stand ein Mann, der auf mich einen freundlichen und kompetenten Eindruck machte. Er war schon ein bisschen älter, ich schätze, über 60, trug Jeans und ein knallweißes gebügeltes T-Shirt. „Der…“ dachte ich bei mir. Dann gab es einen inneren Ringkampf, aus dem die Giraffe als klare Siegerin hervorging:
„Entschuldigen Sie bitte, Sie sehen so freundlich und kompetent aus – da trau ich mich mal was. Ich wohne nur wenige Schritte von hier entfernt und kriege meinen Ampelschirm nicht richtig ausgefahren. Könnten Sie sich vorstellen, mir dabei zu helfen?“
Der Mann war ganz offensichtlich baff.
Dann sagte er: Ja, kann ich machen.
Ich schnaufte und sagte „boah, da hab ich mich jetzt richtig was getraut. Ich bin Ihnen total dankbar, denn ich habe echt keine Idee mehr, woran ich drücken oder kurbeln muss.“
Schweigend gingen wir die paar Meter zu meiner Haustür, in Nullkommanichts hatte der Fremde die Stange weiter aus dem Fuß geschoben und schwups, schon kam der Schirm in die Position, in der ich ihn haben wollte. Das Ganze hatte bestimmt keine zehn Minuten gedauert, dann gingen wir zurück auf den Markt. Ich habe es mir verkniffen, dem Mann Geld anzubieten. Aber ich habe noch einmal formuliert, wie sehr er mein Leben bereichert hat mit seinem freundlichen und unkomplizierten Zugreifen. Dabei dachte ich an eine Geschichte, die ich vor ein paar Tagen gelesen habe.
Darin bat ein Mann um zwei Flugtickets:

Ich rief eine Fluggesellschaft an, von der ich wusste, dass sie gerade sehr gut lief, North East Airlines. Die Frau am Telefon stellte sich als Sekretärin des Präsidenten heraus, also sagte ich ihr, was ich benötigte. Sie verband mich direkt mit dem Präsidenten, Steve Quinto. Ich erklärte ihm, dass ich gerade mit den Leuten der Konferenz in San Diego gesprochen hatte und dass sie uns Gratiskarten für die Konferenz gegeben hätten, dass wir aber nicht wussten, wie wir dort hinkommen sollten, und ob er uns bitte zwei Rundreisetickets von Miami nach San Diego spendieren könnte. Er sagt: „Natürlich tue ich das“, genau so. Es ging so schnell, und das nächste, was er sagte, warf mich wirklich um. Er sagte: „Danke, dass sie gefragt haben.“
Ich sagte: „Wie bitte?“
Er sagte: „Ich habe nicht oft Gelegenheit, das Beste für die Welt zu tun, es sei denn, jemand bitte darum. Das Beste, was ich je tun kann, ist, von mir selbst etwas zu geben, und Sie haben mich gebeten, das zu tun. Das ist eine schöne Gelegenheit, und ich möchte Ihnen für diese Gelegenheit danken.“

Ok, so weit ist es nicht gekommen. Aber ich möchte feiern, dass ich es geschafft habe, um das zu bitten, was ich wirklich brauchte. Sogar jemand völlig Fremdes. Und ich habe es bekommen. Ich hätte auch ein Nein hören können. Aber ich habe es bekommen und ich bin glücklich und dankbar. Boah, ey, was für ein Prozess!

So long!

Ysabelle

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