Das Schweigen der Unbewussten
„Es ist die Verantwortung von allen, die in Freiheit leben, ihre Meinung zu äußern. Immer!“ -Morgan Freeman, Stern Nr. 36/2008 vom 28. August 2008, S. 144
Wir leben in einem Rechtsstaat, das Recht auf freie Meinungsäußerung ist im Grundgesetz verbrieft. Eine schöne Theorie, denn tagtäglich gibt es Situationen, in denen wir eben nicht unsere Meinung äußern.
Der Chef bezieht ständig den Kollegen, aber nicht mich ein. Spreche ich ihn darauf an? Der junge Mann neben mir in der U-Bahn, dessen MP3-Player so laut dröhnt, dass ich mich kaum auf meine Zeitung konzentrieren kann – kriege ich die Zähne auseinander? Der Freund, der sich Monate nicht meldet – mache ich meinem Frust Luft? Die Partnerin, die schon das dritte Mal hintereinander keine Luft auf Sex hat – gebe ich zu erkennen, wie es mir damit geht?
In vielen Alltagssituationen entscheiden wir uns bewusst dafür, von unserem verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Gebrauch zu haben. Wir fürchten Nachteile, Spannungen, Liebesentzug, Aufkündigung der Freundschaft, eisiges Schweigen oder gar Gewalt.
Wenn wir mit Giraffenohren unterwegs sind, fällt es uns meist leichter zu formulieren, was uns am Herzen liegt. Wenn es uns schon oft gelungen ist, Probleme anzusprechen und gewaltfrei zu lösen, gehen wir bestimmt entspannter in ein solches Gespräch.
Was brauchen wir, damit wir von ganzem Herzen bereit sind, uns offen für unsere Belange einzusetzen? Sicherheit, Klarheit, Verbindung und vielleicht noch manche mehr. Doch eines braucht es an erster Stelle: Ein Bewusstsein dafür, dass dass wir gerade schweigen, statt für uns einzutreten.
Heute will ich meinen Blick auf die Situationen richten, in denen ich nicht für mich einstehe. Ich will überprüfen, was ich brauche, um meinen Standpunkt zu vertreten.