Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Die unausgesprochenen Worte (2)

Hallo, Welt!
Auf meiner Seminarmitschrift vom Workshop mit Arnina Kashtan am vergangenen Wochenende findet sich der grandiose Satz: Wer wärest du ohne diese deine Geschichte?
Das erste Mal bin ich über diese Frage durch Eckart Tolle gestolpert. Der erzählt auf einer CD von einer Frau, die immer über ihren schrecklichen Mann klagte. Ihr ganzes Sein rankte sich nur darum, wie schlecht er sie behandelte. Irgendwann fragte Tolle die Frau, wie es wäre, diese Geschichte aufzugeben und sie antwortete nach einigem Nachdenken: Aber wer bin ich dann?
Es geht also darum zu erkennen, welche Geschichten wir uns selbst erzählen. Das Tragische ist, dass wir oft selbst nicht wissen, was wir uns erzählen. Einigen meiner Geschichten bin ich inzwischen auf die Spur gekommen. Auswahl gefällig?

  • Selbstständig arbeiten ist kompliziert.
  • Ich kann keine Aufträge akquirieren.
  • Ich bin zu doof, die Rechtslage für Selbstständige zu verstehen.
  • Meine Mutter wird mich nie so verstehen, wie ich es wirklich brauche.
  • Bei Schnee und Eis kann ich nicht Auto fahren.
  • Ich schlafe nur ein, wenn ich vorher noch gelesen/einen Film auf Arte gesehen/einen Artikel auf „Spiegel online“ konsumiert habe.
  • Die Einkommenssteuer kann nur ein Steuerberater verstehen und für mich ausfüllen.
  • Ich kann nicht mit der Bohrmaschine umgehen.
  • Ich kann nicht zeichnen (stimmt!)
  • Ich kann nicht schreiben (stimmt nicht, denke ich trotzdem oft).

 
Ihr merkt schon, worum es geht: Überzeugungen, die wir von uns selber haben. Vor ein paar Jahren, ich hatte noch meinen alten Polo, nahm ich an einem Verkehrssicherheitstraining teil. Ich selber hatte den Eindruck, ich könne überhaupt nicht angemessen mit dem Auto umgehen. Der Fahrtrainer meinte allerdings, ich würde exzellent reagieren und wäre mit meinem Altauto viel besser davor als die Kollegen, die sich alle auf ESP und ABS und sonst was für technische Unterstützung verließen.

Ich glaube also etwas über mich, und das führt dazu, dass ich bestimmte Dinge nicht mache, mir nichts zutraue, mich vielleicht überschätze. Und wenn wir einen Glauben (s-Satz) haben, findet das Gehirn dafür Beweise. Auch das ist ein Satz aus dem Seminar von Arnina. Zum Beispiel gibt es in mir den aus meiner Kindheit übernommenen und dann abgewandelten Glaubenssatz, meine jeweiligen Ausbildungstrainer würden mich nur akzeptieren, wenn ich mich in bestimmter Weise verhalte. Mein Gehirn wird dafür Beweise finden, wenn ich den Suchmodus aktiviere. Aber mal gfk-like gefragt: Was ist die Beobachtung dazu?
Die Beobachtung ist, dass ich in vorauseilendem Gehorsam meine Lebendigkeit unterdrücke, weil ich befürchte, wenn ich so bin, wie ich bin, dann würde ich abgelehnt werden. Das kenne ich nämlich aus meiner Ursprungsfamilie: Sei nicht so wie du bist. Also versuche ich mich so zu verhalten, wie ich denke, dass mich die Trainer wollen.
Das hat gar nichts mit einer bewussten Angst vor Autoritäten zu tun. Wenn ich bewusst drüber nachdenke, was da los ist und wie es mir damit geht, merke ich, dass mir meine Authentizität total wichtig ist. Und gleichzeitig geht es mir auch um Respekt für den Stil des anderen, um Anerkennung der Erfahrung. Immer und immer sind wir hierarchisch organisiert, Lehrer, Schüler, Vorgesetzte und Untergebene, Auftraggeber und Auftragnehmer, Mächtige und Ohnmächtige. ich kann gar nicht erkennen, wo wir eine Kultur der Augenhöhe und der Gleichwertigkeit haben. Und das geht weit über Gleichstellung der Frau oder ähnliches Gedöns hinaus. Mir geht es auch um die Beziehung zwischen Eltern und Kindern oder Experten und Laien. Augenhöhe ist anscheinend mein Wort des Jahres 2013. Augenhöhe… vielleicht kann ich es mir einfach noch öfter ins Bewusstsein rufen…

Ich wäre neugierig, auch etwas über die Geschichten zu erfahren, die Ihr Euch erzählt. Ein Freund berichtete gestern, eine seiner Geschichten laute: Ich muss alles tun, um andere zufrieden zu stellen, damit sie mich lieb haben und mich nicht anschreien…

Der Freund ist 61 Jahre alt. Ist das nicht schrecklich, erst auf intensives Nachfragen dahinter zu kommen, welche Geschichten uns steuern? Seit über 60 Jahren…?

So long!
Ysabelle

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