Wenn die wüssten…
Hallo, Welt!
Gestern Abend hatte ich ein nettes Skype-Gespräch. Na ja, das Gespräch war nett, Skype weniger. Ich habe das Update auf die neue Version raufgespielt und jetzt geht gar nichts mehr… Aber zum Glück konnten wir auf Facetime ausweichen.
Mein Gesprächspartner erzählte von einer Situation, in der er nicht erkannt hatte, welche Bedürfnisse bei seinem Gegenüber lebendig waren. Danach gab es ein intensives Intermezzo mit den Grauohren: „Und du willst GfK-Trainer sein, wenn du so wenig auf andere Leute eingehen kannst?“
Eine solche Begegnung mit einem Wolf hatte ich auch eben. Ich bummele heute in den Tag, denn meine Nacht war arg kurz. Ich entdeckte auf Arte in der Mediathek den Film „Jane Austen regrets“, und der hielt mich bis nachts um zwei im Bann. Prompt kommentierte mein innerer Erzieher bissig: Und du willst als freie Trainerin arbeiten, wenn du morgens den Arsch nicht hochkriegst? Wenn die Leute wüssten, dass du den ganzen Morgen nichts getan hast! Faul! Verantwortungslos!
Einen charmanten oder gar liebevollen Ton hat er nicht gerade am Leib.
Im Rahmen meines GfK-Lernprozesses habe ich verstanden, dass diese Erzieher/Stimmen nur mein Bestes wollen. Sie hatten einfach nur keine giraffische Sprecherziehung. Ich merke aber auch, dass diese Anteile Angst erzeugenden Druck und Beschämung einsetzen, um mich zu dem zu bewegen, was sie für mein Bestes halten.
Beschämung – damit meine ich: Durch diese fortlaufende Erziehung wird immer wieder Scham ausgelöst. Mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin nicht gut genug. Die Stimmen setzen eigentlich nur das fort, was ich aus meiner Ursprungsfamilie kenne.
Mitte der 90er Jahre begann meine berufliche Karriere Fahrt aufzunehmen. Bei jeder Beförderungsstufe zitterte ich innerlich vor Angst. Irgendwann mussten die da oben doch mal merken, dass ich gar keine Ahnung hatte! Über mehrere Jahre dachte ich jedes Mal, wenn das Telefon klingelte und ich sah, dass mein Chef dran war: jetzt werde ich gekündigt, weil die gemerkt haben, dass ich gar nichts kann… Irgendwann bekam ich ein Zwischenzeugnis und der Kollege, der die Ergebnisse mit mir besprach, gab mir konkrete Rückmeldungen zu einzelnen Punkten und hatte auch für mich nachvollziehbare Beobachtungen. Danach konnte ich mich ein bisschen entspannen. Anscheinend hatte ich doch etwas auf dem Kasten, auch wenn meine Antreiber meinten, es sei nicht genug.
Also: Das Gegengift ist zum einen die Beobachtung.
Und zum zweiten hilft Einfühlung. Worum geht es dir gerade? Möchtest du darauf vertrauen können, dass ich mich selbsttätig und umfassend zeitnah um meine Angelegenheiten kümmere? Bist du in Sorge, dass mir wichtige Angelegenheiten oder Termine durch die Lappen gehen? Ja. Ja. Ja….
Ok. Heute bummeln wir gemeinsam in den Tag und hauen gleich einen Schlag rein (stammt dieses Bild von der Tätigkeit eines Holzfällers?). Dann brauchen wir keine Angst zu haben, dass irgendjemand urteilt, ich sei faul, verantwortungslos und unstrukturiert. Lang lebe Marshall Rosenberg!
So long!
Ysabelle