Die unausgesprochenen Worte (4)
Hallo, Welt!
Seit gestern Abend denke ich darüber nach, was Arnina Kashtan eigentlich genau macht. Hier gibt es ein Video (auf englisch), in dem sie ein bisschen über ihre Lebensgeschichte erzählt,
und obwohl wir einen ganz unterschiedlichen Hintergrund haben, nehme ich doch viele Parallelen wahr. Mir fallen zur Beschreibung ihrer Arbeit nur poetische Wendungen ein und ich widerstehe dem Impuls, mich dafür in die Pfanne zu hauen. Ich bin ja kein Werbetexter auf der Suche nach dem perfekten Slogan… Ich erlebe sie als Reiseleiterin in ein glückliches Leben. Travel Guide into here and now.
Auf dem IIT in der Schweiz habe ich 2009 das erste Mal den Begriff „Radikale Selbstannahme“ gehört. Radikal im Sinne von Wurzel, Ursprung. Bedingungslose Annahme, das erlebe ich bei Arnina. Sie ist eine Empathie-Hexe (oder Hebamme, was früher mal dasselbe war). Das, was sie macht, geht für mich tiefer als GfK allein oder als „The Work“, was ich teilweise als brutal wahrnehme. Da fehlt mir das Mitgefühl. Integrale GfK. So könnte man es nennen. Damit meine ich, es geht viel tiefer als nur in die vier Schritte und Selbstempathie. Sie geleitet die Teilnehmer durch das Raue zu den Sternen. Integrale GfK führt zu Heilung und Wach-sein. Es gibt ein Buch von Oliver Sacks, das mit Robert de Niro und Robin Williams 1990 verfilmt wurde: Awakenings: Wikipedia schreibt:
Der in den 1960er Jahren in New York City tätige Arzt Malcolm Sayer erforscht die Europäische Schlafkrankheit. Die seit Jahrzehnten darunter leidenden Patienten gelten als unheilbar.
Sayer benutzt ein Mittel, von dem er sich die Rückkehr der seit Jahrzehnten im komatösen Zustand befindlichen Patienten zum normalen Leben verspricht. Der erste Patient, an dem das Mittel ausprobiert wurde, war Leonard Lowe, der sich zu diesem Zeitpunkt schon seit 30 Jahren im Zustand des Komas befand. Lowe erlangte das Bewusstsein wieder, seine Rehabilitation beginnt. Nach einiger Zeit kommt es zu Rückfällen, schließlich fällt Lowe ins Koma zurück.
Mal abgesehen davon, dass ich nicht den Eindruck habe, wieder ins Koma zurück zu fallen: Unbewusste Zustände/Zeiträume kenne ich aus meinem Leben zur Genüge. Nun zeigt sich der Sinn des Aufwachens, des Auftauchens aus großen Tiefen des Unbewussten. Nur im Hier und Jetzt kann ich mein Leben gestalten, beeinflussen, ihm Sinn und Erfüllung geben.
So, nach dieser langen Vorrede (seid Ihr noch da?) komme ich nun zu meinem heutigen Thema, das ich aus dem Workshop von Arnina mitgebracht habe.
Wie erkenne ich, ob ich in einer Geschichte bin oder in der Realität?
Im Verlauf des Wochenendes sind dazu mehrere ganz handfeste Prüfinstrumente präsentiert worden. Hier eine Auswahl am Warnblinkleuchten:
1. Solange ich über eine andere Person nachdenke, bin ich nicht in der Realität.
Beispiel: Warum will Kurt nicht (mehr) mit mir schlafen? Warum kann Doris nicht einmal pünktlich sein? Was geht in meinem Chef vor, wenn er so guckt?
2. Verwendung von Floskeln und Verallgemeinerungen
Beispiel: Immer machst du… / nie ist jemand zu Hause / mir hört keiner zu / man sollte mal… /
3. Unterwegs in der Vergangenheit
Beispiel: ich hätte das Bügeleisen ausstellen sollen / Wenn ich in der Schule besser aufgepasst hätte / wenn ich mein Kind nicht geschlagen hätte
Diese „Sollte“-Formulierungen füttern unsere Schuldgefühle.
4. Unterwegs in der Zukunft
Beispiel: Werde ich morgen noch einen Job haben? Wird sich meine Tochter von mir abwenden? Reicht das Geld für die Miete am Ende des Monats?
Klar zu erkennen: Der Aufenthalt in der Zukunft füttert die Angst.
5. Denken und reden in Kategorien
Gut/schlecht/; Richtig/falsch; gerecht/ungerecht; Hier passen auch alle Interpretationsgefühle hin.
6. Was werden die Leute sagen?
Das ist besonders glorreich, weil wir in Wirklichkeit keine Ahnung haben, was die Leute sagen werden. Vielleicht bewundern sie uns für unseren Mut und unsere Authentizität. Vielleicht verabscheuen sie uns, weil unser Verhalten bei ihnen Angst auslöst. Aber auf beides haben wir keinen Einfluss, denn auch wenn wir im Verlauf unserer Zähmung dazu erzogen wurden zu glauben, wir hätten die Verantwortung für anderer Leuts Gefühle – das ist nicht der Fall.
Und nun?
Also: Wenn ich eine dieser Warnlampen bei mir entdecke, kann ich überprüfen, ob ich gerade im Hier und Jetzt bin. Bewusst atmen ist ein guter Start, um hier wieder anzukommen. Wenn wir feststellen, dass wir in Angst (Zukunft) und Schuld oder Scham (Vergangenheit) feststecken, kann und eine Frage uns ent-blocken:
Und dann? Und was ist dann? Und was wäre dann?
Angst und Schuldgefühl erweisen sich häufig als Mauer, vor der wir hilflos stehen. Mit der „Und dann…?“-Frage werden wir in die Lage versetzt, über die Mauer hinwegzugucken. Ich habe es ausprobiert. Es funktioniert.
So long!
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