Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Die Welt, wie sie mir gefällt… widdewiddewitt

Hallo, Welt!
Frohe Ostern allerseits! Könnt Ihr Euch erinnern, wie Andrea Nahles vor einigen Monaten im Bundestag gesungen hat? Das ging ja durch alle Nachrichten und Schlagzeilen.

2 x 3 macht 4
Widdewiddewitt und Drei macht Neune !!
Ich mach‘ mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt ….

Hey – Pippi Langstrumpf
trallari trallahey tralla hoppsasa
Hey – Pippi Langstrumpf,
die macht, was ihr gefällt.

In diesen Tagen entdecke ich um mich herum, wie sich Menschen die Welt zurecht dengeln und das Erstaunliche ist, dass ihnen das Ergebnis eben nicht gefällt.
In einem Gespräch wurde ich kürzlich informiert, dass Türkinnen nichts sagen dürfen, weil das immer ihr Kerl macht, und dass das ja wohl komplett inakzeptabel sei.
Also, die Geschichte ging nicht: Diese eine Türkin hat nichts gesagt, obwohl ich immer wieder Augenkontakt gesucht habe“, sondern „alle Türkinnen“ oder zumindest alle, die in Deutschland leben. Und das ist – natürlich – schlecht.
Als ich neulich nach Hause komme, treffe ich in der Straße, in der ich wohne, auf eine betagte Nachbarin, die sich mit einer Bekannten unterhält. Beide Frauen zeigten sich entrüstet über die Neger und die Türken, die von unserer Sozialhilfe leben und unsere Häuser aufkaufen. Wie bitte? Was ist die Beobachtung? Als ich zu diesem Gespräch dazu kam, rumorte es sehr hilflos in meinem Kopf. „Die brauchen Einfühlung“ meldete mein Extra-Sinn. (Ja, ich bekenne, ich bin ein alter Perry-Rhodan-Fan). Und dann kam nichts mehr. Ich war selbst so geplättet von diesen Aussagen, dass mir gar keine Einfühlung zur Verfügung stand. Selbst jetzt, vier Tage später, gibt mein Hirn nicht all zu viel her in dieser Richtung. „Sind Sie besorgt, weil Ihnen die deutsche Kultur am Herzen liegt?“ ist vielleicht noch mein bester Versuch.
Vor vielen vielen Jahren hatte ich mich in einen Mann verliebt, der ziemlich weit weg wohnte. Er war studierter Psychologe und hatte einen Job an der Uni. Eines Tages erzählte er mir, er sei besorgt, denn ich würde ja jetzt meinen Mann verlassen und mit meinem Kind zu ihm ziehen und zum einen sei seine Wohnung dafür zu klein und zum anderen verdiene er als Assistent nicht genug, um eine Familie durchzubringen… Keine seiner Annahmen hatte irgendeinen Realitätsbezug. Und gestern Abend wiederholte der Mann meines Herzens die Aussage, er habe mich nach seiner Operation aus meinem Schlafzimmer verdrängt. Ich bin fassungslos. Und ich spüre Schmerz. Und ich frage mich: An welchen Stellen sehe ich denn die Welt so wie sie mir gefällt? Und dann gefällt mir nicht, was ich sehe?

Unter diesem Aspekt freue ich mich sehr, dass ich mich in den vergangenen sieben Jahren so intensiv mit Interpretationen beschäftigt habe. Verdrängt, schmarotzen, unterdrückt, manipuliert, vernachlässigt, „nicht gesehen fühlen“… ich höre nicht mal mehr Alarmglocken, wenn mir diese Worte begegnen, sondern in aller Regel übersetze ich automatisch in unerfüllte Bedürfnisse. (Ach ja, für meine Abschlussarbeit in der Mediationsausbildung habe ich eine kleine Dokumentation zu Interpretationsgefühlen zusammen gestellt. Wer will, kann sie bei mir anfordern.) Gleichwohl bleibt die Angst. Es ist keine GfK, wenn ich den anderen erkläre, wie ICH die Welt wahrnehme und was denn die Beobachtung sei. Das mache ich möglichst nur mit befreundeten GfK’lern, die den zweiten Dan in Rosenberg haben. Stichwort: Aufrichtiger Selbstausdruck. Eher führen solche Sätze dazu, dass ich wie gelähmt bin. „Ja, aber…“ ist keine Alternative. Empathie steht mir dann manchmal aufgrund meines eigenen Schocks oder Entsetzens nicht zur Verfügung. Und ich wittere die Gefahr, dass ich die Verbindung über Gebühr belaste, wenn ich meine Gefühle und Bedürfnisse an dieser Stelle schildere. In meinem Erleben ist es häufig so, dass meine Gegenüber so eingesponnen sind in diesen kulturellen Kokon aus Richtig und Falsch, dass sie meine Worte sofort als Kritik interpretieren. Und ich habe keinen Einfluss darauf, wie ich gehört werde. Ich habe lediglich Einfluss darauf, was ich sage.
Ich bin gerade so müde! Ich sehne mich nach einer fortgeschrittenen Giraffengemeinschaft, in der wir mit dem Herzen hören, und nicht mit dem Urteils-Sektor unseres Gehirns. Und mir ist bewusst: Ich habe keine Klarsicht gepachtet. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit habe ich auch meine blinden Flecken. Und dann bastele ich mir die Welt, wie sie mir nicht gefällt. Und verharre in meinen Ängsten. Wie frustrierend!

So long!
Ysabelle

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