Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Alte Gespenster

Hallo, Welt!
Die Tage verstreichen und hier im Blog geschieht nichts. Das löst eine Kaskade unangenehmer Gefühle aus, an Bedürfnissen erkenne ich mit Leichtigkeit Sicherheit (für meine Leser, da kommt was) und Verbindung. Dahinter liegt sicher noch mehr, aber ich belasse es dabei. Wer mehr darüber wissen möchte, warum ich in den vergangenen Wochen nicht in Sachen Giraffenohren unterwegs war, findet Infos dazu hier.

Vorgestern hatte ich ein an sich banales Erlebnis, das mich noch immer schüttelt.
Morgens hatte eine Teilnehmerin unseres Projektes an meine Kollegin eine „Bitte“ gestellt. Meine Kollegin sagte sinngemäß, „ich habe dich gehört. Als nächstes spreche ich noch einmal mit Dozentin XY darüber, was sie dazu meint. Grundsätzlich denke ich, da gestern das und das passiert ist, ist das, was du gerade möchtest, nicht dran. Ich halte dich auf dem Laufenden.“

Ich war total entzückt von der Antwort. Ich habe für so etwas einfach keine Textbausteine.
Zwei Stunden später, ich erläuterte gerade an der Flipchart das Eisenhower-Prinzip, äußerte ein Teilnehmer seinen Unmut über die Inhalte des Unterrichts. Er wolle jetzt Bewerbungen schreiben. JETZT. Und deshalb würde er jetzt nach Hause gehen. Er kramte auf dem Tisch herum, suchte Unterlagen. „Wo ist meine Bewerbung?“. Ich wies darauf hin, dass er sie mir morgens gegeben hatte und sie in meinem Büro eingeschlossen hatte. „Geben Sie mir die jetzt raus?“ Der Ton war laut und in meinen Ohren scharf. Ich spürte, wie ich den Büroschlüssel aus der Hosentasche zog und erinnerte mich an die Szene morgens mit meiner Kollegin. Und ich merkte, nein, das passt so nicht für mich. Das Beste, was ich gerade noch rauskriegte, war, „ich habe hier acht Leute im Unterricht sitzen, dann muss das warten, bis wir hier Pause haben.“

Ungefähr 15 Minuten später war Pause. Der Teilnehmer, der zwischenzeitlich den Raum verlassen hatte, wartete vor der Tür. Er war noch immer sehr aufgebracht (gesehen gehört werden, Wertschätzung, to matter), er nahm seine Bewerbung und verschwand.
… Empathie wäre sicher eine coole Reaktion gewesen, aber ich hatte gerade keine. Ich war vollauf damit beschäftigt festzustellen, was in mir los war. Und das war eine ganze Menge.
Inzwischen habe ich herausgefunden, dass ich es hier mit einem uralten Muster/Glaubenssatz zu tun habe. Und über den bin ich schon häufiger im letzten Vierteljahr gestolpert. Er setzt sich vermutlich aus mehreren Kommandos zusammen und ich bin tiefenerschüttert zu erkennen, dass ich noch immer so unreflektiert alten Programmierungen folge.
Eine Programmierung lautet anscheinend: Tu was man dir sagt.
Und da sagt jemand, gib mir meine Bewerbung und mein erster Impuls ist, ich setze mich in Bewegung, um genau das zu tun. Da setzt kein Nachdenken ein, da ist keine Reflexion, will ich das? – Na ja, diesmal schon! Aber in meinem Alltag ist das oft nicht der Fall, und mit Sicherheit war das auch nicht der Fall, als ich versucht habe, mein Kind zu erziehen.
Die zweite Programmierung lautet: Was dein Gegenüber will, hat eine höhere Priorität als das, was du selbst willst.
Diese Erfahrung habe ich auf dem IIT in Birmingham gemacht. Jemand stellte eine Bitte und das, was ich gerade geplant hatte, verblasste, schien auf einmal nicht mehr wichtig.
Darüber scheint es ein Haupt-Kommando zu geben, das ich mit den Buchtitel von Alice Miller gut beschrieben finde: Du sollst nicht merken. Spür gar nicht erst, wie es dir geht. Mach einfach, was ich dir sage. Deine Meinung spielt sowieso keine Rolle.
Gerade gruselt es mich, denn ich finde diese Art von Umgang mit einem Menschen – und sei es – ich mit mir – erschreckend, beängstigend und frustrierend. Die Botschaft ist, der andere sagt, wo es lang geht. Der andere ist wichtiger als ich. Was ich will, tut nichts zur Sache. Deins ist, was du siehst, wenn du die Augen zu machst. Nichts. Und es gibt kein Aufbegehren, nicht einmal eine bewusste Unterwerfung. Ich funktioniere einfach auf diese Weise. Da kommt ein Impuls von außen und ich setze mich wie ferngesteuert in Bewegung.
Herausforderung für die kommenden Wochen soll daher sein, meine Selbstverbindung zu stärken. Wie geht es mir, wenn ich etwas höre? Was löst es in mir aus? Ich möchte mich beobachten ohne mich zu bewerten.

Ach ja… und am Montag ist der 1. Dezember. Wie es schon gute Tradition ist, will ich den Dezember wieder zum Dankbarkeitsmonat erklären und versuchen, möglichst häufig hier zu beschreiben, wofür ich gerade dankbar bin.

In diesem Augenblick bin ich dafür dankbar, dass es bei mir zu Hause gemütlich warm ist. Ich konnte eben beim Einkaufen meinen Korb voll packen, ohne Angst zu haben, dass das Geld nicht reicht. Ich bin dankbar für meine Fortschritte in der GFK, denn eine Begegnung im Supermarkt konnte ich voller Wertschätzung feiern, obwohl ich vorher noch einen Wolf am Start hatte. Ich bin dankbar für die Unterstützung, die ich in den vergangenen Wochen erfahren habe. Ich habe ein gutes Leben!

So long!

Ysabelle

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