In freier Wildbahn
Hallo, Welt!
Es herbstelt. Da ich ja in einer Hafenstadt lebe, ist jetzt die Zeit, in der die Boote wieder nach Hause kommen und nach und nach aus dem Wasser geholt werden.
Ich ärgere mich dann öfter, wenn die Bootsbesitzer ihre Autos auf dem Bürgersteig parken, um nur keinen Schritt zu viel mit den Proviantkisten, dem Segelzeug und den Sitzkissen zu machen, die über Winter nicht an Bord bleiben sollen.
Heute beobachtete ich, wie ein Mann Sachen von (s)einem Schiff zum Auto trug. Es türmte sich in seinen Armen. Bei seinem nächsten Gang konnte er wieder kaum über den Stapel hinwegschauen. Dann kam eine Frau an Deck. Mit einem deutlichen Dialekt, den ich für Schweizerisch hielt, sprach sie den Mann an. Es ging anscheinend um Kleidung, die er auf dem Arm trug. „Das sind gute Sachen!“ Mehrmals und eindringlich betonte sie mit zunehmender Lautstärke, dass es sich um gute Sachen handelte. Schließlich hörte ich ihn sagen: „Ich lege das vorsichtig als oberstes, ok? Gut, dass Du mir das sagst!“
Ich war so überrascht, ich wäre fast über Fontanes Hundeleine gestolpert! Was habe ich in diesem Hafen nicht schon alles gehört! Im vorigen Frühjahr beoachtete ich ein Paar beim Ablegen ihres Segelbootes. Anscheinend sollte es in den Urlaub gehen. Der Mann schnauzte die Frau so zusammen, wenn mir das passiert wäre, ich hätte gefordert, dass er unverzüglich anlegt und wäre von Bord gegangen. Schiffe sind eine Welt für sich. Der Kapitän oder die Bootsfrau hat immer Recht, und das wird gegebenenfalls auch mit Brüllen durchgesetzt. Auch ich wurde hier schon ganz „schön“ angefaucht, das ist jetzt allerdings schon fast ein Vierteljahrhundert her, aber trotzdem unvergessen.
Und nun dieses Paar. Die Frau mit dem Dialekt … war sie eine erfahrene Seglerin? Beide waren mindestens in meinem Alter. Die Ruhe und die Freundlichkeit, mit der der Mann auf die immer dringender werdenden Worte der Frau reagierte, rührten an meine Sehnsucht nach respektvollem und wertschätzendem Umgang miteinander. Ein Teil von mir wollte zurückgehen zu dem Mann, der vorsichtig den Stapel Zeugs im Auto verstaute. Gern hätte ich ihm gesagt: „Danke, dass Sie hören konnten, wie besorgt ihre Begleiterin um die Sachen war. Danke, dass Sie so freundlich und einfühlsam bleiben konnten, als sie immer lauter wurde.“ Vielleicht gibt es ja doch noch ein bisschen Hoffnung in Sachen Wertschätzung, Gehört werden und Verbindung in dieser Welt. Diese kleine Beobachtung jedenfalls hat mich wieder an meinen Traum erinnert …
So long!
Ysabelle