Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Das Schweigen der Wölfe

Hallo, Welt!
Allmählich kann ich mich für die Matrix begeistern. Sie scheint für all meine Lebenssituationen ein Lernfeld zu benennen.
Konkret habe ich damit zu tun, dass es zu einigen Menschen, denen ich mich nahe fühle, keine Verbindung gibt. Das erlebe ich gerade als überwältigend schmerzhaft und keineswegs nur als das, was es ist, nämlich keine Verbindung. Vielleicht passt dieses Lernfeld zu meiner aktuellen Lage:

Bewusstsein der Ver-Antwortung:
Freie Wahl der Antwort auf das, was
das Leben bringt, unter Akzeptanz
des eigenen Anteils daran. Keine
Übernahme der Anteile anderer und
anerkennen, dass eigene
Handlungen andere beeinflussen.

Ungelernt
Kein Wissen über die Fähigkeit.
Unbewusst Inkompetent

Opfer-Bewusstsein: Mangel an Klarheit
daruüber, wer wofuür verantwortlich ist;
empfindet, dass die eigenen
Erfahrungen und Handlungen von
anderen oder äußeren Umständen
verursacht werden können (zB: ich löse
deine Empfindungen aus, du meine,
oder etwas anderes hat deine und meine
Empfindungen ausgelöst)

Erwacht
Die Fähigkeit wird bewusst wahrgenommen.
Bewusst inkompetent

Erkennen des Opfer-Bewusstseins und
dessen Auswirkungen; Erleichterung
und Freiheit im Bewusstwerden der
eigenen Macht; trotzdem immer noch
verhaftet in Verhaltensmustern von
Schuld und Scham; diagnostiziert
andere als blockiert oder beschuldigend
und versucht sie zu erziehen um sich
selbst zu schützen.

Kompetent
Die Fähigkeit kann mit bewusstem
Bemühen angewendet werden.
Bewusst kompetent.

Fähig Verantwortung zu übernehmen
für eigene Erfahrungen und
Wahlmöglichkeiten, wenn
Beschuldigungen, Rechtfertigungen
und Bagatellisierungen bewusst werden
– ohne sich für die Reaktionen und
Antworten anderer verantwortlich zu
fühlen.

Integriert
Natürliche Anwendung der Fähigkeit, mit
Leichtigkeit und im Fluss.
Unbewusst kompetent.

Beständig in der Lage mit Gleichmut zu
begegnen. Geerdet und zentriert als
Gestalter des eigenen Lebens. Klarheit
über die Eigenverantwortung anderer
für ihr Leben.

Tja. Vor zwei Wochen hatte ich noch gedacht, hey, mal wenigstens kompetent. Wenn nicht sogar schon integriert. Aber offensichtlich gibt es etwas im Außen, was mich fast wieder ins Ungelernte stürzt. Und das ist das Schweigen der Wölfe. Eigentlich dachte ich immer von mir, ich hätte Angst vor Auseinandersetzung. Das glaube ich heute nicht mehr. Eine der schönsten Auseinandersetzungen meines Lebens hatte ich mit der Leiterin der Übungsgruppe, in der ich als Trainerin Input gebe. Ganz wunderbar haben wir uns über Wochen heftigst aneinander gerieben. Und von ihr hörte ich kürzlich den Satz: Ich bin es wert, dass man sich mit mir auseinandersetzt!
Heute denke ich, dass eine Auseinandersetzung sehr viel mit Respekt zu tun hat. Es geht um deine Position und um meine. Und ich möchte hören/wissen, was bei dir los ist, was dir fehlt oder wovon du gerade genug hast. Und ich wünsche mir, dass du mich hörst. Es geht um Verstehen und um Verbindung. Aber wenn es keine Auseinandersetzung gibt, wenn es nur Schweigen und Kontaktlosigkeit gibt, dann fühlt sich das für mich absolut schrecklich an.
Ich vermute, dass auch das wieder ein uraltes Ding ist. Auf dem Weg zum Einkaufen habe ich überlegt, woher ich das kenne. Wenn ich es dingfest machen könnte, bräuchte es doch nur eine kleine Glaubenssätze-Arbeit und alles ist gut… Aber es kommen nur Erinnerungsfetzen, die mit einer gehörigen Portion Scham ausgeliefert werden. Als ich klein war, litt meine Mutter an Tuberkulose. So war sie über längere Zeit weit weg von zu Hause in einem Spezialkrankenhaus untergebracht. Es gab damals kein Auto in unserer Familie und Geld war auch knapp. So habe ich sie nur alle Vierteljahr gesehen. Wenn ich in der Zwischenzeit etwas ausgefressen hatte, schrieben meine Großeltern die „Sünde“ mit Kopierstift auf einen Aktendeckel, der im Küchenschrank aufbewahrt wurde. Für Mutti. Oder eine andere Situation: Ich erinnere mich mit Grausen an mein Flehen, „sei wieder lieb mit mir“, und bin mir nicht sicher, ob die Adressatin meine Großmutter oder meine Mutter war. Die Antwort war jedenfalls Schweigen. Und ich weiß, dass ich als junge Frau mit meinem Kind das gleiche gemacht habe. Ich saß schweigend gegen die Kinderzimmertür gelehnt und schaute seinen Wutausbrüchen zu. Ich hielt mich für stark und tapfer, dass ich das ausgehalten habe, denn ich hatte irgendwo gelesen, dass Kinder Schaden nehmen, wenn man weggeht. Also blieb ich körperlich anwesend, aber ich ging aus der Verbindung. ich kann mich nicht entsinnen, mal gesagt zu haben, wie es MIR in solchen Situationen ging. Nur Du-Botschaften, die waren immer schnell präsent.

So richtig dockt das noch nicht an. Vielleicht ist die Erinnerung noch älter. Ich wurde ja nach der Uhr versorgt. Alle vier Stunden. meine Mutter erzählte, es sei für sie ganz schwer gewesen, dass meine Großmutter darauf bestanden hätte, mich weinen zu lassen. Das Kind kommt alle vier Stunden… Das hielt man damals für eine gute Sache. Das Kind sollte nicht „verwöhnt“ werden. Vielleicht ist deshalb Schweigen, Null-Resonanz für mich bis heute so bedrohlich. Denn wenn es keine Resonanz gibt, keine Antwort, keine Verbindung, dann ist das für ein kleines Kind ein Todesurteil. Nicht jedoch für einen Menschen von fast 55, möchte ich mir ins Gedächtnis rufen.

Ich kann mir also meiner Wahlmöglichkeiten bewusst werden. Offensichtlich brauche ich in solchen Situationen Selbsteinfühlung. Und dann gibt es mindestens zwei Möglichkeiten: Selbstausdruck und Empathie. Wie geht es mir, wenn du (mutmaßlich voller Groll) aus dem Kontakt gehst? Oder: Bist du genervt, weil dir … wichtig ist? Und dann möchte ich mich daran erinnern, dass vielleicht der Kontakt zu dieser einen Person meine Lieblingsstrategie ist. Aber es ist nicht meine einzige. Kill your Darlings, möchte ich sagen.

Also: Es gibt Verbindung für mich, auch wenn die Wölfe gerade schweigen. Ich habe einen Haufen Leute im Telefonbuch, die sich total freuen, wenn ich sie anrufe. Ich kann Gemeinschaft, Wärme, Leichtigkeit, Begleitung beim Golfen, Austausch, eine Umarmung, ja einfach alles haben. Wie war doch gleich das aktuelle Lernziel?!

Fähig Verantwortung zu übernehmen
für eigene Erfahrungen und
Wahlmöglichkeiten, wenn
Beschuldigungen, Rechtfertigungen
und Bagatellisierungen bewusst werden
– ohne sich für die Reaktionen und
Antworten anderer verantwortlich zu
fühlen.

Na, dem sind wir doch schon wieder ein ganzes Stück näher gekommen.
So long!

Ysabelle

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