Ich hätte gern ein Paar Giraffenohren!

Unterwegs mit gewaltfreier Kommunikation – von Ysabelle Wolfe

„Rückfälle“

Die ersten 30 Jahre sind die schwersten
Marshall Rosenberg

Da haben wir ein Seminar besucht oder eine Jahresgruppe absolviert. Wir waren vielleicht sogar bei einem internationalen Intensivtraining und dann sagt jemand, der uns nahe steht: „Also, meine Schuld ist das nicht, da musst du schon mal bei dir gucken…“
Der Satz ist austauschbar, und jeder von uns wird Sätze haben, bei denen all unser Wissen über Gewaltfreie Kommunikation auf einmal wie weggewischt ist und wir wie ein Dinosaurier mit unserem Uralt-Muster reagieren: Das musst du gerade sagen! Hast du nicht erst neulich… oder vielleicht auch: Oh ja, du hast recht, da habe ich wieder Mist gebaut…

Es ist schon erstaunlich, wie schnell sich die Wolfsohren regenerieren, wenn man nicht ganz genau aufpasst. Und hier wartet auch schon die nächste Falle. Viele von uns neigen dazu, uns dann so richtig schön fertig zu machen für unsere „Unfähigkeit“, nicht gewaltfrei bleiben zu können.

Drei Aspekte möchte ich heute betrachten. zum einen: Warum kann ich (bisher) in bestimmten Situationen nicht gewaltfrei bleiben?
Wir mögen uns noch so sehr um die Haltung bemühen, es gibt Menschen, die uns mühelos erreichen und unser Wissen über die GfK steht uns augenblicklich nicht zur Verfügung. Oft sind es Menschen, die uns besonders nahe stehen: Die Mutter, der Partner, das eigene Kind. Wir reagieren dann so, als hätten wir ne etwas von GfK gehört. Und diese Reaktionen sind nicht selten begleitet von intensiven Gefühlen, Wut, Schmerz oder Scham.
Ich glaube, dass uns manche Äußerungen in einen Zustand versetzen, in denen wir so viel Schmerz empfinden, dass dieses intensive Gefühl uns das Tor zur Gewaltfreien Kommunikation für einen Augenblick versperren. Es dauert eine Weile, bis wir in der Lage sind, in solchen schwierigen Situationen Sätze zu formulieren wie: Danke, dass du mir mitteilst, wie es gerade in dir aussieht oder vielleicht das kann ich jetzt schwer hören. Ich gehe mal eben um den Blick und sage dann etwas dazu… Ich hatte gerade den Gedanken, dass ein Steinzeitprogramm zugeschaltet wird, und etwas in uns glaubt, blitzschnell auf höchste Gefahr reagieren zu müssen. Und dann greift das Gehirn auf Altes zurück, denn es dauert ein paar Jahre, bis die GfK sich in unserer neuronalen Vernetzung im Gehirn eine eigene Autobahn „gegraben“ hat. Und bei Gefahr oder unter Stress ist man halt schneller auf der Vorkriegs-Autobahn von Richtig oder Falsch, Schuld und Scham, als auf dem frischen Trampelpfad der Gewaltfreien Kommunikation.

Mein zweiter Gedanke gilt unserer Reaktion auf unsere Handlungen oder Aussagen. Nicht wenige von uns neigen jetzt dazu, sich jetzt so richtig von Herzen fertig zu machen. Jetzt habe ich schon 20 Trainingstage hinter mir, zwei mal das Buch gelesen und alle CD’s gehört, und ich krieg’s noch immer nicht auf die Reihe. Irgendwas ist falsch mit mir… Gern genommen wird auch: Also, im Ernstfall taugt diese GfK ja nichts.

Schon dieser Blick zeigt, wo wir hier landen: Bei den vier Ohren der Gewaltfreien Kommunikation. Wir bewegen uns erneut in einer Welt von Richtig oder Falsch. Und je nach Blickrichtung sind wir der Täter oder unser Gegenüber. Ich kenne für diese Situation nur ein Heilmittel: Empathie. Im Zweifelsfall: Selbstempathie.

Zum dritten möchte ich die Geschenke aus dem „Rückfall“ ernten.
Schon das Wort Rückfall ist ja im Grunde eine Bewertung. Ich bin ja kein entlassener Strafgefangener, der wieder Kekse klaut im Kosmos von Richtig oder Falsch. Ich habe es trotzdem als Überschrift gewählt, weil es die Bezeichnung ist, die wir oft wählen, wenn unser Verhalten nicht mit unseren GfK-Werten übereinstimmt. Wie können wir nun aus diesem Verhalten Geschenke ernten?
Lasst uns noch einmal die Ausgangssituation betrachten: Unser Gegenüber sagt einen Satz, oder eine Reihe von Sätzen, die in uns eine Kaskade an Gefühlen auslösen. Schmerz, Wut, Hilflosigkeit, Trauer. Unser altes Reaktionsmuster verhindert in diesem Augenblick, dass wir ganz bei uns sein können, auf uns selber hören als lauschten wir dem Klang eines Cellos.

Doch niemand hindert uns, an diese Stelle zurückzukehren und wie Rotkäppchen mit dem Körbchen die Pilze einzusammeln, die hier wachsen. Was habe ich gehört? Was hat der andere wirklich gesagt? Welche Gefühle hat das in mir ausgelöst? Und welche Bedürfnisse waren in dem Augenblick unerfüllt? Respekt? Wertschätzung? Autonomie? Gesehen werden?
Wenn wir bereit sind, uns selber zuzuhören, finden wir nicht nur ein tiefes Verständnis für uns selbst, sondern sehr wahrscheinlich auch die Tür, durch die wir uns dem anderen wieder nähern können.

Heute will ich liebevoll mit mir umgehen, wenn mir die Giraffensprache gerade nicht zur Verfügung steht.

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