Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

Hey, Smombie!

Hallo, Welt!
Da rieb ich mir verdutzt die Augen. Donnerstag haben wir in der Übungsgruppe das Thema „ständig greift mein Gegenüber zum Handy“ behandelt. Und am nächsten Tag vermelden die Medien, Smombie, also ein Kofferwort aus Smartphone und Zombie, sei das Jugendwort des Jahres. Zu meiner Erleichterung hat der Berliner Tagesspiegel inzwischen recherchiert, dass nicht nur ich das Wort nicht kenne, auch über Twitter und Facebook ist es nicht gelaufen. Na, dann gibt es das wahrscheinlich gar nicht und ist eine Erfindung des Langenscheidt-Verlages. So weit, so gut.

Facebook und WhatsApp – bei manchen Menschen auch noch eingehende Mails und SMS-Nachrichten – sind also der Auslöser dafür, dass Verbindung im Hier und Jetzt mit dem realen Gegenüber verloren geht. Hier einmal unsere Wolfsshow vom Donnerstag: gegen_Handys Wir haben 15 Urteile gefunden und anschließend die damit verbundenen Gefühle identifiziert. Dann haben wir den Gefühlen die (unerfüllten) Bedürfnisse zugeordnet. Ihr seht, es gab ein Bedürfnis nach „Hirn“, was bisher auch in keiner offiziellen Bedürfnisliste auftaucht (ein bisschen Spaß muss sein, wir haben es als Wachstum und Wirksamkeit übersetzt). Eine Teilnehmerin erzählte von einem Erlebnis mit einer Handy-Nutzerin. Diese habe ständig WhatsApp benutzt. Auf die Rückfrage, ob das jetzt nicht mal für eine Stunde ausbleiben könne, sagte die Nutzerin: „Nein, wenn ich nicht sofort antworte, ist meine Freundin böse.“

Holla! Die Handy-Nutzerin hat also ein Bedürfnis nach Schutz und Verbindung. Und dabei geht die Verbindung zu der Person flöten, der sie gegenüber sitzt. Und das wiederum erfüllt beim Gegenüber nicht die Bedürfnisse nach Respekt, Gesehen werden, Präsenz und so weiter. Ich finde es auch schwierig, mit jemandem die Verbindung halten zu wollen, der ständig mit jemand anderem tickert. Im Unterricht hat mich das wirklich angestrengt und frustriert. Es war kaum möglich, die Aufmerksamkeit der Jugendlichen auch nur für 15 Minuten auf ein bestimmtes Thema zu lenken. Ein Piep und schon kam der Griff zum Smartphone, gern noch verbunden mit der Aussage, „das ist wichtig“.

Gestern hatte ich die Freude, bei der Aufzeichnung einer TEDx-Sendung dabei zu sein. Einer der Gastredner war Alex Strauss von der Organisiation „Clowns ohne Grenzen“. Er erzählte von einem Workshop in den Slums von Mumbai und dass es nicht möglich war, die Kinder „einzufangen“. Frustriert und verwirrt hätten sie den Kontakt zu den Sozialarbeitern gesucht und von ihnen den Rat bekommen: „Shout at them“. Anschreien als Rezept für Verbindung? Es funktionierte, und die Kinder konnten schließlich einem 40-minütigen Workshop folgen. Strauss erzählte, welche Eigenschaften den Kindern auf der Straße verloren gehen (weil es das Überleben nicht fördert) und dass deshalb Geschichten über gutes/höfliches Benehmen und Geschichten über Vertrauen in Ältere (Hierarchien) besonders wichtig seien. Das hat mich sehr berührt. Viele der jungen Teilnehmer, mit denen ich zu tun hatte, waren Überlebenskämpfende. Sie kamen aus dysfunktionalen Familien, Unterstützung fanden sie in der Peergroup, unter ihresgleichen. Was schert mich das Geschwätz der DozentInnen?

Was braucht es, damit unser Gegenüber wieder Präsenz erfährt statt des Handys? Vor 20 Jahren hatte fast kein Mensch ein Handy. Als ich 2001 auf einer Pressekonferenz der Telekom vom Mobilen Internet hörte, habe ich mich scheckig gelacht. Meine Friseurin sollte auf ihrem Handy nachgucken, ob in der Weinbar um die Ecke noch ein Plätzchen frei ist? Heute ist die Handynutzung vieler Menschen noch intensiver als sich das die Experten 2001 haben träumen lassen. Und unsere Verbindung bleibt auf der Strecke.

Vielleicht sind wir ja doch auf dem evolutionären Pfad zum Smombie. Wie gut, dass ich kein WhatsApp installiert habe. Ich glaube, es würde meine Sehnsucht nach Verbindung, Gemeinschaft, Gesehen werden und Präsenz nicht erfüllen. Es tut nur so.

So long!

Ysabelle

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