Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Dankbarkeit: 23. Dezember 2013

Hallo, Welt!
Ich habe den ganzen Tag Dinge gesammelt, über die ich mich gefreut habe, und für die ich dankbar bin. Meine Freundin, die mir das vergessene Portemonnaie ins Büro brachte. Die Tatsache, dass ich hinter der Post einen Parkplatz fand und noch schnell an den Schalter huschen konnte, ein Päckchen abholen. Meine Freude, dass der Blumenladen noch genau ein Weihnachtsgesteck im Henkelkorb hatte, als sei es extra für mich aufgehoben worden… Und dann! Ich habe die Kurve beim Friseur gedreht, ohne viel Hoffnung, heute noch eine andere Schere als meine Papierschere zu sehen zu kriegen. Aber nein! Sie haben mich eingeschoben! 50 Minuten später war ich wieder draußen, frisch geschnitten und adrett geföhnt. Auf dem Heimweg habe ich die vorletzten Einkäufe erledigt und dachte voller Zufriedenheit und Freude, „jetzt kann Weihnachten kommen“.

Doch dann habe ich etwas erfahren, was mich wirklich aus der Bahn geworfen hat.
Ein Mitglied meiner Familie ist dieses Jahr finanziell in Not gekommen: Das böse, böse Finanzamt. Ein anderes Mitglied meiner Familie hat nach reiflicher Überlegung den Sparstrumpf geplündert und zwei Mal mit einer vierstelligen Summe ausgeholfen. Das zweite Mal jetzt zu Weihnachten. Die Zahlung war angekündigt. Und der Beschenkte hat für den Schenkenden zu Weihnachten nicht einmal eine Karte geschrieben. Wie ich vorhin durch einen Telefonanruf erfuhr, hatte der die andere Person überhaupt nicht auf dem Schirm. „Weißt du, wie viel ich zu tun hatte…?“

Ich bin so im Schmerz, ich könnte die ganze Zeit leise vor mich hin weinen. Meine Bedürfnisse nach Respekt, Gesehen werden, Wertschätzung, Anerkennung, Dankbarkeit, Gemeinschaft, Verbindung und Wärme – für den Schenkenden – sind komplett im Keller. Es fällt mir unendlich schwer, mir ins Gedächtnis zu rufen, dass wir alle zu jeder Zeit unser Bestes geben. Wieder einmal wird mir ganz deutlich, dass ich auch Bedürfnisse für den Umgang mit anderen Menschen habe. Ich möchte, dass jemand, der in so einer schwierigen Situation einspringt, gesehen wird. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage sein werde, der Person die Empathie zu schenken, die sie nach so einer schmerzlichen Erfahrung sicher braucht. Ich brauche ja selber Empathie!
Einen kleinen Fortschritt kann ich an dieser Stelle feiern. Früher hätte ich mich schuldig gefühlt. Ich hätte den Beschenkten erinnern müssen, ich hätte doch ahnen können (und ich habe es befürchtet), dass genau das passiert. Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ich wollte an das Gute im Menschen glauben.

Ja, früher hätte ich mich schuldig gefühlt, für das Verhalten anderer Menschen, für mein Nicht-Intervenieren. Heute bin ich nur traurig und voller Mitgefühl für den Schenkenden. Ich bin nicht verantwortlich für das, was andere Leute tun oder unterlassen. Ich bin verantwortlich für mein Handeln. Zumindest dieser Teil der Lektion scheint eingesickert zu sein.

So long!

Ysabelle

Eine Reaktion zu “Dankbarkeit: 23. Dezember 2013”

  1. Ysabelle Wolfe

    Hallo, Welt!
    In einem Telefongespräch zu dieser Angelegenheit habe ich heute gehört: Du machst mir ein schlechtes Gewissen. Und ich sagte: Niemand kann einem anderen Menschen Gefühle MACHEN. Wie gut, dass ich das lernen durfte! Wieder ein Grund, dankbar zu sein. Ich habe heute schon zwei Runden Heulen hinter mir, weil mich die Sache so traurig macht. Und ich vermute, es hat etwas mit Identifikation zu tun. Ich identifiziere mich emotional mit der Person, die keinen Weihnachtsgruß bekommen hat. Also: Was ist mein Tanzkreis? (einer für Insider… „Dirty Dancing“ ist eben doch der Film des Jahrtausends). Was an dieser Sache ist meins, wirklich meins? Und wo schwinge ich in einer Weise mit, dass ich mich geradezu identifiziere und gut daran täte, diese Art der Verwicklung zu lösen?! Ich merke schon: Es wird nicht langweilig, dieser Weg zu mir selbst…

    So long, und Euch allen Frohe Weihnachten!

    Ysabelle

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