Von Schuld, Scham, Abwehr und roten Rosen
Hallo, Welt!
Zunächst ein paar Kurznachrichten:
Der Vortrag scheint gut gelungen. Ich jedenfalls bin mit mir zufrieden. Zwei (befreundete) Menschen haben mich angerufen und warme Rückmeldungen gegeben. Drei andere Menschen haben mir im Anschluss an den Vortrag ein Feedback gegeben, das sehr wohlwollend und zugewandt war. Eine weitere Rückmeldung besagte, dass ich Sätze anscheinend häufiger mit „jaaa“, beende, was von dem Empfänger als irritierend wahrgenommen wurde. Ich habe unglaubliche 1.45 h geredet, es gab kleinere technische Pannen (eine stellte sich als Vorteil heraus) und mein Eindruck war, dass alle einigermaßen zufrieden waren.
Meine Work-Life-Balance ist nach wie vor krass un-balanced. Auch heute wird es keine Pause geben, um 11.30 Uhr gehe ich in eine Konferenz, die meiner Einschätzung nach mindestens bis 16 Uhr dauern wird. Und dann wartet noch Papierkram und Unterrichtsvorbereitung auf mich. Nun aber zum heutigen Thema.
Freitag war das vierte Treffen mit meinen Medianten. Ich hatte mir im Vorfeld Supervision und Empathie bei Ute Kleindienst geholt und das war sehr hilfreich. Außerdem habe ich mir noch einmal meine Aufzeichnungen und Unterlagen zum Thema „Perspektivwechsel“ angesehen und dieses Tool dann auch angewendet.
Dieses vierte Treffen bereicherte mich um eine Erfahrung, die mich zutiefst erschütterte. Eine Person beschrieb, wie sie die Situation vor vielen Jahren wahrgenommen hat. Mir erschien die Schilderung so verständlich, dass ich keine Veranlassung zum Übersetzen in Gefühle und Bedürfnisse sah. Doch bei der anderen Person kam etwas ganz anderes an: „Du tust so, als ob ich an allem schuld wäre.“ Ich war fassungslos. In der Aussage hatte ich wirklich keinen Anflug von Schuldzuweisungen gehört. „So war es damals bei mir“ kam bei mir als Botschaft an. Die zweite Person geriet richtig in Not. Es wurde laut, wir haben sogar kurz unterbrochen. Gegen Ende habe ich dann noch mal eine Person gedoppelt („darf ich einmal neben Sie treten und mit meinen Worten formulieren, was ich gehört habe, und Sie korrigieren mich, wenn ich etwas falsch verstanden habe?“), und im Doppeln liefen mir wirklich die Tränen. Die gedoppelte Person bestätigte meine Aussage (schnief… das ist starker Tobak… ja, genau so meine ich es…). Und die zweite Person war fassungslos über das, was sie da hörte. „Wenn das so bei dir ankommt… das meine ich doch gar nicht…“
Nach den zwei Stunden war ich reif für die Couch. Ich bin einfach zutiefst entsetzt, wie unser Kommunikationssystem funktioniert. Und je älter wir werden, desto weniger können wir hören, dass der andere sagt: Ich habe einen tiefen Schmerz, weil bei mir wichtige Bedürfnisse unerfüllt sind!“ So jedenfalls scheint es mir heute.
Wir haben keine Übung darin, die Worte des anderen als „Äußerung zu mir selbst“ zu hören. Viel zu oft sehen wir uns darin verwickelt und verstrickt. Wenn du in dieser Situation, an der ich beteiligt war, so gefühlt hast, dann bin entweder ich schuld (und das löst Scham aus!), oder mit dir muss etwas nicht stimmen. Und da haben wir sie, die Abwehr. Wir sind nicht darauf trainiert, dem anderem wirklich zuzuhören. Wie geht es dir und was brauchst du? Alles ist verwoben, alles hat auf ungute, klebrige Weise etwas mit uns zu tun.
Dieses Muster, das mir in der Mediation so deutlich entgegengesprungen ist, kenne ich auch aus anderen Situationen. Ein Kollege hat gerade seine Gehaltszahlung bekommen und stellte anhand des Nettobetrages fest, dass da etwas nicht stimmen konnte. Sofort kamen Urteile wie „respektlos, unzuverlässig, leere Versprechen“. Ich konnte den tiefen Schmerz hören und sein Bedürfnis nach Vertrauen (in den neuen Arbeitgeber), Respekt und Wertschätzung. Aber sofort stand im Raum, der Arbeitgeber bescheiße absichtlich oder halte sich nicht an die eigenen Qualitätsmaßstäbe. Du bist schuld oder ich bin schuld. Und bevor ich schuld bin, geb ich doch lieber dir die Schuld… Und vor meinem geistigen Auge sehe ich Marshall, wie der die Wolfsohren auf seinem Kopf rotieren lässt: „angry, guilty, depressed…“
Vielleicht ist das das allergrößte Geschenk der GfK: Sie ermöglicht uns, genau die Verantwortung zu tragen, die unsere ist: Wir sind verantwortlich für unser Tun und Lassen, für unsere Gedanken und unsere Worte. Wir sind nicht verantwortlich für das. was der andere hört. Wir sind nicht verantwortlich für das, was unsere Worte beim anderen auslösen.
Im Vortrag hatte ich jeweils ein paar Testfragen eingebaut. Unter anderem sollten die Teilnehmer raten, ob es sich bei der Aussage:
30 rote Rosen – ich bin überwältigt
um ein echtes Gefühl handelt. Während ich (voller Begeisterung über die Rosen) auf dem Tanzparkett hin- und herwalzte, sagte eine Teilnehmerin:
„Du lernst es nicht mehr. Mit Rosen machst du mir keine Freude. Sonnenblumen… das wär’s gewesen. Würdest du mich wirklich sehen und wertschätzen, hättest du mir Sonnenblumen gebracht, und keine Rosen…“
Die „Tat“ ist die selbe: 30 rote Rosen als Geschenk. Doch während der eine außer sich ist vor Freude, löst diese Gabe beim anderen Schmerz und Trauer aus. Und ich bin nicht schuld. Und ich habe nichts falsch gemacht.
So long!
Ysabelle