Entweder, oder. Oder?
Hallo, Welt!
Ich bin noch immer ganz benebelt von einem Erlebnis am Freitagabend. Wir hatten Seminar, aber aus verschiedenen Gründen sind nur sehr wenige Teilnehmer vor Ort gewesen. Unser Vorschlag, deshalb sehr konzentriert nur 1,5 Tage in der Kleingruppe zu arbeiten, stieß auf ein gemischtes Echo. Letzten Endes haben sich die Teilnehmer dafür entschieden, das Seminar zu verschieben und auf die anderen Teilnehmer, die zu diesem Block verhindert waren, zu warten.
Wir hatten zu Beginn des Seminars ein paar Punkte an der Tafel gesammelt. Warum interessieren sich Menschen für die Gewaltfreie Kommunikation? Was bringt ihnen das?
Was in der Diskussion über unsere Vorgehensweise fürs Wochenende immer wieder deutlich wurde: Es ging um Schutz. „Dann stehe ich als einzelner ja so im Mittelpunkt…“ „Dann bin ich ja ständig dran…“ Ich merkte, wie meine Stimmung immer weiter in den Keller ging. Dabei ging es mir nicht darum, dass Seminar auf jeden Fall durchzuziehen. Ganz und gar nicht, denn die vergangenen Wochen waren extrem anstrengend und ich freue mich, dann heute zu meiner Mutter fahren zu können. Nein, was mich schmerzt ist etwas Anderes.
Einer der Punkte auf der Liste war: Ausstieg aus dem Entweder – Oder. GFK eröffnet mir neue Möglichkeiten. Die ganze Palette der Grautöne statt nur schwarz-weiß. Hier eine Auswahl an Farben von meinem Lieblings-Farbberater Loriot:
http://www.youtube.com/watch?v=ckIrhRKwgCg
In der Seminarsituation landeten wir nun in einer Sackgasse. Entweder ausfallen lassen oder Überforderung. Ich war – und bin – noch immer fassungslos. Es gibt gute Gründe dafür, in der größeren Gruppe arbeiten zu wollen, und mit diesem Anliegen kann ich mich zutiefst verbinden. Aber zu glauben, ich würde in der Kleingruppe überfordert, es gebe keinen Schutz für mich, meine Grenzen würden nicht gewahrt – das schüttelt mich schon sehr. Und ich nehme es als Zeichen, dass wir eben nicht gewohnt sind, für uns selbst Sorge zu tragen AUSSER indem wir aus einer Situation herausgehen. Entweder – oder. Wir haben kein Vertrauen darauf, dass unsere Bedürfnisse ernst genommen werden, dass wir nach unseren Bedürfnissen leben dürfen. Und ich glaube, dass wir auch unsicher sind, in herausfordernden Situationen mit unseren eigenen Bedürfnissen verbunden bleiben zu können und uns für sie einzusetzen. Dann denken wir, andere überrollen uns. Wir seien machtlos. Und der Ausweg, den wir kennen, heißt Rückzug.
Ich spüre eine große Traurigkeit, wenn ich mich mit der Situation am Freitag verbinde. Wo ist unsere Fähigkeit, gut für uns zu sorgen? Jenseits von Entweder, oder. Wo, wenn nicht in dem geschützten Rahmen eines GFK-Seminars, kann ich denn üben, mit mir selbst in Verbindung zu sein und nach Strategien zu suchen, die mich rausnehmen aus dieser Zwei-Wege-Technik? Wenn ich es hier nicht probieren mag, weil ich kein Vertrauen habe, dass ich gut für mich sorgen kann – ja wo denn dann?
Ich betrauere eine verpasste Chance zum Lernen und Wachsen. Und ich möchte feiern, dass ich an dieser Stelle in den vergangenen Jahren gewachsen bin. Vorige Woche war ich in Niederkaufungen zum Trainertreffen. Und in einer herausfordernden Situation bin ich für mich und für mein Thema eingetreten, im Vertrauen darauf, dass die Bedürfnisse eines jeden einzelnen zählen. Das Echo war in einer Weise, wie ich es in einer Veranstaltung von GFK-Trainern nicht erwartet hätte. Und trotzdem bin ich zufrieden damit, für mich eingestanden zu sein. Das wäre vor einigen Jahren noch nicht in dieser Weise möglich gewesen. Vielleicht ist es mir deshalb so wichtig, dass auch andere Menschen eine Chance haben, sich selbst auszuprobieren und zu trainieren, wie sie mit ihren Bedürfnissen verbunden sein können… Vorausgesetzt, sie haben das Vertrauen, dass ihre Bedürfnisse zählen. Und das Vertrauen gab es vielleicht am Freitag noch nicht.
So long!
Ysabelle