ich dien… nicht mehr … blind.
Vor der Erleuchtung sind Berge Berge und Bäume Bäume. Während der Erleuchtung sind Berge die Thronsitze von Geistern und Bäume Träger der Weisheit. Nach der Erleuchtung sind Berge Berge und Bäume Bäume.
Hallo, Welt!
Vor zehn Tagen habe ich mit großer Tiefe (?) eine Strategie wahrgenommen, die ich seit vielen Jahrzehnten anwende. „Ich dien“. Wusstet Ihr übrigens, dass das das Motto der englischen Königsfamilie ist? Mir ist deutlich geworden, dass ich diese Strategie zu einem Zeitpunkt gewählt habe, als ich noch keine andere Möglichkeit erkennen konnte. In Worte gefasst lautet sie: Wenn ich nur gaaanz lieb bin, wenn ich mich total zurücknehme, wenn ich nicht störe und keine Ansprüche stelle, dann… gibt es irgendwann für mich Aufmerksamkeit, Unterstützung, Gesehen werden, Wertschätzung, Verbindung, Gemeinschaft… was sich ein Kind halt so wünscht. Mir war gar nicht bewusst, dass diese Strategie noch immer eine so große Rolle in meinem Leben spielt. Doch Mittwoch vor einer Woche habe ich lernen dürfen, wie sehr mich diese alte Strategie noch immer bindet, fesselt, unfrei macht. Ich denke, es liegt mit daran, dass sie so gut gelernt ist. Und wenn ich „automatisch“ unterwegs bin, also nicht bewusst, dann verhalte ich mich eben genau so, wie ich es einst gelernt habe. Ob es mir gut tut oder nicht…
Vorige Woche habe ich also eine Situation erlebt, in der ganz deutlich wurde, dass diese alte Strategie „ich dien“ (und benenne nicht, was ich brauche oder mir wünsche), auf mich zurückfeuert. Ich kriege nicht nur nicht das, was ich eigentlich so gern hätte, mein Gegenüber in dieser Situation sagte auch noch sinngemäß: So schwach, dass ich Schonung (statt Konfrontation) brauche, bin ich nicht. Also: Mein Gegenüber ist sauer, ich bin traurig und noch dazu sitze ich auf meinen unerfüllten Bedürfnissen. Und das alles, weil ein inneres Kind sagt: Wenn ich nur ganz lieb bin, dann…
Ich habe daher vorigen Donnerstag offiziell meinen Job als Erste Dienerin gekündigt. Wow, wie fühlte sich das an… Aufruhr ohne Bewegung. Ganz intensiv, als hätte ich keine Haut, oder als trüge ich mein Herz außen statt geschützt im Brustkorb. Eine Trainer-Kollegin, die die Situation miterlebte, sagte spontan: So sehr, wie ich die Kündigung der Dienerin aus verschiedenen Gründen bedaure: ich heiße dich willkommen im Kreis der TrainerInnen!
Ich nahm mich in dem Moment nahezu hellsichtig wahr. Ich konnte erkennen, wie ich mir mit dieser alten Strategie wieder und wieder geschadet habe. Zum einen, weil ich mich nicht für meine Belange eingesetzt habe. Zum anderen, weil ich für den anderen auch nicht wirklich sichtbar war. Und zum dritten habe ich den anderen nicht gesehen. Ich habe auf meine Projektion geschaut, wie der andere ist und was der andere braucht. Und die Berge waren Thronsitze von Geistern und die Bäume Träger der Weisheit. Jetzt, nach einer Woche, wünschte ich, ich könnte diese Hellsichtigkeit, diese besondere Wachheit im Alltag erhalten. Aber anscheinend gehört es zum Wesen der Erleuchtung, dass man diese tiefe Erkenntnis verliert. Bei der Suche nach dem genauen Wortlaut des Zitats aus dem Buch „Die Wolfsfrau“ bot mir Google auch: „Vor der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen. Nach der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen.“ und „Nach der Erleuchtung Wäsche waschen und Kartoffeln schälen“.
Ich möchte also meine Aufmerksamkeit darauf richten, wann ich wirklich dienen möchte, wann mein Commitment nicht dem dient, was ich wirklich möchte.
Vor mir liegt die Trainervereinbarung des CNVC. ich glaube, das ist ein Dienen, ein Commitment, das ich gern eingehen möchte. Ich verpflichte mich einem höheren Gut, mal krass gesprochen dem Weltfrieden. Aber in Beziehungen möchte ich nicht mehr dienen, um auf diese Weise etwas zu erreichen, um das ich mich nicht zu bitten traue. Eine echte Herausforderung.
So long!
Ysabelle
Hallo, Welt!
Beim Einkaufen spürte ich noch mal dieser Geschichte nach und vermute, dass es zu der Zeit, als ich mich für die Strategie des Dienens entschieden hatte, keine Alternative gab. Ich erinnere mich, dass meine Bitten als Forderungen wahrgenommen wurden, dass meine Bedürfnisse (in der Kindheit) keine Rolle spielen durften. Ich wuchs auf zwischen lauter Erwachsenen, die irgendwie alle lebensbedrohlich krank waren, von dramatischen Herzleiden über Tuberkulose bis hin zu Kriegsverletzungen. Erst kamen andere, wichtige, vielleicht überlebenswichtige Dinge. Das, was ein Kind wollte oder brauchte und was über Nahrung, Obdach und Kleidung hinausging, hatte da keine Priorität. Gehorchen war wichtig. Lieb sein war wichtig. Und ein eigener Wille musste natürlich gebrochen werden… Diese Strategie des Dienens (und Verdienens) war also auf Jahre hinaus die einzige erfolgversprechende. Eine Alternative war nicht zu erkennen, denn so war die Zeit damals. Kein Wunder, dass ich so lange an dieser Strategie festgehalten habe…
Y. W.