Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Der schießt auf mein Tor!

Hallo, Welt!

Ein Wort, das mir in den vergangenen Jahren sehr ans Herz gewachsen ist, lautet „Ichbezogenheit“. Und damit meine ich etwas ganz anderes als Egoismus. Jemand, den wir mit dem Etikett „Egoist“ bedenken, wird von Wikipedia wie folgt beschrieben:

Egoismus (griechisch /lateinisch ego ‚ich‘) bedeutet „Eigennützigkeit“. Das Duden-Fremdwörterbuch beschreibt Egoismus als „Ich-Bezogenheit“, „Ich-Sucht“, „Selbstsucht“, „Eigenliebe“.
Egoismen (Plural) sind demnach Handlungsweisen, bei denen einzig der Handelnde selbst die Handlungsmaxime bestimmt. Dabei haben diese Handlungen zumeist uneingeschränkt den eigenen Vorteil des Handelnden zum Zweck.

Mir geht es darum, dass jemand/ich die Handlungen, Unterlassungen oder Aussagen anderer Menschen mit sich, mit seinem eigenen Verhalten oder seinen eigenen Werten in Beziehung setzt. Stets, immer, ständig. Gabriel ruft mich nicht an, weil er sich über mich geärgert hat.
In den letzten Tagen prasselten eine Fülle von Beispielen auf mich herab, ein guter Grund, dazu ein paar Worte zu verlieren.

In einer Erziehung, in der das Kind dafür verantwortlich gemacht wird, das Mutti traurig ist und Papa ärgerlich, fühlt sich das Kind auf ungesunde Weise als Nabel der Welt. Es ist allmächtig, denn es kann die Gefühle von Mama und Papa beeinflussen. Aber mehr als das, es ist auch dafür verantwortlich… Was für ein leise träufelndes Gift!

Im Zusammenhang mit dem Trauerfall in unserer Familie hörte ich von einem Mann eine kleine Geschichte.
Sein Schwiegersohn hatte ein Gespräch mit Dritten über eine Erb-Auseinandersetzung. In diesem Gespräch sagte er zu der dritten Person: „Aber ein Anrecht auf den Pflichtteil hast du doch immer!“ Diese Aussage hat den Mann so sehr erschreckt, dass er fortan den Kontakt mit seinem Schwiegersohn auf ein Minimum beschränkte. Seine Befürchtung war, dass er nach dem Tod seiner Ehefrau das gemeinsam bewohnte Häuschen würde verkaufen müssen, um Tochter und Schwiegersohn auszuzahlen. Angesprochen hat er seine Angst den beiden gegenüber nicht. Allein, das Verhältnis war zerrüttet.

In einem Gespräch zwischen Mutter und Tochter hörte ich dieser Tage, wie die Tochter sich beschwerte: „Immer kritisierst du an mir rum! Ich komme gut allein klar, ich bin nicht mehr 17, sondern 37!“ Die Mutter war völlig konsterniert. Sie sah ihr Verhalten keineswegs als Kritik. „Ich habe große Hochachtung vor dem, was du alles auf die Beine stellst. Aber ich bin auch in Sorge, weil du dir keine Pause gönnst! Wie kann ich meine Sorge denn ausdrücken, ohne dass sie bei dir als Kritik ankommt?“

Und in einem dritten Fall ging es um ein Paar, das eine Verabredung fürs Kino miteinander hatte. Als sie ihn sehr gehetzt von der Arbeit abholte und berichtete, was ihr alles am Tag widerfahren war und welche Erledigungen noch zu machen waren, „hörte“ er, aufgrund der Belastung könne der geplante Kinoabend nicht stattfinden. Als er dann voller Schmerz zurückfragte: „Heißt das, wir gehen nicht ins Kino?“, war sie wiederum total enttäuscht und frustriert, dass ihr Committment, den Abend zusammen zu verbringen, anscheinend in Frage gestellt wurde. Wo sie doch gerade so große Anstrengungen unternommen hatte, damit sie gemeinsam ein paar unbeschwerte Stunden verbringen konnten…

Ich habe noch ein eigenes Beispiel beizusteuern.
Gestern war ich bei meiner Mutter. Mit dem Mann vom Beerdigungsinstitut haben wir die Details für die Trauerfeier festgelegt. Meine Mutter wird ja nach einer schweren Erkrankung per Sonde ernährt, weil sie nicht mehr kauen und nur mühsam schlucken kann. Da ich mir Sorgen mache, dass sie in diesen Tagen völlig vom Fleisch fällt, brachte ich ihr einen frischen Green Smoothie mit. Ihre Reaktion schockte mich. Da kam ein Wortschwall, wie widerlich diese grüne Pampe sei, und wenn sie nur auf die Flasche schaue, müsse sie schon kotzen…
Uff. Das konnte ich schwer hören. Es dauerte mehrere Stunden, bis es mir gelang, den Stachel der Abwertung meiner Person und meines schönen Bemühens aus diesen Worten zu entfernen und sie als das zu hören, was sie sind: Mein Gegenüber sagt einfach nur: Ich bin im Schmerz, denn ich habe ein brennendes unerfülltes Bedürfnis. Und DAS hat gerade mal nichts mit mir zu tun.

in unserem Leben begegnen uns immer wieder Menschen, die mit ihrem Verhalten oder ihren Aussagen genau auf unsere wunden Stellen treffen. Sagt jemand etwas, das uns nicht tangiert, bleiben wir ganz gelassen. Trifft uns aber eine Aussage, ist das ein Indiz dafür, dass wir, um mal ins Fußballer-Deutsch zu verfallen, unseren Kasten nicht sauber halten. Louise Hay beschreibt es in einem ihrer Bücher so nett: Wir würden uns mit Sicherheit nicht angesprochen fühlen, wenn jemand ständig zu uns sagen würde, „du bist eine lila Kuh, du bist eine lila Kuh.“. Aber wenn jemand sagt, „du bist schon wieder zu spät“, gehen wir ab wie „Schmidts Katze“. Wir hören, wir hätten etwas falsch gemacht, bei uns kommt nur Tadel und Unmut an. Wir beziehen die Reaktion unseres Gegenübers auf uns. Mit mir ist was falsch, weil ich meiner Mutter einen Green Smoothie mitgebracht habe… Nein, Freunde der Gewaltfreien Kommunikation! Meine Mutter hat lediglich zum Ausdruck gebracht, dass sie ein brennendes unerfülltes Bedürfnis hat. Und es gibt keine Veranlassung, daraus einen Schuh zu machen und ihn mir anzuziehen. Es reicht vollkommen, wenn ich die Dornenranke sanft von meinem Pulli pflücke und mir ins Bewusstsein rufe: Meine Ich-Bezogenheit wird in den Hintergrund treten. Ihre Aussage hat nichts mit mir zu tun. Mein Gegenüber teilt mir lediglich etwas über seinen Seelenzustand mit. Kein Grund, das auf dem Kritikohr zu hören! Stattdessen kann ich mich auf zwei Dinge besinnen: Zum einen kann ich mich fragen: Was löst das bei mir aus, wenn ich das höre? Und zum zweiten: Was ist in meinem Gegenüber lebendig, wenn er auf diese Weise reagiert? Alles kein Grund, auf den anderen einzuschlagen. Ich suche die Verbindung mit mir (hey, warum war das ein „Autsch“?), und danach bin ich frei, die Verbindung zum anderen herzustellen. Kein Ball im Tor, just am Seitenpfosten vorbei…

So long!

Ysabelle

Eine Reaktion zu “Der schießt auf mein Tor!”

  1. Carina

    Hi Ysabelle,
    Ich freu mich wieder sehr über Deine Sätze bzw finde mich sehr treffend darin wieder. Gerade in Paarbeziehungen bräuchte ich noch viel leichter diese gesunde Anerkennung, dass des Anderen Ausdruck seiner Bedürfnisse nicht Angriff oder Kritik an mir bedeuten braucht/soll/wird !?
    Dein „lila Kuh“- Beispiel ist mir sehr eingängig und ich möchte es gerne übernehmen.
    Welche lebensbereichernde „Erfindung“ Dein Blog ist merke ich an meiner Freude und Dankbarkeit für jede Lese-Gelegenheit,
    Herzlich Carina

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