Du, nur du allein…
Hallo, Welt!
Während die letzte Stimmen zur Bundestagswahl ausgezählt werden, war ich mit dem Auto unterwegs und grübelte auf der Fahrt über ein Stück Kultur: Die Du-Botschaft. Hier ein besonders klebriges Exemplar:
In den vergangenen Tagen hatte ich es gelegentlich mit du-Botschaften zu tun, die ich extrem schlecht hören konnte. Hier ein paar Beispiele:
Das solltest du mal therapeutisch bearbeiten.
Du kannst mich wenigstens vorher fragen, bevor du das abschickst.
Du trifft ja keine (bewusste) Entscheidung einzuschlafen. Das ist eine Beobachtung.
Ich merke, wie unendlich schwer es mir fällt, damit einen Umgang zu finden, der mich zufrieden stellt. Jedes GfK-Erstsemester lernt, dass solche Aussagen übersetzt einfach nur heißen: Ich habe ein dringendes unerfülltes Bedürfnis. Aber aktuell werden bei mir durch derartige Aussagen auch Bedürfnisse hungrig. Als erstes geht es mal um mein Bedürfnis, nicht definiert zu werden. Wenn ich etwas therapeutisch bearbeiten soll, dann kann ich bei der angebotenen Betonung beim besten Willen keine liebevolle Fürsorge raushören. Bei mir kommt an: Du hast nen Knall und den solltest du mal abstellen…
Vorher fragen, ob ich eine Nachricht versenden darf oder kann? Hallo!?! Klar, Leute, ich weiß schon, wie dieser Text in GfK lautet: Ich würde dir gern helfen und fühle mich aber gerade selbst so hilflos… beim Formulieren der Nachricht wäre ich bestimmt gut gewesen, aber jetzt weiß ich gar nicht mehr, was ich dazu sagen soll…
Ok, Baby, dann sag das doch einfach, statt eine Du-Botschaft übers Netz zu pfeffern! (Und auch das, liebe Freunde, ist natürlich eine klare Du-Botschaft…).
Ich habe ein paar Thesen zum Thema Du-Botschaften.
1. Je näher mir die Person steht, desto autsch.
2. Ich reagiere besonders empfindlich, wenn ich die Worte als Definition meines Verhaltens wahrnehme.
3. Ich bin bereit, von meinem Gegenüber die gleiche Info als Ich-Botschaft zu hören.
4. Es ist ein langwieriger Prozess, bis man die Du-Botschaften aus seinem System ausscheiden kann. Und gelegentlich gibt es Rückfälle… wie bei Malaria.
Zur Wiederholung: Ich bin nicht für die Gefühle anderer Menschen verantwortlich. Ich mag der Auslöser sein, aber nie der Grund.
Wenn ich die Worte eines anderen schlecht hören kann, ist das ein Anzeichen, dass bei mir wichtige Bedürfnisse im Mangel sind.
Ich habe die Wahl, wie ich auf die Worte eines anderen Menschen reagieren möchte. Niemand zwingt mich dazu, an die Tischtennisplatte zu springen und dem anderen blindwütig ein paar Schmetterbälle zu servieren. Theoretisch gibt es die Option, dem anderen Einfühlung zu geben. Das ist aber keine gute Idee, wenn ich selbst gerade auf Zinne bin. Dann gibt es immer noch die Option der Selbstoffenbarung: So geht es mir, wenn ich das höre.
Das wird nur dann zur echten Herausforderung, wenn diese Aussage beim anderen wie eine Du-Botschaft ankommt: Jetzt bin ich wieder Schuld… Oder: Ja, da bist du doch aber selber Schuld…
Das sind die Momente, in denen ich am liebsten auf eine einsame Insel ziehen würde und nie wieder ein Wort sagen. Weder gewaltfrei noch sonst irgendwie. Fasst mich alle an die Füße!
So long!
Ysabelle
Lieb Ysabelle, du sprichst mir sooo aus der Seele.
Dieses Unbehagen, der andere gibt mir den Ball zurück, sprich: ich bin selbst schuld, dass ich das so höre, macht mich auch sehr hilflos.
Letztlich kommt es darauf an, dass durch meine und die Worte des anderen Verbindung oder Distanz hergestellt wird, ob wir Brücken oder Mauern bauen zwischen einander.
Im übrigen: ich liebe deine Art dich treffend, bildlich und witzig auszudrücken.
Dorothee