Ohren verlegt …
Hallo, Welt!
Am Wochenende war ich in Stuttgart bei der Tagung des Fachverbands Gewaltfreie Kommunikation. Hut ab vor all den Leuten, die diese Veranstaltung auf die Beine gestellt haben, das war sehr beeindruckend.
Zum Start war der CDU-Politiker Heiner Geißler (85) als Gastredner eingeladen worden. Ein gebrochenes Kabel sorgte dafür, dass die Übertragung immer schlechter wurde und souverän marschierte Geißler in die Mitte des Saales und sprach frei.
Vielleicht war ich die einzige, die ihn nur schwer hören konnte. Geißler ist schon seit vielen Jahren als Schlichter aktiv, unter anderem hat er ja die Schlichtung von Stuttgart 21 geleitet und vermittelt zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern. Aber seiner Sprache konnte ich nicht zuhören. Eine Weile habe ich mit mir gehadert, du musst doch und du solltest aber … doch dann habe ich mich darauf besonnen, dass ich in einer GFK-Veranstaltung sitze und nichts tun muss, was nicht Fun ist. Für mich war die Rede kein Fun.
Da konnte sich laut Geißer doch jeder davon überzeugen, dass der Kirchenvater Augustinus das griechische Zitat XYZ in falsches Latein übersetzt hat und dass deshalb Luther … Und schließlich wisse man doch dies und jenes, und er hätte sich auch nicht träumen lassen, dass seine Partei mal mit der Hypo Real Estate eine Bank verstaatlichen würde …
Kurzum, ich konnte es nicht mehr ertragen und bin rausgegangen.
Später hatte ich Gelegenheit, sowohl mit Andi Schmidbauer als auch Robert Macke dazu ins Gespräch und beide berichteten, dass sie Geißler gut hören konnten. Es sei ihnen leicht gefallen, sich mit dessen schönen Absichten zu verbinden. Da wusste ich, ich habe meine Giraffenohren verlegt.
Dann erreichte mich eine Mail, die wie folgt begann:
> fein einfach machst du es dir da… fakt ist, es ging so, wie du wolltest, und es interessiert mich kein bischen wie DU da hinkommst, sondern wie ICH dahinkomme. daher die frage ob wir zusammenfahren.
Gerade nehme ich mich selbst ganz ratlos wahr. Liegt es an meiner Erschöpfung, dass ich momentan nicht (ständig) empathisch zuhören kann? Wieso löst so ein Text wie die Mail in mir einfach nur Empörung und Aufruhr aus? Vielleicht bin ich wirklich so ausgelaugt, dass da im Moment nicht mehr drin ist. Immerhin mache ich mich selbst nicht dafür fertig und bin auch noch so weit mit mir verbunden, dass ich deutlich merke, was meine unerfüllten Bedürfnisse sind. Bei Heiner Geißler waren es Verbindung, Respekt (für Menschen, die weniger Chancen auf Bildung (Griechisch/Latein) hatten als er), Akzeptanz, Vertrauen und Schutz. Bezüglich des Autors der Mail ist es gesehen werden, Respekt, Wertschätzung, Anerkennung, Unterstützung, Gemeinschaft, Leichtigkeit und „to matter“. Wenn ich so auf diese unerfüllten Bedürfnisse schaue, wird mir klar, dass ich mich in den vergangenen vier Monaten nach dem Tod meiner Mutter komplett vom Giraffensaft abgeschnitten habe, gar keine Zeit fand für eine liebevolle GFK-Gemeinschaft. Mal schauen, wo die nächste Tankstelle ist!
So long!
Ysabelle